Bewerber unter der Lupe

15.03.2004 von Alexandra Mesmer
Zuerst die gute Nachricht: Die ersten Firmen suchen wieder neue Mitarbeiter. Jetzt die Einschränkung: Die Anforderungen sind hoch, der Bewerbungsprozess ist entsprechend härter geworden. Die Kandidaten stehen mit ihrem technischen Wissen und ihrem Charakter auf dem Prüfstand.

Als sich Markus Hansmair Ende 2001 nach einem neuen Job umschaute, merkte er schnell, wie sich der Arbeitsmarkt für die einst so begehrten IT-Spezialisten verändert hatte: Die Auswahl an Stellen war reduziert, Firmen reagierten zum Teil erst nach Wochen und Monaten auf Online-Bewerbungen.

Umso überraschter war der Diplominformatiker über die prompte Antwort der Consol Software GmbH: Binnen Stunden erhielt Hansmair die erste Bestätigung per Mail, wenige Tage später fand das Vorstellungsgespräch in München statt. Auch das gestaltete sich anders, als er es gewohnt war: Ihm gegenüber saßen zwei Techniker, die in den folgenden zwei Stunden nicht nur seinen Lebenslauf genau hinterfragten. Da er sich als Software-Consultant beworben hatte, rückten schnell seine Programmierkenntnisse ins Visier der Gesprächspartner.

"Wenn jemand in C++ programmiert hat, muss er nicht nur die größten Unterschiede zu Java benennen können, sondern auch wissen, was es mit Multiple Inheritance auf sich hat", nennt Michael Elbel, Leiter IT & Operating bei Consol, ein Beispiel für die Einstiegsfragen in den technischen Interviews. Auch Begriffe wie Extreme Programming, X-Server oder NAS sollten Bewerber ohne Mühe erklären können. Grundlage für die Gespräche ist bei Consol neben dem Lebenslauf ein technisches Profil, in dem jeder Kandidat im Vorfeld seine Kenntnisse auf einer Skala von 1 (= Anfänger) bis hin zu 4 (= Guru) bewertet.

Foto: Joachim Wendler

Wer übertreibt oder gar flunkert, gerät im Vorstellungsgespräch schnell ins Schwitzen, warnt Elbel: "Wie ein Zahnarzt bohren wir immer tiefer, bis es weh tut und die Grenze des Wissens erreicht wird." Schon so mancher Bewerber für den Bereich "Betrieb und Betreuung" musste etwa bei folgender Frage passen: Wie kann man einen Name-Server, der für eine Zone als nicht authoritativ gekennzeichnet ist, trotzdem über Zonenänderungen benachrichtigen?

Auch Markus Hansmair brachten die Interviewer trotz seiner mehrjährigen Berufserfahrung damals "an das Ende der Fahnenstange": "Davon ließ ich mich aber nicht aus der Ruhe bringen und gab zu, was ich nicht weiß." Eine Offenheit, die bei Consol ankommt, schließlich sucht das mittelständische Software- und Beratungshaus nicht nur technisch versierte Mitarbeiter, wie Peter Hotter, Leiter Support und Projektkoordination, erläutert: "Wir simulieren in den Vorstellungsgesprächen eine Stresssituation, wie sie später beim Kunden immer wieder vorkommt: Ein unbekanntes Problem tritt auf, das so schnell wie möglich gelöst werden sollte."

So werden neben dem technischen Wissen auch die sozialen Kompetenzen des Kandidaten abgeklopft. Lässt sich dieser durch die hartnäckigen Fragen einschüchtern und "macht geistig dicht", ist er für das Projektgeschäft beim Kunden kaum geeignet, so die Erfahrung der Consol-Experten.

Büffeln reicht nicht mehr

Insbesondere weit verbreitete Zertifikate wie der MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer) oder der Certified Java Developer wecken den Ehrgeiz der Interviewer, herauszufinden, welches Wissen tatsächlich hinter der Kandidaten-Fassade steckt.

Bislang hat man hier eher schlechte Erfahrungen gemacht, so IT-Leiter Elbel: "Durch Büffeln kann man ein gutes Zertifikat erreichen. Das sagt aber noch nichts über den Erfolg im Berufsleben aus, da sich die Fähigkeit zu Transfer und problemorientiertem Denken nicht in Zertifikaten widerspiegelt." Für das laufende Geschäftsjahr sucht Consol insgesamt zwölf neue Mitarbeiter, bevorzugt erfahrene J2EE-Entwickler, Spezialisten für den Betrieb von Web-Middleware und Unix, aber auch Einsteiger mit Unix-Wissen für den Bereich Hotline/Support.

