Nicht gearbeitet, trotzdem gestempelt

Bei Arbeitszeit betrogen - Rauswurf rechtens

02.07.2010 von Renate Oettinger
Manipulation bei der Zeiterfassung ist ein Arbeitszeitbetrug und berechtigt den Arbeitgeber zu einer verhaltensbedingten Kündigung. Torsten Lehmkühler nennt Einzelheiten.

Unternehmen, die sich zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter elektronischer Zeiterfassungssysteme bedienen, müssen nicht selten auch Manipulationen feststellen, die zumeist einen Arbeitszeitbetrug darstellen.

Wie streng die Rechtsprechung in solchen Fällen ist, macht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 03.11.2005 (15 Sa 1060/05) deutlich. Einem zum Zeitpunkt der Kündigung 50-Jährigen schwerbehinderten Kläger, der seiner Frau und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet war und dem Betrieb über 30 Jahre angehörte, wurde vorgeworfen, dass er an Tagen, an denen er frei hatte und nicht arbeitete, sich gleichwohl morgens (zu Arbeitsbeginn) im Zeiterfassungssystem eingebucht und abends (zu Arbeitsende) wieder ausgebucht hatte.

Quelle: Fotolia, Th. Graf
Foto: Fotolia, Th. Graf

Der Personalabteilung fiel bei der Abgleichung der erfassten Zeiten mit den Dienstplänen auf, dass der Kläger in seiner Freizeit im System eingebucht gewesen war und ihm so Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben worden waren, ohne dass er die entsprechende Arbeitsleistung erbracht hatte.

Da der verdächtige Arbeitnehmer beim Stempeln nicht beobachtet wurde, entschloss sich der Arbeitgeber, den Kläger zu den Vorwürfen zunächst anzuhören. Nachdem der Mitarbeiter den Verdacht des Arbeitszeitbetrugs nicht entkräften konnte, wurde ihm nach Anhörung des Betriebsrats und Zustimmung durch das Integrationsamt fristlos gekündigt.

Nach Auffassung des Gerichts war es dem Arbeitgeber trotz des Alters des Klägers, dessen langer Betriebszugehörigkeit, der Unterhaltspflichten und der Schwerbehinderung nicht mehr zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Die fristlose Kündigung war auch ohne Abmahnung gerechtfertigt.

Das Bundesarbeitsgericht hatte am 24.11.2005 (2 AZR 39/05) einen ähnlichen Fall zu entscheiden. Hier hatte der Kläger einem anderen Arbeitnehmer seine Stempelkarte gegeben und diesen überredet, für ihn einzustempeln, obwohl er noch einkaufen gegangen war.

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar

Das BAG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses insbesondere deshalb unzumutbar war, da der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber (und auch im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht) die Unwahrheit gesagt hatte. Er behauptete nämlich, dass er zum Zeitpunkt des Einbuchens in das Zeiterfassungssystem bereits auf dem Betriebsgelände gewesen sei, was nachweislich falsch war.

Verlässt ein Mitarbeiter den Arbeitsplatz, ohne die Stempeluhr zu betätigen, behält er für den Arbeitgeber seinen Lohnanspruch, obwohl keine Arbeitsleistung erbracht wurde; der darin enthaltene schwere Vertrauensbruch, rechtfertigt grds. den Ausspruch einer fristlosen Kündigung (so auch: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.11.2007 - 4 Sa 996/06).

Nicht vorschnell kündigen

Trotz der genannten Entscheidungen sollte bei der Feststellung von Manipulationen im Zusammenhang mit der Zeiterfassung nicht vorschnell gekündigt werden. In der Regel besteht zunächst lediglich ein Verdacht, dass ein Arbeitszeitbetrug begangen wurde. Im Verdachtsfall hat der Arbeitgeber den Sachverhalt vor Ausspruch einer Kündigung (so umfassend wie möglich) aufzuklären und sollte naheliegende Einwände, wie einen Defekt des Zeiterfassungssystems, ausschließen.

Zu den ermittelten Tatsachen, die den Verdacht bestätigen, ist der Arbeitnehmer anzuhören (Verdachtskündigung). Wird bei einer Verdachtskündigung keine Anhörung durchgeführt, ist die Kündigung schon allein deshalb unwirksam.

Will der Arbeitgeber fristlos kündigen, muss er auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB beachten. Da die Anhörung des Arbeitnehmers als Teil der Sachverhaltsaufklärung die Frist hemmen kann, beginnt sie regelmäßig erst nach Abschluss der Anhörung des Arbeitnehmers (fruchtloser Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist oder nach Vorliegen der abschließenden Stellungnahme des Arbeitnehmers) zu laufen; in jedem Fall jedoch dann, wenn sich der Arbeitgeber umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschafft hat. Es ist also stets darauf zu achten, dass die Ermittlung des Sachverhalts ohne Zögern durchgeführt wird.

Der Autor Torsten Lehmkühler ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. (www.mittelstands-anwaelte.de).

Kontakt:

Torsten Lehmkühler, SLP Anwaltskanzlei Dr. Seier & Lehmkühler GmbH, Obere Wässere 4, 72764 Reutlingen, Tel.: Tel: 07121 38361-0, E-Mail: lehmkuehler@slp-anwaltskanzlei.de, Internet: www.slp-anwaltskanzlei.de und www.mittelstands-anwaelte.de