Collaboration und Augmented Reality

Bei Cisco im Entwicklungslabor

21.09.2012 von Jürgen Hill
COMPUTERWOCHE-Redakteur Jürgen Hill hatte Gelegenheit, sich in Ciscos Entwicklungslaboren in Oslo umzuschauen. Er bekam einen Eindruck, wie moderne Collaboration-Plattformen die Arbeitswelt prägen könnten.
Das Entwicklungslabor von Cisco in Oslo.

Rund fünf Jahre ist es jetzt her, als ich angesichts der ersten Präsentation eines Cisco-Telepresence-Sys-tems in Berlin die provokante These vom "Ende für Bonus-Meilen?" aufstellte. Und heute? Heute fällt mein Urteil ganz klar differenzierter aus, denn Telepresence oder Video ist kein isoliertes Konferenzsystem mehr, sondern lediglich ein Baustein im Collaboration-Angebot, der zwar singulär genutzt werden kann, seinen echten Mehrwert aber erst in Kombination mit anderen Collaboration-Tools wie Presence, Content Sharing etc. entfaltet.

Und es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, wie sich in den norwegischen Cisco-Labors zeigte: Wozu dient ein Video-system heute? Soll der Teilnehmer nur visuell Mitglied einer Community/Workgroup werden? Oder soll er virtuell per Video das Gewicht seiner ganzen Person in die Waagschale einer Diskussion werfen? Was hier sehr theoretisch klingt, zeigt sich in der Praxis schnell, wenn man einmal mit den verschiedenen Videosystemen gearbeitet hat, wozu wir Gelegenheit hatten. Oslo ist Ciscos größter Forschungs-Hub in Europa mit über 3000 Mitarbeitern, darunter um die 400 Entwicklungsingenieure.

Miniaturisierung

Ein Rundgang durch die Labors offenbart schnell, was sich in den letzten fünf Jahren in Sachen Videoconferencing und Telepresence getan hat. So ist bei heutigen Systemen eine HD-Videoauflösung (1080p) mittlerweile Standard und nicht mehr den großen Raumsystemen vorbehalten. Und die Systeme sind deutlich geschrumpft und in der Bedienung einfacher geworden - etwa durch den Einsatz kleiner externer Touchscreens.

Das kleinste Modell "Telepresence SX20" hat gerade mal die Größe einer sehr flachen Zigarrenkiste. In Sachen Interoperabilität hat sich ebenfalls viel getan: Das Zusammenschalten der unterschiedlichsten Systeme vom großen Raum-Telepresence (TX9000-Serie) bis hin zum Tablet ist heute zumindest möglich. Allerdings findet eine herstellerübergreifende Verbindung meist nur auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners statt: per SIP und/oder H.263, so dass gerätespezifische Features nicht genutzt werden können.

Die Grenzen der Interoperabilität zeigen sich in der Praxis schnell: Ein mobiler Client wie ein iPad kann als Endpunkt in einer Videokonferenz nur eine Notlösung sein, denn die Kamera löst zu schlecht auf, und beim De- und Encoden des hochauflösenden Videostreams geht den populären Apple-Tablets schlicht die Puste aus. Mit Videoaussetzern machen sich zudem die Designschwächen des iOS-Betriebssystems (kein echtes Multitasking) bemerkbar. Qualitätsunterschiede, die besonders ins Auge stechen, wenn man den direkten Vergleich zu einem Telepresence-System hat.