Jobsuchende müssen sich im Bewerbungsprozess mehr anstrengen. Foto: Joachim Wendler

Bis das Dutzend voll ist, werden die Mitarbeiter viele Stunden in Bewerbungsgesprächen verbringen - ein hoher Zeitaufwand, der sich laut Elbel und Hotter aber auszahlt. Bisher hat man sich nur in einem Kandidaten geirrt. Consol ist kein Einzelfall. Immer mehr Firmen feilen an ihren Einstellungsprozessen, um die für sie am besten geeigneten Kandidaten herauszufiltern. Verhinderten in der Boom-Phase Fachkräftemangel und Projektdruck oft eine sorgfältige Auswahl, können sich die Firmen heute die Zeit dazu nehmen - Bewerber gibt es mehr als genug.

Assessment Center waren in der Vergangenheit ein Phänomen von Großunternehmen mit entsprechend hohem Personalbedarf. Inzwischen sind sie in abgespeckter Form auch in mittelständischen Firmen üblich. Die Erlanger 3Soft GmbH zum Beispiel testet die Bewerber in einem vierstündigen Prozess, wie Personalchefin Corinna Diederichs beschreibt: "Nachdem die Kandidaten im Vorfeld ihre Fähigkeiten in einem Wissens- und Erfahrungsprofil eingeordnet haben, prüfen Vertreter aus den Fachbereichen ab, ob die Angaben stimmen."

Dazu gehören kleinere Programmieraufgaben oder für berufserfahrene Kandidaten auch Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme, die das auf Embedded-Systeme spezialisierte Software selbst noch nicht gelöst hat. Dass sich der harte Auswahlprozess von 3Soft herumgesprochen hat, mitunter auch manchen Bewerber abschreckt, stört Diederichs nicht: "Wir brauchen Entwickler, die sich von ihrer technischen Begeisterung so schnell nicht abbringen lassen. Schließlich fordern unsere Kunden aus der Automobilindustrie eine hohe Qualität ein."

Softwareingenieure, die mit Kunden und auch Zulieferern sprechen können, sind darum besonders begehrt. Neben der Kommunikationsfähigkeit sollten sie deshalb auch die Bereitschaft mitbringen, zu Kundenterminen mit Anzug und Krawatte zu erscheinen.

Personalauswahl ist Chefsache

Beim Nürnberger Systemintegrator 100 World AG ist die Personalauswahl Chefsache. Vorstandsmitglied Valerio Casanova prüft die von der HR-Abteilung ausgewählten Bewerbungen persönlich in einem Fünf-Minuten-Check, bevor er seinen Chefentwickler beauftragt, die technischen Kenntnisse des Kandidaten in einem halbstündigen Telefoninterview auszuloten. Die weiteren Vorstellungsgespräche bestreiten dann zwei erfahrene Entwickler und ein Projekt-Manager sowie schließlich ein Vorstandsmitglied.

Bis zu fünf Interviews können zusammenkommen; ein hoher Zeitaufwand auch hier, der laut Casanova für beide Seiten Vorteile hat: "Die Bewerber werden zwar genau geprüft, fühlen sich aber ernst genommen und haben hinterher auch ein besseres Gefühl, ob sie zu uns passen. Das gilt natürlich auch für uns." Bei Entwicklern achtet der Manager eher auf eine fundierte Erfahrung im Bereich Java/J2EE als auf Noten, die bei Bewerbern für den Bereich Consulting und Projekt-Management mehr Gewicht haben.

So hat Casanova die Erfahrung gemacht, dass Bewerber mit guten Zensuren disziplinierter, aber gleichzeitig flexibler einsetzbar sind. Deshalb sind sie seiner Ansicht nach an unterschiedlichen Stellen für unterschiedlichste Aufgaben einsetzbar. Für das laufende Jahr sucht die 100 World AG, die derzeit 65 Mitarbeiter beschäftigt, noch zwischen 15 und 20 Entwickler und Berater, darunter vier Positionen für Hochschulabsolventen.

Begehrte SAP-Spezialisten

Auch der Hannoveraner IT-Dienstleister IS Energy hat seinen Einstellungsprozess neu strukturiert und im vergangenen Jahr aus 10000 Bewerbungen 135 neue Mitarbeiter eingestellt. Als Recruiting-Chef gleicht Thomas Schafft zuerst ab, ob sich die Anforderungen der spezifischen Stelle mit den Angaben in Lebenslauf und Anschreiben decken. Arbeitszeugnisse liest er nur bei interessanten Kandidaten, deren Unterlagen er an die Fachabteilungen weiterleitet.

"Für Positionen im Vertrieb gehen sehr viele Bewerbungen ein, so dass von 100 Eingängen nur etwa 20 Prozent an die Fachabteilung weitergeleitet und fünf Prozent zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Suchen wir aber erfahrene Berater für das SAP-Modul IS-U EDM (Industry Solutions Utilities-Energiedaten-Management), sind wir froh über jede qualifizierte Bewerbung, die wir bekommen", schildert Schafft die Bandbreite in der Vorauswahl. Je nach Stelle erwarten die Bewerber bei IS Energy bis zu drei Vorstellungsrunden vor Vertretern aus Personal- und Fachabteilungen sowie unter Umständen der Geschäftsführung. Hier sollten sie vor allem zeigen, dass sie sich mit dem Unternehmen und der Position auseinander gesetzt haben. "Wenn jemand sagt, dass er unsere Website gelesen hat, sollte es auch so sein", unterstreicht Schafft.

