Ausgründungen als Basis für den Aufschwung

20.01.2003 von Manfred Bremmer
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach Meinung vieler Risikokapitalgeber ist die gegenwärtige Wirtschaftslage ein schlechter Nährboden für frisch gegründete Startups. Ausnahme sind Spinoffs, Ableger etablierter Unternehmen, die neben einer innovativen Technologie auch ein erfahrenes Management aufweisen.

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Auch wenn der deutsche IT-Markt laut Bitkom-Prognose im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent eingebrochen ist, sehen alte Hasen wie Klaus Plönzke mit 35 Jahren Branchenerfahrung darin noch keine Katastrophe - obgleich die Zahl der Insolvenzen, Übernahmen und Entlassungen dramatisch klingt: „Sicher ist die gegenwärtige Situation schwierig, aber ich denke, dass es wieder aufwärts geht“, erklärt der engagierte Business Angel. Der Markt sei schließlich noch immer riesig.

Allerdings befindet sich die IT-Szene hierzulande in einer fatalen Zwickmühle: So verlangt die Konjunkturflaute einerseits, dass in allen Bereichen drastisch an der Kostenschraube gedreht und sich auf das vermeintliche Kerngeschäft konzentriert wird. Andererseits müssten IT-Anbieter ihre Forschungs- und Entwicklungsbudgets aufrechterhalten oder sogar aufstocken, um neue Investitionsanreize für die Kunden zu schaffen. Folglich ist das Risiko groß, dass die Innovation in traditionellen Segmenten auf der Strecke bleibt oder weiteren Unternehmen vor dem erhofften Aufschwung der Saft ausgeht.

Jedoch zeichnet sich ein neuer Trend bei den Investments ab, und die Gilde der Venture-Capital-(VC-)Gesellschaften könnte der IT-Branche in Sachen Innovation und Einsparungen auf die Sprünge helfen. Zugegeben, die Ausgangsbedingungen sehen nicht gerade vielversprechend aus: So ist den Beteiligungsgesellschaften nach dem Platzen der Dotcom-Blase die Lust am Risiko spürbar vergangen. Zudem behagt den VC-Firmen nicht, dass viele Newcomer wegen der anhaltenden Konjunkturschwäche ihre Wachstumsprognosen gesenkt haben und der Exit über den Börsengang immer noch versperrt ist. Häufig genügen Startups aber auch den gestiegenen Qualitätsansprüchen der Investoren nicht mehr. Als Konsequenz setzen die Geldgeber bei ihren Investments nun vorwiegend auf bewährte „Neulinge“, die schon einmal Risikokapital erhalten haben. Ein zusätzlicher Grund hierfür ist allerdings auch, dass einige Sorgenkinder weiteres Geld benötigen, um dem Untergang zu

entgehen.

Glaubt man den Zahlen des Branchenbarometers „VC-Panel“ von der Münchner Beratungsgesellschaft Mackewicz & Partners, ging der Anteil der Erstinvestments an den Beteiligungen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2002 gegenüber dem Vorjahr von 36 auf knapp über 20 Prozent zurück - Tendenz weiter fallend. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 hatte die Quote der Erstinvestments noch 59 Prozent betragen. Der Rückgang wird von den VCs jedoch vorwiegend als positiv bewertet. So sehen zwei Drittel der Firmen darin das Resultat eines verstärkten Ausleseprozesses.

Gründer werden abgeschreckt

Rund die Hälfte der 42 Befragten wies allerdings darauf hin, dass die derzeitig schwierige Situation potenzielle Gründer abschreckt: „Wer hat schon Lust, ein Jahr oder länger einer Finanzierung hinterherzujagen“, gibt etwa der VC-Panel-Initiator Detlef Mackewicz zu bedenken. Immerhin 17 Prozent der Kapitalgeber sind sich jedoch bewusst, dass die geringe Zahl der Neuinvestments in einigen Jahren zu einem Mangel an reiferen Startups führen könnte.

Einer Umfrage von Haarmann Hemmelrath Management Consultants zufolge sehen aber nur noch etwa sechs Prozent von 80 Beteiligungsgesellschaften die Notwendigkeit, ihre Portfolios deutlich zu bereinigen. Außerdem rechnen laut Studie fast zwei Drittel der befragten Risikokapitalgeber in diesem Jahr mit einer leichten bis deutlichen Belebung im Beteiligungsgeschäft. Im Trend liegen bei künftigen Investitionen vor allem Ausgründungen oder Spinoffs. Laut VC-Panel sehen die Risikokapitalgeber in ihnen gegenwärtig die interessanteste Chance für die Gründung neuer Venture-Unternehmen.

„Während in der Hochzeit der New Economy die Geschäftsidee fast allein entscheidend war, konzentrieren sich Investoren nun vor allem auf die Qualität des Managements“, erklärt Katrin Horstmann, Geschäftsführerin der VC-Gesellschaft B-Business Partners. So sei ein vollständiges und kompetentes Führungsteam bei Unternehmens-Spinoffs häufiger vorhanden als bei Startups aus Universitäten oder Forschungseinrichtungen.