Bei Cisco im Entwicklungslabor
COMPUTERWOCHE-Redakteur Jürgen Hill hatte Gelegenheit, sich in Ciscos Entwicklungslaboren in Oslo umzuschauen. Er bekam einen Eindruck, wie moderne Collaboration-Plattformen die Arbeitswelt prägen könnten.
Standortfragen:
Die Entwicklungslabore in Oslo haben eine lange Tradition,….
Standortfragen:
… vor der Übernahme durch Cisco im Jahr 2010 residierte hier Tandberg. Die Geschichte Tandbergs reichte bis 1933 zurück. Damals begann das Unternehmen Radios und TVs zu produzieren.
Qualität sieht anders aus:
Wer vom Bild eines TelePresences-Systems verwöhnt ist, wird sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, per Tablet an Videokonferenzen teilzunehmen. Zumal dem hier verwendeten iPad schnell die Puste ausgeht. Die Kamera löst zu schlecht auf, und beim De- und Encoden des hochauflösenden Videostreams fehlt den Geräten Rechen-Power. Mit Videoaussetzern machen sich zudem die Designschwächen des iOS-Betriebssystems bemerkbar.
Virtuell total:
Dank Blue-Box-Technik scheint die Konferenzteilnehmerin während des Meetings in ihrem iPad zu sitzen.
Videokonferenz trifft Augmented Reality:
Mit der Kombination beider Techniken können in virtuellen Konferenzen 3D-Modelle nicht nur gezeigt, sondern auch gedreht werden.
Collaboration auf See:
Rund um den Globus entstehen bei Aker Solutions, einem auf die Erkundung und Erschließung von Öl-und Gasvorkommen spezialisiertem Unternehmen, Bohrinseln virtuell im Team per Videokonferenz.
Kreatives Chaos:
Im norwegischen Entwicklungszentrum pflegt man laut Olve Maudal (im Bild), Minister of Knowledge bei Cisco, einen eigenen Stil. So graust es den bekennenden AGILE-Anhänger beispielsweise vor Dokumentationen. Für ihn ist in der kreativen Entwicklung die Kommunikation im Team wichtiger.
Oslo ruft Shanghai:
Jørgen Gulnes, Leiter der Application Services bei der Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV), erklärt den Journalisten in Oslo, warum er nun in Shanghai sitzt und sein Unternehmen dort Software entwickelt.
Fortschritt im Labor:
Miniaturisierung ist Trumpf – so werden nicht nur die Videokameras immer kleiner, sondern auch die Codecs. Benötigten diese bis vor kurzem noch eigene Gehäuse wie auf dem Tisch, sind aktuelle Geräte nicht mehr viele größer wie ein DSL-Router (links im Bild).
Der Fernseher machts:
In der Theorie lassen sich Videokonferenzen bereits mit normalen Fernsehern realisieren. Allerdings haben die Consumer-LCD-TVs, wie hier verwendet, eine zu große Latency.
Das Bild begeistert:
Bei allen Einschränkungen wie Latency etc. begeistert die Bildqualität, wenn man bedenkt welches Equipment hierzu vor wenigen Jahren noch erforderlich war.
Geschrumpft:
Das ist Ciscos Videokonferenzsystem „SX20“, das auf den beiden vorherigen Bildern Live zu sehen war.
Dauertest:
Neue Systeme und Konfigurationen werden in Oslo im Dauertest auf Herz und Nieren getestet. Dazu gehören unter anderem Netzsimulatoren sowie eine Armada an Videokameras (rechts im Bild).
Entspannung:
Was in deutschen Unternehmen der Fußballkicker ist, ist für die norwegischen Entwickler der Billardtisch. Ein Möbelstück, das in den Entwicklungslabors auf keinem Stockwerk fehlt.
Virtuelle Welten:
Moderne Videokonferenzsysteme, so zeigt ein Rundgang durch die Entwicklungslabore von Cisco in Oslo, werden immer leistungsfähiger. So ist FullHD-Auflösung heute eigentlich schon Standard.
Folgsam:
Die Videokamera dieses mittelgroßen Konferenzsystems (zwei Bildschirme) folgt dem Sprecher aufs Wort und richtet sich automatisch aus.
Geschichte:
Vor zehn bis 15 Jahren galten diese Tandberg-Konferenzsysteme noch als State of the Art.

Dedizierte Systeme

Gleiches gilt, wenn auch nicht so ausgeprägt, laut Jonas Rinde, Entwicklungs-Manager bei Cisco, für die PC-Plattformen. "Die Masse der heutigen PCs hat nicht die Rechenleistung, um Full-HD-Video in Echtzeit zu en- und decoden." Deshalb sind die norwegischen Entwickler fest davon überzeugt, dass dedizierte Videokonferenzsysteme in absehbarer Zukunft weiterhin unverzichtbar bleiben. Zumal diese im Gegensatz zu PCs und anderen Devices über spezialisierte Codecs verfügen, welche die Videoberechnungen schnell und effizient übernehmen. Besonders stolz ist man dabei in Oslo, dass die Codecs Eigenentwicklungen sind.

