IT-Arbeitsmarkt

Barrieren für ausländische Experten

22.12.2011 von Ingrid  Weidner
Hierzulande fehlen IT-Profis, während in anderen EU-Ländern junge Akademiker auf der Straße stehen. Noch reagieren ausländische Bewerber und deutsche Firmen zurückhaltend, wenn es um das gegenseitige Kennenlernen geht.
Die physischen Grenzen und Mauern sind in Europa verschwunden, die länderübergreifende Zusammenarbeit könnte aber wesentlich besser funktionieren."
Foto: r.nagy/Shutterstock

Arbeiten in Deutschland war für viele Spanier lange kein Thema mehr. Deshalb staunte Juan Antonio Artigas nicht schlecht über einen Film aus dem Jahr 1963. Seine Landsleute reisten damals in ein fernes Land, auf der Suche nach Arbeit. Doch seit dem Filmdreh hat sich in Europa vieles verändert. Bedeutete es damals noch, nach einer langen Zugfahrt mit vielen Passkontrollen und noch mehr Formularen in einer ungewissen Zukunft anzukommen, so pendelt der IT-Ingenieur Artigas heute wie selbstverständlich zwischen Frankfurt am Main und Barcelona.

Derzeit denken junge Spanier wieder darüber nach, für eine berufliche Perspektive ins Ausland zu gehen. Doch die Bedingungen seit den 1960er Jahren haben sich gravierend verändert. Suchten damals hiesige Industrieunternehmen in Südeuropa nach billigen Arbeitskräften für ihre Fabriken, denken heute Firmen darüber nach, wie sie studierte Informatiker und Ingenieure aus Europa ins Land holen können.

Vertraute Umgebung bevorzugt

Juan Antonio Artigas, GFT Spanien: "In einem internationalem Team geht jeder anders an die Lösung eines Problems heran - das ist nicht was man in der Schule lernt."
Foto: GFT

"Deutschland hat einen guten Ruf, und es ist für Spanier attraktiv, für einige Jahre hierher zum Arbeiten zu kommen", erzählt Juan Antonio Artigas in perfektem Deutsch. Den 43-Jährigen zog es 2009 zum ersten Mal für ein IT-Projekt nach Frankfurt am Main.

Momentan arbeitet er zwar in Deutschland, Teil seiner Aufgabe ist es aber, sich regelmäßig mit den Kollegen in Spanien vor Ort auszutauschen. "In Deutschland habe ich mehr Möglichkeiten, die Projekte sind interessanter und größer", erzählt Artigas. Noch in Spanien besuchte er einen Deutschkurs, um sich gut vorbereitet auf die Jobsuche zu begeben. Zwar sei es gerade im IT-Umfeld nicht unbedingt notwendig, die Landessprache zu sprechen, doch gleich in seinem ersten Projekt arbeitete der Spanier in einem rein deutschsprachigen Team: "Die Arbeitssprache war Englisch, doch ohne Deutschkenntnisse hätte ich viel weniger von den Zwischentönen mitbekommen."

Artigas bereut es keineswegs, dass er vor einigen Jahren den Schritt gewagt hat, nach Deutschland zu kommen. "IT-Kenntnisse sind standardisiert und das Expertenwissen überall gleich. Doch ich habe viel auf der persönlichen und kulturellen Ebene dazugelernt. In einem internationalen Team geht jeder anders an die Lösung eines Problems heran. Das ist nichts, was man in der Schule lernt."

Bettina Mann, GFT: "Die Zahl der Bewerbungen in Spanien ist in den vergangenen Monaten kaum angestiegen."
Foto: GFT

Der IT-Dienstleister GFT verfügt über mehrere Niederlassungen auf der iberischen Halbinsel und in Brasilien. Mitarbeiter können sich je nach Auftragslage für andere europäische Länder bewerben, wobei es mehr IT-Spezialisten aus Spanien nach Deutschland zieht als umgekehrt. "Wir sind gut mit unseren HR-Kollegen in Spanien und Brasilien vernetzt und tauschen uns regelmäßig aus", berichtet Bettina Mann, verantwortlich für das Personalwesen von GFT in Deutschland. Das Recruiting finde im jeweiligen Land statt, da die Kollegen die Bedingungen des dortigen Arbeitsmarkts am besten kennen. Dass die Bewerber allerdings noch zögern, ihre vertraute Umgebung zu verlassen, kann die GFT-Personalerin immer wieder beobachten: "Die Zahl der Bewerbungen in Spanien ist in den vergangenen Monaten kaum angestiegen."

