Benchmarking erfordert Mut zur Ehrlichkeit

25.09.2003 von Alexander Freimark
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Markt der IT-Benchmark-Spezialisten ist klein, doch mit ihren Methoden können Anwender viel Geld sparen - wenn sie wollen. Allerdings sträuben sich DV-Verantwortliche oft gegen die Tests. Mit zusätzlichen Beratungsleistungen zapfen die Benchmarker daher neue Umsatzquellen an.

Die Performance der IT auszumessen, reicht heute nicht mehr. Von Benchmark-Spezialisten wird Prozess-Know-how erwartet. (Foto: Photodisc)

Am Benchmarking scheiden sich die Geister. Während Anhänger auf die vermeintlich unbestechlichen Zahlen schwören, greifen Kritiker stets zum Obstkorb und verweisen auf Äpfel und Birnen. Dabei ist nicht einmal abschließend geklärt, wo Benchmarking anfängt und wo es endet. Immerhin hat sich die kleine Branche auf einen gemeinsamen Nenner verständigt: Es reiche nicht aus, das Thermometer anzuschauen und es wieder in den Schrank zu legen - "Unternehmen müssen auch reagieren", fordert Jochen Michels, der seit Jahrzehnten den IT-Kosten deutscher Arbeitsplätze auf der Spur ist.

Allerdings tun sich viele Anwender schwer damit, ihre jahrelang unbeanstandete Arbeit von Externen untersuchen zu lassen. "In den IT-Abteilungen herrschen erhebliche Ängste vor, dass ein liebloser Benchmarker kommt und ihr ,hübsches Kind' ausschließlich mit Zahlen bewertet," berichtet Roger Albrecht, Benchmarking-Chef von Gartner für den deutschsprachigen Raum.

Fällt dann das Urteil wenig schmeichelhaft aus, weil die IT-Abteilung teurer und ineffizienter als der Branchendurchschnitt ist, werden prompt die vermeintlichen Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens herausgestellt. "IT-Manager aus der zweiten Reihe", verweist Michels auf ein nachvollziehbares Phänomen, "haben nicht immer das Bestreben, ihre Fehler der Vergangenheit aufzudecken." Einer Firma helfe diese Scheu jedoch nicht weiter, sagt der Neusser IT- und Unternehmensberater.

Mit dem Rasenmäher gegen Kostenspitzen

Von der Krise und den schrumpfenden DV-Budgets hat die klassische, zahlengestützte Benchmarking-Branche nicht signifikant Kapital schlagen können. Außerdem leidet auch sie unter dem allgemeinen Preisverfall für Dienstleistungen. Dabei können die Erkenntnisse der Benchmarks dem IT-Leiter helfen, die Schwachstellen seiner Systeme einzugrenzen und, was noch wichtiger ist, die Stärken zu erkennen. Doch die Realität sieht oft anders aus: "Die Anwender gehen noch häufiger als vor einem Jahr mit dem Rasenmäher über ihre Kosten", kritisiert Olaf Krause, Geschäftsführer der Mipcost GmbH.

Der Limburger R/3-Benchmarking-Spezialist kennt Anwenderunternehmen, die so tief in der finanziellen Klemme stecken, dass ein "konstruktives Sparen" kaum mehr möglich ist. Außerdem seien zunehmend manipulierbare Messgrößen gefragt, hinter denen sich IT-Verantwortliche gegebenenfalls verstecken könnten. In gezieltes Benchmarking werde 2003 weniger investiert, denn "das erfordert Ehrlichkeit, und es werden ehrliche Ergebnisse erzielt", so Krause. Dazu ist nicht jeder bereit.

In der Regel wird ein Benchmarking-Projekt bei gravierenden Veränderungen im Unternehmen gestartet: Neue Finanzvorstände oder IT-Leiter wollen eine "neutrale Standortanalyse", sagt Gartner-Manager Albrecht. Alternativ kommen die IT-Prüfer ins Haus, wenn die Firma in eine andere Organisationsstruktur überführt werden soll. So lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse als Munition für interne Rivalitäten nutzen - je nach Bedarf von beiden Seiten.

Ist Benchmarking also die moderne Variante der antiken Numerologie? "Am Ende eines Projekts sollte nicht ein Zahlenvergleich, sondern ein Maßnahmenplan stehen, der sich auf diese Zahlen stützt", argumentiert Martin Lippert, Geschäftsführer der Compass Deutschland GmbH, einem Branchenpionier. Seiner Erfahrung nach sind Benchmarks schon immer als Werkzeug eingesetzt worden, um die eigene Leistung zu bestätigen und damit Budgets abzusichern. "Doch dieses Geschäft ist deutlich zurückgegangen", berichtet Lippert.

Die 20-Millionen-Euro-Nische

Das Volumen des deutschen Marktes für reines IT-Benchmarking wird von Beobachtern auf rund 20 Millionen Euro pro Jahr geschätzt - konkrete Zahlen liegen nicht vor. Die meisten Spezialisten sind privat geführte Beratungshäuser und weisen keine Ergebnisse aus. Eine IT-Standortbestimmung kostet den Kunden - grob geschätzt - rund 60000 Euro und dauert vier Wochen bis drei Monate, berichtet Thomas Karg, Chef der Münchner Benchmarking-Beratung Maturity. Jochen Michels verlangt für den Vergleich der Arbeitsplatzkosten etwa 6000 bis 10.000 Euro.

In Relation zum Volumen eines typischen IT-Consulting-Projekts sind das Peanuts - doch im Gegensatz zu den meisten Vertretern der Beratungsszene rechnen Anbieter wie Maturity, Gartner und Compass für 2003 dennoch mit einem Umsatzwachstum zwischen zehn und 15 Prozent. Ob sie nun wollen, oder nicht - die Anwender müssen sich den Fehlern stellen: "Augen zu und durch geht heute nicht mehr", kommentiert Karg.

Prozesse statt "Blech und Software"

Da die Nachfrage nach reinem Benchmarking schwächelt, haben sich die IT-Prüfer nach zusätzlichen Geschäftsfeldern umgeschaut. "Das reine technische Messen", sagt Mipcost-Chef Krause, "ist nicht mehr das primäre Ziel." Zunehmend sei ein Benchmarking gefragt, das betriebswirtschaftliche Größen mit einbezieht. Der Trend gehe zum Prozess-Benchmarking, da das größte Verbesserungspotenzial nicht in der Software liege, sondern in den Ressourcen für die Administration der IT.

"Die Anwender wollen ihre Prozesse mit dem Markt vergleichen", hat auch Maturity-Chef Karg festgestellt. "Blech und Software" seien zwar nach wie vor ein Thema, die Musik spiele aber im Bereich der Prozessoptimierung. Zwar würden auch hier nicht die Bäume in den Himmel wachsen, aber verglichen mit anderen IT-Segmenten sei dies immer noch ein interessantes Geschäft: "Die Prozessoptimierung brennt jedem Anwender auf den Nägeln", berichtet Karg.

Das haben auch die klassischen Unternehmensberatungen erkennt, die zunehmend eigene Benchmarking-Angebote im Sortiment haben. An Selbstsicherheit mangelt es den kleinen Spezialisten indes nicht: "Wir machen in der Regel Festpreisprojekte mit einem definierten Ziel und einem garantierten Ergebnis", so Compass-Chef Lippert. "Klassische Beratungsprojekte können dies nur selten vorweisen."