Bayerische Versorgungskammer migriert Daten: Lang vorbereiten - kurz migrieren

13.08.2007 von Robert Gammel
Nach mehrjährigen Vorarbeiten stellte die Bayerische Versorgungskammer die Daten von 1,8 Millionen Versicherten innerhalb von neun Tagen auf ein neu entwickeltes IT-System um.

Die Bayerische Versorgungskammer (BVK) musste ihr in die Jahre gekommenes Host-System für die Verwaltung von rund 1,8 Millionen Versicherungsverträgen ablösen. Deshalb beauftragte sie das Münchner Softwarehaus sd&m mit der Neuentwicklung der Software.

Für die Migration der Rentendaten musste die komplette Beschäftigungs- und Rentenhistorie aller Versicherter überführt werden. Dafür stand lediglich ein Zeitfenster von zehn Tagen zur Verfügung.

ETL-Werkzeuge funktionierten nicht

Die Migration erfolgte über den Server der neuen Versorgungssoftware. Eine Migrationskomponente bereitete die Daten auf. Die direkte Übernahme der Daten durch ein klassisches ETL-Werkzeug war nicht möglich.
Foto: Robert Gammel

Die Datensätze waren bis zu 30 Jahre alt und hatten zum Teil mehrere Änderungen im Rentenrecht durchlaufen. Erschwerend kam hinzu, dass sie nicht mittels gängiger ETL-Werkzeuge (Extract, Transform and Load) in die Zieldatenbank geladen werden konnten. Das lag vor allem an der gewählten Vorgehensweise: Um die fachliche und technische Konsistenz der Daten zu gewährleisten, wurden nur die Renteneinzahlungen der Versicherten vom Host-System übernommen. Die Rentenhöhen werden hingegen bei der Migration ins neue System berechnet. Die zugehörigen Berechnungsalgorithmen in ein ETL-Tool zu integrieren wäre viel zu aufwändig gewesen (zum Thema ETL siehe auch: "BI ist Vielen zu komplex").

Stattdessen entwickelte das Team eine Migrationssoftware. Sie bereitete die Altdaten so auf, dass das neue System die jeweilige Rentenhöhe berechnen konnte. Einen Engpass bildeten Performance und Stabilität des neuen Servers, der zudem die Zieldatenbank beladen musste (siehe Grafik "Das Migrationsschema").

Anschließend galt es, für alle Versicherten zu überprüfen, ob die Neuberechnung mit der vom Host-System ermittelten Rentenhöhe sowie 15 weiteren Kennzahlen übereinstimmten. "Um Abweichungen bei kritischen Daten exakt ermitteln zu können, waren präzise maschinelle Abgleichsverfahren zwischen Quell- und Zielsystem äußerst wichtig", erläutert Günter Zuchtriegel, IT-Projektleiter der BVK. Abweichungen durften höchstens bei zwei Promille der Versicherten auftreten; diese Anzahl konnte gerade noch rechtzeitig vor der nächsten Auszahlung manuell korrigiert werden.

Testläufe auf schwankendem Boden

Ein halbes Jahr vor Produktivsetzung befand sich das neue IT-System noch in ständiger Veränderung. Die Entwicklung war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, aber aus den Freigabetests erwuchsen noch viele Änderungsanforderungen und Fehlerbefunde. Sie mussten vor dem Going-live eingearbeitet werden (mehr zum Thema unter: "Zu wenig Zeit für die Datenintegration")

Derartige Änderungen waren Gift für die Testmigrationen. Selbst kleine Fehler, die nur exotische Randfälle betrafen, konnten eine Testmigration vollständig unbrauchbar machen. Damit war die Arbeit von Tagen verloren.

Mit der Fehlerbehebung kam das Team kaum hinterher, weil es ständig neue Testläufe fahren musste. "Wir befanden uns im Hamsterrad, während das Projekt-Management zurecht die Qualitätsanforderungen erfüllt sehen wollte", beschreibt Karl-Heinz Wichert, Projektleiter auf Auftragnehmerseite, die Situation: "Der Druck, gute Zahlen zu liefern, war enorm."

Projektsteckbrief

  • Projektart: Entwicklung und Einführung eines neuen Softwaresystems für die Verwaltung von Rentenversicherungen.

  • Ziel: Ablösung der Legacy-Systeme auf Host-Basis.

  • Dauer: September 2002 bis September 2006.

  • Stand heute: neues System läuft produktiv.

  • Lieferant: sd&m.

  • Technik: Software-Neuentwicklung auf J2EE-Basis, Oracle 9.2.

  • Herausforderungen: schwierige Migration der Altdaten in das Zielsystem, hoher Testaufwand und Zeitdruck, Umstellung auf das neue System innerhalb von zehn Tagen.

Großer Vertrauensvorschuss

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, wurde unter anderem das Migrationsteam vergrößert. Allerdings agierten die Beteiligten sehr behutsam, da eine übertriebene Veränderung der Mannschaft zu diesem späten Projektzeitpunkt mehr geschadet als genutzt hätte (siehe hierzu auch das "Brooksche Gesetz").

Außerdem einigten sich die BVK und ihr IT-Lieferant darauf, die Qualitätsansprüche während der Testphase bewusst zu reduzieren – eine angesichts einer ungünstigen Risikoprognose ungewöhnliche Maßnahme. Sie war nur deshalb möglich, weil zwischen dem Versicherer und sd&m ein belastbares Vertrauensverhältnis bestand. "Keine Testmigration mit Ausnahme der letzten konnte die hohen Anforderungen an Qualität und Performance erfüllen. Zudem gab es keinen zeitlichen Puffer für eine Verschiebung der Produktivsetzung", erinnert sich IT-Projektleiter Zuchtriegel, "da bedurfte es eines großen Vertrauensvorschusses an das Team, wenn man noch an den Erfolg glauben wollte."

Dieser Vertrauensvorschuss war letztendlich gerechtfertigt. Die Migration erfolgte termingerecht im September 2006 und verlief erfolgreich. Die festgesetzte Maximallaufzeit wurde deutlich unterschritten, und die Anzahl der kritischen Abweichungen blieb im grünen Bereich, so dass die Sachbearbeiter sie rechtzeitig manuell korrigieren konnten. Die folgende Rentenauszahlung verlief problemlos und termingerecht.

Beim nächsten Mal etwas anders

Laut Hans Peter Kahlert, Fachbereichsprojektleiter der BVK, waren alle Beteiligten mit dem Ergebnis der Systemumstellung zufrieden. Dennoch gebe es einige Punkte, die bei künftigen Projekten dieser Größenordnung besser gemacht werden könnten: "Dazu zählen ein höherer Automatisierungsgrad der Migrationsprozesse und eine zurückhaltendere Planung der Meilensteine." (qua)

Das Unternehmen

  • Branche: Die Bayerische Versorgungskammer führt die Geschäfte von zwölf berufsständischen und kommunalen Altersversorgungseinrichtungen, die für ihre Mitglieder und Versicherten Leistungen der Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung erbringen.

  • Beiträge und Umlagen: 3,05 Milliarden Euro (im Jahr 2005), 1,8 Millionen Versicherte (inklusive 0,5 Millionen Versicherte von DV-Kooperationspartnern), rund 260 000 Versorgungsempfänger.

  • Mitarbeiterzahl: rund 1100 Beschäftigte.

  • IT-Mitarbeiter: 80.