Sonderzuwendungen vom Chef

"Betriebliche Übung" - Fallstricke für den Arbeitgeber

30.12.2010 von Renate Oettinger
Dr. Christian Salzbrunn beschreibt die Rechtsfolgen einer regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen im Unternehmen.
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Rechtsansprüche von Arbeitnehmern ergeben sich zumeist unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder aus einem Tarifvertrag. Sie können sich aber auch aus einer so genannten betrieblichen Übung ergeben. Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen durch den Arbeitgeber, aus der die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweise gewährten Leistungen oder Vergünstigungen auch künftig dauerhaft gewährt werden sollen.

In der Praxis beziehen sich Streitigkeiten aus einer betrieblichen Übung zumeist auf die Zahlung von Sonderzuwendungen, vor allem auf die Zahlung von Weihnachtsgratifikationen. Denn nach ständiger Rechtsprechung entsteht für Arbeitnehmer ein entsprechender einklagbarer Anspruch, sofern ein Arbeitgeber dreimal wiederholt an die gesamte Belegschaft Weihnachtsgeld zahlt, ohne dass er sich gleichzeitig die Freiwilligkeit dieser Leistung vorbehält. Grundsätzlich ist eine betriebliche Übung auch für jeden anderen Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in allgemeiner Form geregelt werden kann, also z.B. auch für Urlaubs-, Ruhe-, Jubiläums- und Treuegelder, für die Übertragbarkeit von Urlaub, für Arbeitszeitregelungen oder für die Festlegung einer Betriebsordnung. Sie kann für den Arbeitnehmer sowohl günstige als auch ungünstige Inhalte zum Gegenstand haben.

Viele Arbeitgeber stehen angesichts der weiterhin schwierigen konjunkturellen Lage vor der Frage, inwieweit sie eine einmal begründete betriebliche Übung vor allem im Hinblick auf die Zahlung von Weihnachtsgratifikationen für die Zukunft wieder beenden können. Hierzu sind im Verlaufe des Jahres 2009 zwei sehr interessante Urteile ergangen:

Beendigung einer betrieblichen Übung durch eine gegenläufige betriebliche Übung?

In seinem Urteil vom 18.03.2009 musste das BAG zunächst über die Rechtsfrage befinden, ob eine einmal begründete betriebliche Übung ihrerseits durch eine gegenläufige, d.h. durch eine neue entgegen gerichtete betriebliche Übung, wieder geändert oder aufgehoben werden kann.

Die Richter hatten über den folgenden Fall zu entscheiden: Der Kläger war seit 1971 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestand nicht. Bis zum Jahre 2001 zahlte der Arbeitgeber jedes Jahr zum Jahresende ein Weihnachtsgeld, ohne sich die Freiwilligkeit der Leistung vorzubehalten. In den Jahren 2002 bis 2005 bezahlte der Arbeitgeber das Weihnachtsgeld erstmals in drei Raten (d. h. im November, Dezember und Januar des Folgejahres). Auf den dazugehörigen Lohnabrechnungen ließ er dazu folgenden handschriftlichen Vermerk aufnehmen: "Die Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung und begründet keinen Rechtsanspruch". Der Kläger widersprach diesen Hinweisen nicht. Nachdem der Arbeitgeber die Zahlung im Jahre 2006 unter dem Hinweis auf den Freiwilligkeitsvorbehalt einstellte, klagte der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung und berief sich dabei auf den Grundsatz der betrieblichen Übung.

Das BAG gab der Klage auf Fortzahlung des Weihnachtsentgeltes statt und vollzog dabei eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung zum Thema "gegenläufige betriebliche Übung". Denn bis dato war anerkannt, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung durch eine geänderte betriebliche Übung auch wieder beendet werden konnte. Bei Gratifikationszahlungen wie Weihnachtsgeld wurde dies angenommen, wenn der Arbeitgeber ab einem bestimmten Zeitpunkt erklärt hatte, dass die Zahlungen der (bisher vorbehaltlos geleisteten) Gratifikationen lediglich eine freiwillige Leistung darstellen, auf die zukünftig kein Rechtsanspruch bestehe und wenn die Arbeitnehmer dem über einen Zeitraum von drei Jahren nicht widersprochen haben.

