Belegschaftsaktionäre und Betriebsrat gehen mit dem Siemens-Vorstand hart ins Gericht

21.06.2006
Nach der Zerschlagung der Com-Sparte und der Gründung des Joint-Ventures mit Nokia werfen die Siemens-Anteilseigner dem Vorstand schwere Management-Fehler vor.

"Der Netzwerkbereich, der in seiner langen Tradition über Jahrzehnte hinweg die Technologieentwicklung weltweit mitbestimmt hat, wird de facto aufgegeben", heißt es in einer offiziellen Mitteilung des Vereins von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG e.V. Der Verein macht dafür in erster Linie schwere Management-Fehler verantwortlich. Die Dynamik der Internet-Entwicklung sei unterschätzt, die Anforderungen im Enterprise-Geschäft vielfach ignoriert worden. Trotzdem hätte die Siemens-Sparte das Potenzial gehabt, innerhalb von zwei Jahren wieder den Anschluss an die Marktführer zu finden. Allerdings rechne der Vorstand offensichtlich nur noch in Quartalen.

Anfang der Woche hatte der Münchner Traditionskonzern die Gründung des Joint Ventures Nokia Siemens Networks bekannt gegeben (siehe auch: Siemens und Nokia legen Netzsparten zusammen). Siemens will sein komplettes Ausrüstergeschäft für Festnetz- und Mobilfunkbetreiber einbringen.

Obwohl Siemens und Nokia zu gleichen Teilen an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligt sind, haben die Münchner nach Einschätzung von Experten den Schwarzen Peter an die Finnen weitergegeben. Sie sollen das schwierige TK-Ausrüstungsgeschäft von Siemens wieder in Fahrt bringen. Die Führung des künftigen TK-Riesen übernimmt der Nokia-Manager Simon Beresford-Wylie. Siemens stellt mit Peter Schönhöfer lediglich den Finanzchef. Zudem wird die künftige Nummer drei unter den weltweit agierenden Netzausrüstern vom finnischen Hauptquartier in Espoo aus dirigiert. Seine Einnahmen sollen bei Nokia konsolidiert werden. Siemens führt das Joint-Venture dagegen nur als Beteiligung. Analysten sprechen von einem Abschied auf Raten.

Die Belegschaftsaktionäre hegen ähnliche Befürchtungen. Siemens wolle sich mehr oder weniger geräuschlos aus diesem Geschäftsfeld zurückziehen. "Dies ginge an die Wurzeln und das Selbstverständnis von Siemens und wäre zudem ein beunruhigendes Signal für den Standort Deutschland und seine Innovationsfähigkeit", warnt der Vereinsverantwortliche Wolfgang Niemann. Wegen der Unternehmensführerschaft Nokias sei zu befürchten, dass die ehemaligen Siemens-Mitarbeiter die Verlierer dieses Geschäfts sein werden. Niemann will deshalb den Siemens-Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld in die Pflicht nehmen. Dessen Aufgabe sei es, die Anpassungsprozesse zu begleiten und ausgewogen zu gestalten. Seine Verantwortung ende nicht mit Abschluss des Joint-Venture-Vertrags, sondern erst mit der gelungenen Integration der Geschäfte. Man könne den Kurs nur mittragen, "wenn die Mitarbeiter des Com-Bereichs nicht reinen Renditeinteressen geopfert werden".

Doch die Vorzeichen deuten auf einen massiven Stellenabbau. Die Erwartungen an den neuen TK-Riesen sind groß. Bereits im ersten Jahr soll Nokia Siemens Networks eine zweistellige operative Marge erreichen, gab Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo die Marschrichtung vor. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen gilt es zunächst, auf die Kostenbremse zu drücken. Bis 2010 sollen rund 1,5 Milliarden Euro an "Synergieeffekten" realisiert werden. Nach zusätzlichen Sparpotenzialen werde gesucht.

Das geht in erster Linie auf Kosten der Mitarbeiter. Zwischen 6000 und 9000 Stellen könnten in den kommenden Jahren wegfallen, hieß es. Das entspricht zehn bis 15 Prozent der rund 60 000 Köpfe zählenden Belegschaft des Joint-Ventures. Insider sprechen sogar von bis zu 20 000 Jobs, die gestrichen werden müssten, um die Vorgaben einzuhalten. Wie viel der rund 32 000 Mitarbeiter, die Siemens beisteuert, davon betroffen sind, ist noch unklar.

Arbeitnehmervertreter machten bereits deutlich, dies nicht kampflos hinnehmen zu wollen. Sie nahmen das Management für die Schieflage des Geschäftsbereichs in die Verantwortung. "Mitarbeiter mussten durch Mehrarbeit, Einkommensverzicht und Stellenverluste Opfer für die Rettung des Bereichs erbringen, während die verantwortlichen Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben", heißt es in einer Erklärung des Betriebsrates. (ba)