Im Projekt spricht man Deutsch

Umgekehrt wagen es die über Fachkräftemangel klagenden deutschen Firmen nur selten, sich in Südeuropa nach neuen Mitarbeitern umzusehen. Viele sind unsicher, wie der dortige Arbeitsmarkt und die Bewerbersuche funktionieren oder an welche Universitäten sie sich wenden sollen. Obwohl die Studienabschlüsse europaweit seit der Bologna-Reform leichter vergleichbar sind, herrschen hierzulande Skepsis, manchmal auch Vorurteile und Arroganz zu der Frage, was von südeuropäischen Absolventen zu erwarten sein könnte.

Ein mittelständisches IT-Beratungsunternehmen, das nicht genannt werden möchte, fürchtet vor allem die Kosten und den Aufwand, Interessenten in Südeuropa anzuwerben und von einem Umzug nach Deutschland zu überzeugen. "Unsere Kunden erwarten, dass die Berater in den Projekten auch Deutsch sprechen", so ein häufig genanntes Argument.

Doch es gibt durchaus Überlegungen, das Potenzial zu nutzen und einzelne Entwicklungsprojekte nicht nach Indien, sondern nach Südeuropa auszulagern. Dafür sprechen die guten IT-Kenntnisse der Südeuropäer und das günstige Kostenniveau.

Die gut ausgebildeten Fachkräfte in Ländern mit hohen Arbeitslosenzahlen zögerten zuletzt oftmals noch, sich auf den Weg ins ferne Deutschland zu machen. Nach den Beobachtungen des Informatikprofessors Carlos Delgado Kloos, der in Madrid an der Universidad Carlos III lehrt, ändert sich das aber langsam, und einige Studenten erkundigen sich bei Delgado Kloos nach Jobperspektiven im Ausland: "Viele junge Leute waren häufig im Ausland auf Reisen und denken jetzt auch über die besseren Jobchancen im Norden nach."

Europas beliebteste Arbeitgeber
Platz 1: Google
Zum zweiten Mal in Folge wählen Europas Informatikstudenten den Suchmaschinenanbieter Google als ihren Favoriten, wenn es um die Wahl des künftigen Arbeitgebers geht.
Platz 2: Microsoft
Der Softwareriese Microsoft verbesserte sich um einen Platz und belegt nun den zweiten Rang in der Skala der begehrtesten europäischen IT-Arbeitgeber.
Platz 3: IBM
Dafür verschlechterte sich IBM um einen Rang und belegt nun Platz drei. Man muss dem weltgrößten IT-Anbieter zugute halten, dass er seit Jahren in diesen Rankings sehr gut abschneidet
Platz 4: Apple
Apple genießt Kultstatus. Obwohl das Unternehmen ganz selten eine Stelle ausschreibt, möchte der Computernachwuchs in der Firma von Steve Jobs arbeiten.
Platz 5: Intel
Intel verschlechtert sich um einen Platz und landet in diesem Jahr auf Rang fünf. Der Chiphersteller hat es mittlerweile geschafft, auch unter Entwicklern als interessanter Arbeitgeber zu gelten.
Platz 6: Cisco
Cisco hat sich vom neunten auf den sechsten Platz vorgearbeitet und hat in den letzten Jahren fleißg an seinem Image als weltweit größter Netzanbieter, der die Arbeitsplätze von morgen ausstattet, gearbeitet.
Platz 7: Nokia
Endlich der erste Europäer: Wie auch im vorigen Jahr belegt Nokia Platz sieben und durchbricht die Vorherrschaft der amerikanischen Arbeitgeber.
Platz 8: Oracle
Denn schon auf Rang acht folgt wieder eine US-Firma. Der Datenbankanbieter Oracle kämpfte sich vom 14. Platz unter die Top-Ten.
Platz 10: Siemens
Gerade noch in die Top Ten schaffte es die zweite europäische und erste deutsche Firma: Siemens. Der Münchner Weltkonzern hat seine skandalträchtigen Monate hinter sich und blickt optimistisch nach vorne – verbesserte sich um zwei Plätze.