Apropos Qualität: Immense Fortschritte wurden auch bei der Kamera- und Audiotechnik erzielt. Die kleinen Kameras können heute einem Sprecher im Raum folgen und dabei gleichzeitig die Mikrofon-Charakteristik an den neuen Standort anpassen. Die Audioqualität ist dabei mittlerweile sehr gut, und die Sprecher sind hörbar zu orten, so dass selbst ISDN-verwöhnte deutsche Ohren ein Aha-Erlebnis haben.

Verknüpfung mit der IT

Allerdings ist die Qualität bei der täglichen Arbeit nur die halbe Miete. Fast noch wichtiger ist die Frage, wie sich die Videosysteme mit der restlichen IT verknüpfen lassen, um eine standortübergreifende Collaboration zu ermöglichen.

Dies beginnt mit "einfachen" Dingen wie etwa der Einbindung/Einblendung eines iPads, so dass der Konferenzteilnehmer virtuell in seinem iPad zu sitzen scheint - also vergleichbar mit der Blue-Box-Technik bei Film und Fernsehen. Oder Videokonferenzen werden mitgeschnitten und hinterher per "Show und Share" verteilt, also eine Art Youtube für das Enterprise. Was auf den ersten Blick nach Spielerei klingt, hat unter Compliance-Gesichtspunkten durchaus seinen Nutzen, zumal wenn per Voice Recognition im Mitschnitt gezielt nach dem Statement eines Teilnehmers gesucht werden kann.

Andere Möglichkeiten eröffnet etwa die Verknüpfung mit Augmented-Reality-(AR-)Software: Ein virtuelles Meeting per Videokonferenz zum Design eines neuen Produkts erhält eine ganz andere Qualität, wenn ein Teilnehmer per AR die Designentwürfe quasi dreidimensional präsentiert.

Virtuelle Zusammenarbeit

Dass solche Verknüpfungen keine blanke Theorie sind, zeigt das Beispiel Aker Solutions. Das global tätige Unternehmen mit rund 25.000 Beschäftigten hat sich auf die Erkundung und Erschließung von Öl-und Gasvorkommen spezialisiert. Um nun jederzeit und überall adäquate Lösungen zum Beispiel für Bohrinseln projektspezifisch entwickeln zu können, hat Aker in Oslo ein Videoconferencing-System mit einer entsprechenden Design- beziehungsweise Entwicklungsplattform kombiniert. Die Ingenieure können so in der Zentrale direkt mit den Mitarbeitern vor Ort zusammenarbeiten. Auf Videoconferencing und Collaboration setzt auch eine andere norwegische Ölfirma: Statoil hat an Land einen typischen Kontrollraum einer Offshore-Bohrinsel nachgebaut und mit einem Videoconferencing-System verbunden. Im Störfall müssen so die Experten nicht mehr zeitaufwendig aus aller Welt anreisen, sondern können sofort virtuell an der Lösung des Problems arbeiten.