Die Managerin sieht in den Ausgründungen zunehmend interessante Investitionsmöglichkeiten, die neben den „klassischen“ Beteiligungen schnell an Bedeutung gewinnen könnten. So verfügt eine auszugliedernde Abteilung in der Regel bereits über eine gefestigte Organisation, gleichzeitig sind in einem großen Unternehmen die Ressourcen für eine „Idealbesetzung“ des Managements reichlich vorhanden. Mit einer starken Muttergesellschaft im Rücken sei die Bereitschaft von Managern zudem größer, die Leitung eines jungen Unternehmens zu übernehmen, erläutert Horstmann. „Normale Startups tun sich derzeit nämlich schwer, Topmanager zu gewinnen.“

Auch die Konzerne könnten aufgrund der Zwickmühle somit von dem Trend profitieren: Ihnen eröffnet sich die Möglichkeit, Randbereiche auszugliedern, um sich verstärkt auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Durch das „Streamlining“ steigen die Chancen, wieder zu früherem Wachstum und Profit zurückzukommen, sagt die Managerin von B-Business Partners. Dass VC-Firmen wie Wellington, B-Business oder 3idabei nicht das Rad neu erfinden mussten, zeigen Ausgründungen der Vergangenheit. So gingen etwa aus dem TK-Konzern AT&T die Firmen NCR und Lucent Technologies hervor. Letztere gründete wiederum selbst den Chiphersteller Agere Systems und die Netzwerkfirma Avaya aus.

Ein relativ bekanntes Beispiel hierzulande ist die Webwasher.com AG aus Paderborn: Ausgehend von einer Idee für eine innovative Internet-Filtersoftware bei einem Workshop, machten sich drei Siemens-Entwickler im Oktober 1999 selbständig. Dabei wurden sie durch Risikokapital der Siemens Venture Capital GmbH und der Schweizer Beteiligungsgesellschaft Invision AG unterstützt. Inzwischen unterhält das profitable Spinoff zahlreiche Niederlassungen, die Webwasher-Produkte werden nach Firmenangaben inzwischen von mehr als einer Million Anwendern in Unternehmen sowie von über fünf Millionen privaten Nutzern verwendet.

Geldspritze in der Krise

Auch im Krisenjahr 2002 konnten sich IT-Spinoffs eine Erstfinanzierung sichern. So beteiligte sich etwa die Münchner VC-Gesellschaft Wellington Partners mit 1,5 Millionen Euro an der Gardenos GmbH. Die Ausgründung der Siemens-Sparte ICN hat eine integrierte Software für den Betrieb von Wireless LANs entwickelt, die Bereiche von der Zugangskontrolle bis zur Abrechnung abdeckt. Dass im Zusammenhang mit deutschen IT-Spinoffs häufig der Name Siemens fällt, ist kein Zufall: Der Konzern ist groß, besitzt ein weitgefächertes Technologiespektrum und darüber hinaus eine eigene Venture-Gruppe.

Fraunhofer-Gesellschaft Auch in anderen Bereichen wächst die Bereitschaft, der Gründerwelle neue Kraft zu verleihen: So will die Fraunhofer-Gesellschaft, Geburtsstätte innovativer Erfindungen wie des MP3-Formats und Wiege von mehr als 15 IT-Spinoffs, eine eigene Venture-Gesellschaft ins Leben rufen. Diese Einrichtung soll unter anderem helfen, die Zurückhaltung der Risikokapitalgeber bei Investments in der Seed- beziehungsweise Frühphase für technologieorientierte Ausgründungen zu kompensieren. Laut Thomas Doppelberger, Leiter der Venture-Gruppe, sind die Verhandlungen mit Investoren bereits fortgeschritten. Wenn dabei alles glatt geht, soll die Gesellschaft „zeitnah“ gegründet werden.

Als Beispiel für ein Spinoff der Deutschen Telekom AG, die ähnliche Charakteristika wie Siemens aufweist, wäre der Nanotechnologie-Spezialist Nawotec GmbH aus Darmstadt zu nennen. Das Unternehmen startete im Dezember 1999 als Ausgründung des TK-Konzerns, unterstützt durch Personal, Infrastruktur, Patente und Risikokapital der VC-Tochter T-Venture. Mit diesem Rüstzeug hat das Startup ein Verfahren zum Aufbau komplexer Nanostrukturen mit Hilfe eines Elektronenstrahls entwickelt. Mit der Technik lassen sich Mikrochips nachträglich im Nanometer-Bereich bearbeiten. Erst vor kurzem konnte sich das Spinoff in der dritten Finanzierungsrunde weitere sechs Millionen Euro Venture-Kapital sichern, um ein erstes Produkt weltweit zu vermarkten und die Entwicklung weiterer Anwendungen für die Nanostrukturierung voranzutreiben.

Aber auch branchenfremde Mütter können ein IT-Spinoff zur Welt bringen. So wäre es möglich, dass sich die IT-Abteilung eines Automobil- oder Chemiekonzerns selbständig macht, um etwa ein internes Personalverwaltungssystem weiter zu vermarkten. „Investoren konzentrieren sich nun vor allem auf die Qualität des Managements.“ Katrin Horstmann, Geschäftsführerin von B-Business Partners