Raues Klima im Internet

Ausgefahrene Ellenbogen

01.12.2004 von Lars Reppesgaard
Der Online-Buchhändler Amazon und der Diogenes-Verlag rangen fast fünf Monate um Lieferkonditionen und Rabatte. Das Ergebnis sollte am E-Commerce interessierte Mittelständler vorsichtig machen.

ERFAHRENE VERKÄUFER erblassen vor Neid, wenn die Namen Amazon oder Ebay fallen. Doch problemlos ist die Zusammenarbeit mit den neuen Riesen im Handelsgeschäft nicht - im Gegenteil. Es sei einfach nun ein Punkt erreicht, an dem man beschlossen habe, sich nicht weiter „auswringen“ zu lassen, schimpfte Ende Mai dieses Jahres Stefan Fritsch, der kaufmännische Geschäftsführer des Diogenes-Verlags in Zürich.

Fritschs Zorn ist verständlich. Amazon verlangte von den Verlagen extrem hohe Rabatte - eine Forderung, die Diogenes nicht in voller Höhe erfüllen wollte. Der Online-Händler listete daraufhin alle Diogenes-Titel aus. Wer auf der Plattform nach Büchern von Donna Leon oder Paul Coelho suchte, merkte jedoch nur anhand des dezenten Hinweises „Anbieter versendet in 1 bis 2 Tagen“, dass das Buch von einem Versandhändler und nicht von Amazon direkt angeboten wurde. Das Kräftemessen zwischen Amazon und Diogenes dauerte beinahe fünf Monate. Mitte Oktober einigte man sich schließlich auf neue Lieferkonditionen, bei denen Diogenes nach Ansicht von Experten vermutlich Abstriche machen musste. „Die Handelsseite hat in den meisten Branchen auch offline eine gewaltige Macht und diktiert den Zulieferern die Bedingungen“, sagt Dr. Michel Clement vom Lehrstuhl für Innovation, Neue Medien und Marketing an der Christian-Albrechts- Universität in Kiel. Das gilt auch für den Buchhandel, wo im Laufe der Jahre wie in anderen Branchen Firmenriesen entstanden sind, die selbst große Verlagsgruppen in den Schatten stellen. Filialunternehmen wie Thalia oder Hugendubel setzen mehrere hundert Millionen Euro im Jahr um.

Erster Widerstand

Der Größte unter den Buchhändlern ist aber mittlerweile Amazon, 520 Millionen Euro Umsatz erzielte das Unternehmen 2003 allein mit Büchern. Die Marktmacht nutzt der Online-Händler aus. Die vier Wochen laufende Präsentation als „Autor des Monats“ lasse sich Amazon mit 7500 Euro bezahlen, die „Neuheit der Woche“ mit 5000, ein einmaliges Kunden- Mailing mit 2500 Euro. Stationäre Buchhändler legen dagegen Bücher kostenlos ins Schaufester. Darüber beklagen sich bei Gesprächen auch andere Verlage. Diogenes ist aber der erste Mittelständler, der dem Riesen die Stirn bot. „Wir möchten uns nicht zum Robin Hood der Branche stilisieren lassen, aber Amazon erbringt eine reine Logistikleistung; jeder Buchhändler tut für die Bücher mehr“, erklärte Fritsch der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ den Schritt.

Geschäftskultur-Schock

Beim Aufeinanderprallen des renommierten Verlages und des Internet- Unternehmens ging es aber nicht nur um Prozentpunkte, wie bei dem klassischen Konflikt zwischen einem Hersteller und einem wichtigen Großkunden. Diogenes kommt aus einer Branche, die sich als Wahrer eines Kulturgutes versteht und in der das kooperative Miteinander von Verlagen, Großhändlern und Buchhandlungen lange die Zusammenarbeit bestimmte. Vor diesem Hintergrund hält Thorsten Wichmann, Geschäftsführer der Berlecon Research GmbH in Berlin, den Streit zwischen Diogenes und Amazon auch für ein Aufeinanderprallen von Geschäftskulturen. Andere Unternehmen, die beispielsweise Digitalkameras herstellen, seien erfahrener bei Verhandlungen mit hemdsärmeligen Großhändlern, denn auch mit den stationären Discountern müssen sie um jedes Komma hinter dem Cent feilschen.

Das Fazit der Handelsexperten: Wer über die großen Plattformen wie Amazon oder Ebay handeln will, muss sich vergegenwärtigen, dass die nach ihren eigenen Regeln arbeiten und nicht nach denen, die für Weiterverkäufer aus der Branche üblich sind. „Zwar hatte Diogenes im Vergleich zu einem Hersteller von CD-ROMs oder einem Anbieter von Digitalkameras eine verhältnismäßig gute Position, um über Konditionen zu verhandeln“, sagt Michel Clement. Während es beim Abverkauf für die Kunden praktisch egal sei, welche Marke einer Leer-CD oder Digitalkamera im Angebot ist, seien Paul Coelho oder Donna Leon in einem Büchersortiment nicht zu ersetzen.

Doch kein anderer Verlag ist dem Beispiel der Züricher gefolgt, die Branche hat nicht vereint Amazons Konditionen auf den Prüfstand gestellt. Und wenn sie allein kämpfen, ziehen selbst große Markenhersteller wie Ferrero laut Clement beim Streit um die Rabatte der Großabnehmer in der Regel den Kürzeren. Er warnt deshalb Mittelständler einerseits davor, einem einzigen Online-Absatzkanal blind zu vertrauen, auch wenn sich derzeit für viele Anbieter das Geschäft über den Ebay-Shop oder das Listing bei Amazon besonders dynamisch entwickelt. Andererseits müssten die ausgefahrenen Ellenbogen der Online- Riesen in die Kalkulation miteinbezogen werden, denn Sinn mache es trotzdem, die neuen Absatzkanäle zu nutzen. „Amazon und Ebay sind starke Marken, die viele Leute anziehen. Dort gewinnt man derzeit Kunden und nicht als unbekannter Online-Händler.“