Betrügerische Geschäfte mit 0190-Dialern

22.05.2002
Von Michael Schönfelder . Michael Schönfelder ist Rechtsanwalt in der Kanzlei der Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer Zwipf Rosenhagen Partnerschaft, München - Dresden . MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Von vielen als Bedrohung empfunden, von manchen als Betrug, von einigen als Geschäft zum heimlichen Abzocken, scheint das Geschäft mit 0190-Nummern dennoch attraktiv zu sein. Doch dem unbemerkten Infizieren von Festplatten mit 0190-Dialern ist beizukommen.

Die schönsten Fälle - auch für die Juristen - schreibt das Leben: nicht wenige erstaunte Telefonkunden erreicht eine Telefonrechnung der Telekom, in der unter anderem Verbindungskosten der Firma HanseNet Telekommunikation aus Hamburg abgerechnet werden. Demnach werden für einen nächtlichen Internet-Besuch von rund eineinhalb Stunden Gebühren von über 4300 Euro fällig.

Wer nicht ausdrücklich kostenpflichtige Dienste in Anspruch nehmen will, sollte solche Downloads abbrechen.

Ausweislich der Einzelverbindungsnachweise werden 0190-Servicenummern mit den sogenannten „Untergassen“ 0190-062309 mit 86,2069 Euro, 0190-062314 mit 258,62 Euro und 0190-062966 mit 51,6379 Euro berechnet, wobei dieser jeweilige Einzelbetrag schon mit einer einzigen Anwahl auf das Rechnungskonto gebucht wird, auch wenn die Verbindung schon nach wenigen Sekunden abgebrochen wurde.

Das Leben verlockt besonders gern zum Betrug, wenn der Vorgang des Täuschens technisch so einfach ist. Hierfür hervorragend geeignet sind in technischer Hinsicht die „Premium-Rate“-Dienste derjenigen Diensteanbieter, welche beim Netzbetreiber Sondernummern mit der Vorwahl 0190-0 für die Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten mieten. Nur der Tarifkennung 0190-1 bis 0190-9 sind feste Tarifstrukturen zugewiesen, also ein vorher bestimmtes und im Amtsblatt veröffentlichtes Entgelt pro Zeiteinheit. Die Tarifkennung 0190-0 bildet hingegen keine vorgegebene Tarifstufe ab. Vergibt die Regulierungsbehörde an Netzbetreiber solche 0190-0-Nummern, so können einzelnen Diensteanbietern nach individuellen Gebührenmosdellen abrechnen. Die Vorwahlen öffnen jedoch ebenso betrügerischen Machenschaften Tür und Tor. Mit jedem Nutzer, der unbewusst oder bewusst einen Dialer einsetzt, kann der Diensteanbieter Geld verdienen, ohne dass dieser den Nutzer zum Beispiel dazu

veranlassen muss, seine Kreditkarte einzusetzen.

Über Websites können hiernach verschiedene vergütungspflichtige Dienstleistungen über die Dialer angeboten werden. Beliebt sind solche Abrechnungsmethoden vor allem bei Anbietern von Erotik-Inhalten. Bevor sich solche Angebote nutzen lassen, müssen Interessenten die Wählsoftware auf den heimischen PC laden. Durch die entsprechende Konfiguration des DFÜ-Netzwerks sorgt sie dafür, dass die bislang verwendete Internet-Verbindung getrennt und eine neue Leitung über die teure 0190-er Nummer aufgebaut wird.

Verräterische Spuren auf der Festplatte: Viele Dialer heben sich durch einschlägige Dateinamen und Icons ab. 

Das interessiert den Staatsanwalt

Der Abbau der als Standard eingestellten Internetverbindung des Nutzers und der unmittelbar anschließende Aufbau einer Telefonverbindung, wie auch der umgekehrte Vorgang, können sich unbemerkt abspielen, so dass der Nutzer den Eindruck hat, er hätte seine Internetverbindung nicht unterbrochen und er surfe weiterhin zu den üblichen Kosten. Bei einem entsprechenden Schädigungsvorsatz des Diensteanbieters, der aber bei einer unterlassenen oder einen Irrtum erweckenden Aufklärung des Kunden wohl regelmäßig unterstellt werden darf, nennt man dies gewöhnlich Betrug. Betrug ist strafbar, wie auch die unerlaubte Datenveränderung durch Einsatz eines versteckten Dialers auf fremden Computern.

Muss der Kunde zahlen?

Was den Kunden interessiert ist, ob er die Rechnung eines solchen Diensteanbieters bezahlen muss. Die Antwort auf diese Frage ist klar: Wenn sich ein Betrug erweist, muss er die Rechnung nicht begleichen. Selbst wenn sich kein Betrug herausstellt, etwa weil ein Staatsanwalt gar nicht ermittelt oder es nicht zur Verurteilung eines verantwortlichen Täters kommt, entsteht in solchen Fällen keine vertragsrechtliche (also zivilrechtliche) Verpflichtung des Kunden. Das gilt dann, wenn der Diensteanbieter nicht beweisen kann, dass er dem Kunden die zu zahlenden Gebühren nach der Preisangabenverordnung für seine Leistungen mitgeteilt hat. Das heißt, dass ein Anbieter vor dem Vertragsabschluss über die Inanspruchnahme des Dienstes klar und verständlich darüber informieren muss, welche Kosten dem Verbraucher durch die Nutzung der Dialer entstehen, sofern sie über die üblichen Grundtarife hinausgehen.