Die Rechtsprechungsänderung begründeten die Richter zunächst mit dem Argument, dass es sich bei dem aus einer betrieblichen Übung begründeten Anspruch nicht um einen minderwertigen Anspruch handele, sondern um einen Anspruch, der den im Arbeitsvertrag geregelten Ansprüchen gleichwertig sei. Vertragliche Ansprüche könnten nur mittels einer vertraglichen Änderungsvereinbarung oder per Kündigung geändert bzw. beseitigt werden, nicht aber durch eine gegenläufige betriebliche Übung. Daher könne letztlich auch für Ansprüche, die ihrerseits aus einer betrieblichen Übung resultieren, kein anderer Maßstab gelten.

Zwei Arten des Schweigens

Vor allem sei zu berücksichtigen, dass ein Schweigen auf ein verschlechterndes Angebot nicht mit dem Schweigen auf ein günstiges Angebot gleichgesetzt werden könne. Denn seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform müsse hierbei auch der § 308 Nr. 5 BGB berücksichtigt werden. Die in den Lohnabrechnungen handschriftlich vermerkten Freiwilligkeitsvorbehalte seien als vorformulierte Arbeitsbedingungen anzusehen. Da fingierte Erklärungen in vorformulierten Vertragsbedingungen aber nach der Regelung in § 308 Nr. 5 BGB grundsätzlich rechtlich unwirksam sind, könne ein Schweigen nicht als zustimmende Willenserklärung gedeutet werden (etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart gewesen wäre, dass das Schweigen des Arbeitnehmers zu einem Änderungsangebot des Arbeitsgebers als eine Annahme des Angebots gelten solle).

Nach alledem könne also einem dreimaligen Schweigen kein Erklärungswert zukommen, so dass das Schweigen des Klägers letztlich nicht als Annahme, sondern vielmehr als Ablehnung zu verstehen gewesen sei. Damit erteilten die Richter des BAG einer gegenläufigen betrieblichen Übung nunmehr eine generelle Absage (BAG, Urteil vom 18.03.2009, Az.: 10 AZR 281/08).

Beendigung einer betrieblichen Übung durch eine Betriebsvereinbarung?

Einige Monate später musste das BAG in einem Urteil vom 05.08.2009 die weitere Rechtsfrage beantworten, inwieweit eine einmal begründete betriebliche Übung durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung zwischen einem Unternehmen und dem Betriebsrat beseitigt werden kann.

In dem zu entscheidenden Fall stritten die Parteien über die Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 2006. Zuvor hatte der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern über zehn Jahre jeweils mit der Vergütung für November vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld in Höhe eines gleichbleibenden Prozentsatzes aus der Bruttomonatsvergütung gezahlt. Am 21.11.2006 schloss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat für alle im Unternehmen tätigen Arbeitnehmer eine Betriebsvereinbarung, wonach (lediglich) für das Jahr 2006 kein Weihnachtsgeld gezahlt werden sollte. Da der Kläger für das Jahr 2006 folglich auch kein Weihnachtsgeld erhielt, reichte er hiergegen eine Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht ein. Er war der Auffassung, dass ihm für das Jahr 2006 Weihnachtsgeld zustehe, da dieser Anspruch durch die Betriebsvereinbarung nicht rechtswirksam beseitigt worden sei. Dagegen stellte sich der Arbeitgeber auf den Standpunkt, dass die Betriebsvereinbarung den Anspruch auf Weihnachtsgeld beseitigt habe, weil insoweit eine Auslegungsregel zu berücksichtigen sei, wonach bei jeder betrieblichen Übung im Zweifel ein stillschweigender Änderungsvorbehalt zugunsten einer Betriebsvereinbarung enthalten sei.