Auch die Frage, was man über IS Energy weiß, sollte nicht nur mit dem Stichwort "IT-Dienstleister im Energieumfeld" beantwortet werden. Vor dem ersten Bewerbungsgespräch bekommen die Kandidaten zudem ein bis zwei technische Aufgaben zugeschickt, deren Lösung sie dann präsentieren sollen. Ein Aspirant auf eine Stelle im Support findet auch schon mal einen Laptop vor, auf dem er einen Systemfehler beheben muss. Pluspunkte sammeln die Kandidaten bei IS Energy aber auch mit klugen Fragen.

Schafft hat die Erfahrung gemacht, dass viele zu wenig fragen - oft getrieben von der Angst, etwas falsch zu machen: "Es ist besser, sich schon im Vorfeld mit verschiedenen Fragen zu wappnen und diese auch zu stellen. Das zeugt von Interesse." Dabei sollten die Bewerber allerdings auf die Gewichtung achten: "Wer nur etwas über Gehalts- und Karriereentwicklung wissen will, ist für uns nicht der richtige Kandidat."

Auch nach dem Einkommen sollten die Bewerber nicht fragen, diesen Ball spielen die Verantwortlichen von IS Energy zurück. "Im ersten Gespräch nehmen wir eine konkrete Gehaltsvorstellung als Anhaltspunkt auf", sagt Schafft. Gehaltsverhandlungen gehören mit zu den kniffligsten Situationen im Bewerbungsprozess. In der Regel erwarten die Unternehmen, dass Jobinteressenten bereits in der schriftlichen Bewerbung oder aber spätestens im Gespräch ihre Einkommensvorstellungen nennen. "Man kann sich viel ersparen, wenn man sich auf sein letztes Gehalt bezieht, das marktüblich war", weiß Karriereberater Gerhard Winkler.

Knifflige Gehaltsfrage

Hat man jedoch im Zuge des Internet-Hypes überdurchschnittlich gut verdient, tun Bewerber gut daran, sich flexibel zu zeigen. Noch immer klagen Personalverantwortliche über Kandidaten, die trotz der veränderten Arbeitsmarktlage zu keinen Abstrichen bereit sind. Diese fallen dann auch meist durchs Raster. Nennen die Unternehmen im Vorstellungsgespräch dagegen eine Gehaltsspanne, ist das laut Winkler ein Zeichen für ihr großes Interesse am Bewerber.

"Frag ich nach dem Gehalt oder lasse ich es lieber?" Foto: Joachim Wendler

In seinem Buch "Anders antworten. 100 x schlagfertig im Job-Interview" zeigt der Karriereberater anhand vieler Beispielfragen die Mechanismen in Vorstellungsgesprächen auf. Eine fundierte Vorbereitung auf das Gespräch fängt schon im scheinbar Nebensächlichen an: Habe ich die passende Kleidung inklusive Schuhe - die sollten nicht abgewetzt sein - parat? Brauche ich einen neuen Haarschnitt? Zentraler Punkt ist laut Winkler die Kenntnis des eigenen Lebenslaufs: "Die schmerzhaften Fragen, die ein Personaler stellt, stecken immer in Ihrer Bewerbung. Darum sollten Jobsuchende für jede nicht so gute Episode im Werdegang ein akzeptable Version finden."

Dabei warnt der Experte vor zu großer Authentizität: "Mit einem natürlichen Verhalten kommt man nicht weit, schließlich geht es hier um die berufliche Rolle. Anders antworten heißt zu liefern, was für eine Jobauswahl relevant ist." Statt von selbst auf alle Schwächen hinzuweisen, nach denen die Personalverantwortlichen sowieso fahnden, sollte man keinen Zweifel an seiner Selbstgewissheit lassen. Auf die Frage nach dem wahren Grund des Jobwechsels sollten Bewerber zum Beispiel nicht ihre letzte Stelle nennen und sich über Umstände äußern, mit denen sie nicht zufrieden waren. Besser ist es, die neue Aufgabe und die Chance, beruflich weiterzukommen, in den Mittelpunkt der Argumentation zu stellen.

Mit seinem Buch will Winkler die Bewerber dazu befähigen, auch in der angespannten Situation des Bewerbungsgesprächs aus der Position der Stärke heraus zu argumentieren: "Wenn die Kandidaten sehen, dass es eine Reihe von Standardfragen gibt, und deren Muster erkennen, gehen sie schon gut vorbereitet ins Jobinterview."