Webconferencing-Tools im Test
Für Online-Meeting, Webinar, Chat, Messenger und Desktop Sharing gibt es viele Tools. Wir stellen Grundlagen sowie elf Collaboration-Systeme vor.
Citrix GoToMeeting
Citrix GoToMeeting ist eine schlanke und intuitiv nutzbare Web-Konferenzlösung, die sich in Outlook und andere Microsoft-Office-Produkte integriert.
Adobe Connect Professional 8
"Adobe Connect 8" ist ein umfangreiches, übersichtlich gestaltetes Webconferencing-Tool. Die Lösung eignet sich für verschiedene Einsatzszenarien von virtueller Teamarbeit über Online-Demonstrationen bis zu Online Trainings.
Cisco WebEx Meeting Center 8.5
"Cisco WebEx Meeting Center" ist ein Web-Konferenz-Tool vom Marktführer für Ad-hoc-Meetings sowie geplante Online-Treffen.
Fastviewer confered
"Fastviewer" eignet sich als Web-Konferenzlösung für geplante und Ad-hoc-Web-Meetings. Das Tool bietet alle erforderlichen Basisfunktionen vom Screen-Sharing über die Whiteboard-Funktion bis zum Chat und der Übertragung von Dateien und ermöglicht so die Online-Zusammenarbeit virtueller Teams. Fastviewer ist ein deutscher Anbieter und wurde 2011 von Siemens Enterprise Communications übernommen.
BeamYourScreen 4.0
"BeamYourScreen" bietet mit Version 4.0 seines Web-Konferenzsystems ein übersichtliches und intuitiv nutzbares Tool. Alle verfügbaren Funktionen lassen sich in Meetings durch Profile anpassen. Das Werkzeug wird auch unter dem Namen "Mikogo" vertrieben, wobei der Unterschied zwischen beiden Varianten im Preismodell besteht.
TeamViewer 7
Der deutsche Anbieter Teamviewer ist vor allem mit seinen Tools für Remote Support und Fernwartungssoftware bekannt. Das gleichnamige Web-Konferenzwerkzeug wurde in den letzten Jahren funktional erweitert und verfügt seit der neuen Version 7 über alle wesentlichen Funktionen für Online-Meetings.
Saba Meeting
Charakteristisch für "Saba Meeting" ist das schnelle Aufsetzen von Meetings, die Verfügbarkeit grundlegender und wichtiger Funktionen sowie deren übersichtliche Anordnung.
PGi GlobalMeet
"PGi GlobalMeet" bietet als Online-Konferenzlösung alle Funktionen, die für die virtuelle Zusammenarbeit notwendig sind. Hersteller PGi liefert neben GlobalMeet weitere Webconferencing-Lösungen wie iMeet und vertreibt Produkte anderer Softwarehersteller wie Adobe Connect, Cisco WebEx und Microsoft Lync Online.
Skype
Skype zählt zu den Pionieren unter den Peer-to-Peer-Conferencing-Anwendungen. 2005 wurde das Unternehmen von Ebay übernommen, seit 2011 gehört es zu Microsoft. Nach wie vor agiert es allerdings unabhängig, über die Integration in andere Microsoft-Anwendungen gibt es bisher lediglich Spekulationen.
Spreed Meeting
"Spreed Meeting" ist ein kostenlos erhältliches Online-Meeting-Tool, das plattformübergreifend unter Windows, Linux und Mac OS X läuft.
Microsoft Lync Online
Microsoft bietet mit "Lync" (früher Office Communications Server) eine Messaging- und Conferencing-Lösung an, die sich insbesondere an mittlere und große Unternehmen richtet. Lync integriert sich eng in die Office-Anwendungen und wird vom Hersteller auch als Alternative für klassische Telefonanlagen positioniert.

Allerdings trifft die früher oft als Pro-Argument angeführte Behauptung, dass Collaboration-Systeme die Dienstreisen reduzieren, nicht mehr auf jedes Unternehmen zu. So hat die Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) Videokonferenzsysteme angeschafft, damit die C-Level-Manager wieder mehr reisen. "CxOs sollten sich draußen im Markt beim Kunden bewegen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen", begründet Narve Johannessen, IT-Manager bei DNV, die Entscheidung. Mittlerweile hat das Unternehmen mit 300 Büros in rund 100 Ländern 61 Highend-Systeme im Einsatz und plant weitere Anschaffungen, "denn so können unsere Excutives vor Ort sein und dennoch an zentralen Meetings teilnehmen", erläutert Johannessen. Die Einführung entsprechender Collaboration-Tools - neben den Cisco-Systemen für Videoconferencing werden noch Lync, Yammer oder MeetingPlace genutzt - hatte noch einen anderen positiven Effekt: "Ohne hätten wir unsere IT outgesourct", erklärt Johannessen per Videokonferenz aus Shanghai, "jetzt haben wir eine IT-Entwicklungsabteilung in Shanghai."

Cisco Hosted Services

Zudem seien die Anschaffungskosten der Systeme heute kein Problem mehr, denn mit Leasingangeboten gebe es genügend Offerten, um eine Strategie zu entwerfen, die zur finanziellen Situation des eigenen Unternehmens passe. Cisco will in den nächsten zwölf Monaten in Eu-ropa mit einem neuen Service an den Start gehen: Cisco Hosted. Darunter sind laut OJ Winge, Senior Vice President der Cisco Collaboration Technology Group, Collaboration-Services zu verstehen, die Cisco-Partner zwar vermarkten, die aber bei Cisco gehostet und von Cisco betrieben werden - eine Idee, die auch andere Player wie Avaya oder Siemens Enterprise Communications verfolgen. (mhr)