Banden-Kriminalität auf Vorstandsebene - Siemens unter Schock

23.11.2006
Die Enthüllungen über eine Bande teils hochrangiger krimineller Mitarbeiter und die Unterschlagung von rund 200 Millionen Euro haben den Siemens-Konzern in einen Schockzustand versetzt.

"Das ist erschütternd", sagte ein Siemens-Funktionsträger am Donnerstag. Mit der Verhaftung eines früheren Bereichsvorstands und durch die Beteiligung von Mitarbeitern im Bereich des Controllings habe die Affäre inzwischen eine Dimension erreicht, die kaum jemand im Haus für möglich gehalten habe. Siemens-Vorstandschef Klaus Kleinfeld versuchte, mit der Ankündigung eines harten Vorgehens in die Offensive zu kommen.

Offiziell wollen sich derzeit nur wenige bei Siemens zu dem Skandal äußern. "Ich persönlich arbeite seit 25 Jahren für den Konzern, und es bewegt mich sehr, was da vorgeht", sagte am Donnerstag der Chef der Siemens-Tochter Osram, Martin Goetzeler. Er könne nur versichern, dass "der gesamte Vorstand von Siemens und die Führungsmannschaft daran interessiert sind, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden und dass die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft vollständig fortgesetzt wird".

Auch Kleinfeld kündigte eine schonungslose Aufklärung an. Mitarbeiter, bei denen sich der Verdacht auf ungesetzliches Verhalten erhärte, würden "unmittelbar suspendiert". Obwohl allerdings zum Beispiel der Geschäftsführer einer Siemens-Tochter seit einer Woche in Haft sitzt, hat es bisher offenbar noch keine Suspendierungen gegeben. In jedem Fall will der Konzern die Verhaltensregeln für seine Mitarbeiter deutlich verschärfen.

Experten betonen, wie wichtig das aktive Vorgehen eines Unternehmens gegen Korruption ist. Es reiche nicht, einmal Verhaltensregeln aufzustellen und sich ansonsten auf Staatsanwaltschaft und Polizei zu verlassen. "Korruption ist ein Kontrolldelikt", sagte Stefan Heißner, Korruptionsexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young, in München. Fälle würden meist nur durch aktive Maßnahmen oder Hinweise aufgedeckt.

Auch Maxim Worcester vom weltweit aktiven Beratungskonzern Control Risks betont, dass es mit einfachen Verhaltensregeln nicht getan ist. "Sie müssen auch nach innen und außen gelebt und vertreten werden." Die Beratungsfirma stellt vielfach fest, dass die Regeln in den Unternehmen kaum bekannt sind. "Das muss von den Chefs und Managern immer wieder thematisiert werden."

Trotz der enormen Dimension des Falles wird im Umfeld des Konzerns betont: "Das ist nicht Siemens." Zum einen handle es sich bei den etwa ein Dutzend Verdächtigen verglichen mit den weltweit über 450.000 Beschäftigten um eine kleine Zahl. Zudem konzentrierten sie sich vor allem auf einen Bereich des breit aufgestellten Konzerns - die Festnetzsparte Com.

"Wir haben es offenbar mit einer Com-Bande zu tun." Zumindest die politische Verantwortung für die Vorfälle wird dabei derzeit von vielen Thomas Ganswindt zugeschrieben. Der Manager war Chef der früheren Festnetzsparte ICN und verantwortete das Geschäft eine Zeit lang im Zentralvorstand. Allerdings hat er den Konzern vor einigen Wochen verlassen.

Siemens macht seit Jahren den Großteil seiner Geschäfte im Ausland. Heute zum Beispiel verkündete der Konzern einen Großauftrag aus Saudi-Arabien. Für mehr als 100 Millionen Euro soll Siemens die prozesstechnische Ausrüstung für eine Stahlanlage liefern. Im vergangenen Geschäftsjahr machte das Auslandsgeschäft 81 Prozent des Gesamtumsatzes von 87 Milliarden Euro aus. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Denn das Wachstum der Auftragseingänge - der Umsatz von morgen - um 15 Prozent im Geschäftsjahr 2005/06 ist praktisch allein auf neue Auslandsorders zurückzuführen. In Deutschland wuchsen die Bestellungen um gerade einmal ein Prozent.

Besonders stark ist das Wachstum bei Siemens - wie bei vielen anderen deutschen Unternehmen auch - in Regionen, die beim Korruptionsindex von Transparency International eher schlechter abschneiden. So legten die Siemens-Auftragseingänge in Afrika, dem Mittleren Osten und in Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion (plus 35 Prozent) noch stärker zu als in der Boomregion Asien-Pazifik (plus 26 Prozent). Allerdings gibt es Fälle von Korruption in allen Staaten der Welt. So hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei frühere Siemens-Manager wegen des Verdachts der Schmiergeldzahlung für Aufträge in Italien erhoben.

Auch in der Struktur des Geschäfts gab es bei Siemens in den vergangenen Jahren einen Wandel. Von dem Verkauf von Konsumprodukten hat sich der Konzern in den vergangenen Jahren teilweise oder ganz verabschiedet. So gingen die Hausgeräte und die Computer in ein Gemeinschaftsunternehmen, die Handys wurden an BenQ abgegeben. Stattdessen positioniert sich Siemens als Infrastruktur-Anbieter, der stark von langfristigen Großaufträgen profitiert, die teilweise staatlich vergeben werden. (dpa/tc)