Vorrang vor Betriebsvereinbarung

Das BAG berücksichtigte diese Argumentation jedoch nicht und gab der Klage - wie schon zuvor das LAG Mecklenburg-Vorpommern - statt. Die Richter des BAG stellten zunächst fest, dass für den Kläger ein Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld aus einer betrieblichen Übung entstanden sei. Dieser Anspruch sei durch die Betriebsvereinbarung vom 21.11.2006 auch nicht wieder beseitigt worden. Denn insoweit sei nämlich das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu berücksichtigen. Nach diesem Prinzip hat der einmal aus einer betrieblichen Übung entstandene arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch gegenüber der späteren Betriebsvereinbarung Vorrang, wenn er eine günstigere Regelung enthält. Der günstigere vertragsrechtliche Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes setze sich nach Ansicht der BAG-Richter damit gegenüber der weniger günstigeren Regelung aus der Betriebsvereinbarung durch.

Des Weiteren betonten die Richter, dass es grundsätzlich auch keine Auslegungsregel mit dem Inhalt gäbe, dass Ansprüche aus betrieblicher Übung per se "betriebsvereinbarungsoffen" seien. Sie stünden nicht automatisch unter dem Vorbehalt einer Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung. Denn auch hier sei zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Anspruch aus einer betrieblichen Übung um einen normalen vertragsrechtlichen Anspruch und nicht um einen Anspruch "minderer Güte" handele. Wolle der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine Sonderzahlung nur unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung leisten, so müsse ein solcher Änderungsvorbehalt ausdrücklich und transparent im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zur Bedingung der Zahlung gemacht werden. Der Arbeitgeber müsse daher klar und verständlich zum Ausdruck bringen, dass er die Sonderzahlung im Wege einer Betriebsvereinbarung beenden können möchte.

Unterlässt er einen solchen Vorbehalt, könne ein verständiger Arbeitnehmer eben nicht davon ausgehen, dass ein durch betriebliche Übung einmal entstandener Anspruch durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung wieder abgeändert oder sogar aufgehoben werden kann. Gegen einen solchen stillschweigenden Vorbehalt spreche außerdem, dass einer Betriebsvereinbarung über Sonderzahlungen, insbesondere über Weihnachtsgeld, regelmäßig ohnehin der Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG entgegenstehe (BAG, Urteil vom 05.08.2009, Az.: 10 AZR 483/08).

Fazit

Ein aufgrund einer betrieblichen Übung entstandener Anspruch kann also weder durch eine ablösende Betriebsvereinbarung noch durch eine gegenläufige betriebliche Übung beseitigt werden. Die beiden Entscheidungen des BAG machen Arbeitgebern eine solche Verschlechterung bzw. Beseitigung einer betrieblichen Übung fast unmöglich. Hierfür steht als Mittel zukünftig nur noch eine einvernehmliche Vertragsänderung oder eine Änderungskündigung zur Verfügung, was beides in der Praxis aber nur schwer durchzusetzen ist.

Um das Grundproblem der betrieblichen Übung zu lösen, bleibt also keine andere Möglichkeit, als derartige Gratifikationszahlungen immer mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt zu verbinden. Außerdem bietet sich eine vorsorgende Regelung im Arbeitsvertrag an, die schon bei der Einstellung des Arbeitnehmers vereinbart wird. So könnte in einem Arbeitsvertrag beispielsweise folgende Klausel aufgenommen werden: "Bei allen Leistungen, die über den Arbeitsvertrag hinaus gewährt werden, handelt es sich um rein freiwillige Leistungen, die auch bei wiederholter Leistungsgewährung keinerlei Rechtsansprüche für die Zukunft begründen". Gerade diese beiden Fälle verdeutlichen einmal mehr, wie wichtig eine vorausschauende Arbeitsvertragsgestaltung mit entsprechenden Freiwilligkeitsvorbehalten oder die Aufnahme einer Schriftformklausel sein kann. (oe)

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Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt und spezialisiert auf Arbeits- und Inkassorecht. Alt-Pempelfort 3, 40211 Düsseldorf, Tel.: 0211 1752089-0, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de