Berichte, wonach ein Nutzer teure 0190-er Gebühren bezahlen muss, weil er die Verbindung schließlich genutzt habe, ist so allgemein formuliert sicherlich falsch und verleitet zu dem Eindruck, dass man nichts machen könne. Die juristische Kernfrage, die sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet, ist diejenige, ob der Nutzer gegenüber dem Diensteanbieter eine rechtlich verbindliche Willenserklärung abgegeben hat.

Kann teuer weden: Wer bei solchen Dialern auf "Verbinden" klickt, weiß nicht, wieviel er zahlen muss.

Richtig an den guten Ratschlägen ist allenfalls, dass Schweigen oder Zahlen kein guter Ratgeber ist. Betroffenen Kunden sollten zunächst den Netzbetreiber, beispielsweise die Telekom, dazu bewegen, den Rechnungsbetrag des Diensteanbieter aus der Telefonrechnung zu stornieren und diesen Betrag an den Diensteanbieter als offene Forderung zurückzugeben, das Inkasso also abzulehnen. Im Falle von 0190-0 Rufnummern kommt die Telekom diesem Wunsch in aller Regel nach. Sämtliche anderen, nicht im Streit befindlichen Rechnungsbeträge sollten jedoch pünktlich an die Telekom bezahlt werden, um zu vermeiden, dass der Telefonanschluss gesperrt wird. Dies hat zur Folge, dass sich nun der Diensteanbieter selbst um den Forderungseinzug kümmern muss. Er muss seine vertraglichen Ansprüche nach Grund und Höhe gegenüber dem Kunden beweisen. Zu einer Sperrung der Leitung ist er nicht berechtigt, auch wenn er über seine Inkasso-Dienste damit droht. Der Telefondienst-Vertrag

besteht zwischen ihm und dem Kunden gar nicht.

Betroffene sollten sich keinesfalls auf allzu unbedarften Schrift- oder Telefonverkehr mit dem nun gegebenenfalls über Dritte mahnenden Diensteanbieter einlassen. Wie oben bereits erwähnt obliegt ihm nämlich die volle Beweislast für seine Forderung. Schon gar nicht sind Netzbetreiber oder Regulierungsbehörde für die inhaltliche Richtigkeit einer Mehrwertdienste-Abrechnung verantwortlich. Diese sind rechtlich auch nicht befugt, gegen die Diensteanbieter vorzugehen. Ausgesprochen nützlich ist es, sich gegen einen Prozess des Diensteanbieters gegen den Kunden frühzeitig zu wappnen.

Damit „es“ gar nicht erst passiert:

kann der Internet-Browser des Nutzers in seinen Sicherheitsstufen so eingestellt werden, dass fremden Computern der Zugriff auf den eigenen Rechner verwehrt wird;

sollten in einer ISDN-Anlage bestimmte Nummern gesperrt werden;

sollten 0190-Nummern schon beim Netzbetreiber gesperrt werden, worauf ein gesetzlicher Anspruch besteht;

sollten 0190-Warner (Anti-Dialer-Programme) aktiviert werden; sobald ein solcher Warner eine 0190-er Vorwahl erkennt, wird die kritische Verbindung sofort getrennt;

sollten die Statuslampen des Modems beobachtet werden, wie auch die Lautsprecher „aufgedreht sein“; so sieht und hört man, wenn sich etwas tut;

Gerichtsentscheidungen zu Klagen von 0190-0 Diensteanbietern gegen die Nutzer von Mehrwertdiensten sind derzeit zwar nicht veröffentlicht. Sie werden aber nicht lange auf sich warten lassen und dann den Wildwuchs einer weiteren Erscheinung unseriöser und zumeist strafbarer Geschäftspraktiken im Internet eindämmen helfen.

Sobald „es“ aber passiert ist:

sollten Strafanzeigen nicht ohne Übergabe des Computers an die Polizei erfolgen (womit soll die Polizei sonst ermitteln?);

sollten - wenn möglich - Screen-Shots (Ausdruck von Bildschirmseiten) der Belehrungen über den Bildschrim gefertigt werden - wo nichts war, kann allerdings nichts gedruckt werden;

sollten die Einzelumstände durch den Nutzer notiert und dokumentiert werden, um im Nachgang juristisch notwendige Erklärungen, beispielsweise die Täuschungsanfechtung, innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfristen noch rechtzeitig abgegeben zu können;

sollten Beweise auf der Festplatte gesichert werden;

sollte festgehalten werden, welche Leistung überhaupt versprochen, d.h. den Preis wert gewesen sein soll (Frage des Wuchers);

sollte die DFÜ-Einstellung daraufhin überprüft werden, ob sich dort ein fremder Dialer eingenistet hat - offline sind auch diese Beweismittel zu speichern und zu sichern;

sollte sich der Geschädigte keinesfalls durch den auf der Telefonrechnung mit Rufnummer genannten Diensteanbieter „beraten“ lassen;

sollte der Netzbetreiber zur Stornierung des streitigen Teiles der Telefonrechnung veranlasst werden;

sollte juristischer Rat durch solche Personen, die für die Richtigkeit des Rates einstehen, eingeholt werden - keinesfalls sind die möglicherweise gut gemeinten Ratschläge im Internet verlässlich, weil sie den Einzelfall nicht erfassen.

Seriöse, wirklich hochpreisige 0190-0 Diensteanbieter dürfte es wohl nicht geben, also solche Anbieter, welche den Nutzer in vollem Umfang darüber aufklären, was er in welchen Fällen für welche Leistungen unter Einsatz welcher „Manipulationen“ an seinem Computer, die wiederum in welchen Fällen wie wirken, zu zahlen hat. Denn das Ergebnis wäre sicherlich, dass dann niemand bereit ist, für einen Sekunden-Klick im wirklichen Leben 258,62 Euro zu bezahlen. (lex)