Fachlich läuft es gut

"Heute ist es viel einfacher, ins Ausland zu gehen, als in den 1960er Jahren." Der Informatiker weiß, wovon er spricht, denn Delgado Kloos hat an der Technischen Universität in München promoviert und kennt aufgrund seiner zweisprachigen Erziehung beide Länder gut: "Die Sprache ist das Problem", fachlich sieht er für seine Studenten keine Schwierigkeiten, zumal zu ihrer Ausbildung auch gutes Englisch zählt. Doch selbst wenn in vielen Konzernen Englisch als Standard gilt, gestalte sich der Alltag ohne Deutschkenntnisse kompliziert.

Volker Zimmermann von der Information Multimedia Communication AG (IMC) aus Saarbrücken arbeitet seit einigen Jahren mit Hochschulen in Madrid und Barcelona in Forschungsprojekten zusammen. Der IMC-Vorstand könnte sich gut vorstellen, gezielt Informatiker nach Saarbrücken zu holen. Fehlende Deutschkenntnisse wären für sein Unternehmen kein Problem, doch Zimmermann vermutet, dass es junge Spanier mehr nach Berlin als nach Saarbrücken zieht. "Viele wollen in die Hauptstadt gehen, weil sie Berlin von Reisen her kennen und schätzen", so seine Beobachtung. Zimmermann kann sich gut vorstellen, Bewerbern auch einen Arbeitsplatz im Saarland anzubieten, wenngleich er keine große Recruiting-Initiative plant.

IMC arbeitet auch mit IT-Experten aus Osteuropa zusammen. 2005 baute das Unternehmen eine Niederlassung für Softwareentwicklung in Rumänien auf, die inzwischen 16 Mitarbeiter beschäftigt. "Wir arbeiten mit den dortigen Kollegen auf Augenhöhe, gesprochen wird Englisch", sagt Zimmermann. "Arbeitsmoral und Mentalität passen gut zu uns."

Wenig internationale Teams

Natalia Müller, IMC: "In Deutschland sind die Studien- und Arbeitsbedingungen viel besser als in Rußland."
Foto: IMC

Gute Karrierechancen veranlassten auch Natalia Müller und ihre Eltern, als sogenannte Spätaussiedler Russland den Rücken zu kehren und in Deutschland ihr Glück zu suchen. Natalia Müllers in Russland abgeschlossenes Betriebswirtschaftsstudium wurde allerdings hierzulande nicht anerkannt, deshalb entschloss sie sich, in Saarbrücken Wirtschaftsinformatik anzuschließen. Seit 2010 arbeitet sie nun für IMC. "In Deutschland sind die Studien- und Arbeitsbedingungen viel besser als in Russland", vergleicht sie.

Auch ohne den Modebegriff Diversity zu bemühen, könnten Firmen und Bewerber von mehr Vielfalt und Offenheit profitieren. Doch vermutlich wird es eine Weile dauern, bis junge Europäer und deutsche Unternehmen zusammenfinden. "Bisher suchen nur wenige deutsche Firmen im Ausland nach IT-Spezialisten", beobachtet Personalberater Jürgen Rohrmeier von Pape Consulting aus München. Zwar gebe es immer wieder Arbeitgeber, die ein internationales Team aufbauen möchten, doch solche Anfragen seien die Ausnahme.

Arbeiten in Europa

Innerhalb der Europäischen Union gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit, das heißt, EU-Bürger können frei über ihren Wohn- und Arbeitsort entscheiden. Bewerber aus Drittstaaten benötigen in Deutschland eine Arbeitserlaubnis. Unternehmen, die selbst keine Niederlassungen im europäischen Ausland haben oder weder Kapazitäten noch Erfahrung, dort nach Mitarbeitern zu suchen, können den Service der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) nutzen. Die ZAV kooperiert seit nahezu 20 Jahren in einem Netzwerk der öffentlichen Arbeitsverwaltungen in Europa (Eures).

Dieses Netzwerk unterstützt Arbeitnehmer bei der Jobsuche und berät Firmen, die Mitarbeiter innerhalb Europas suchen. Gemeinsam mit den europäischen Partnerverwaltungen veranstaltet die ZAV beispielsweise auch Jobmessen in vielen europäischen Ländern.

Weitere Infos unter ww.zav.de oder www.arbeitsagentur.de.