Mit Standards in die Cloud

Aufs Wesentliche konzentrieren

15.11.2011 von Christa Manta
Noch immer stehen Tausende Features auf der ERP-Wunschliste der Mitarbeiter. Zu viel für die Cloud, meinen Analysten. On-demand können kleine und mittelständische Unternehmen zum gleichen Preis auf IT-Ressourcen zurückgreifen wie große Konzerne. Vorher jedoch müssen Standards her. Erst dann sollten sie Anwendungen wie ihr CRM- oder ERP-System in die Cloud verlagern.
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Dass sich ein Unternehmen, das Schuhe herstellt, auf das Herstellen von Schuhen konzentrieren sollte und nicht auf Informationstechnologie, leuchtet den meisten Menschen spontan ein. Dass es besonders gut auf seine Ideen, Innovationen sowie geschäftskritischen Daten achten muss, auch. Dies scheint das Hauptdilemma zu sein, in dem sich Unternehmen befinden, die über den Wechsel in die Cloud nachdenken. Kann ich meine IT-Infrastruktur und selbst Kernanwendungen wie CRM oder ERP an einen Cloud-Anbieter auslagern und trotzdem sicher gehen, dass meine Daten in den richtigen Händen und meine Geschäftsprozesse gut abgebildet sind?

Noch immer Ängste mit im Spiel

Einer Befragung des Marktforschers IDC unter 235 deutschen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern zufolge fassen mehr als zwei Drittel der Firmen eine Cloud-Strategie ins Auge; fast 30 Prozent wollen Cloud-Services in so vielen Bereichen wie möglich einsetzen. Die erwarteten Vorteile: mehr Flexibilität und Agilität, eine schnellere Implementation und bessere Skalierbarkeit, geringere Kosten für Investition, Support und Administration und nicht zuletzt ein professionelleres Security-Management durch den Anbieter. Gleichzeitig hemmt aber auch die Angst vor Kontrollverlust den Investitionseifer: Die gegenüber IDC am häufigsten genannten Hürden für Unternehmen, Services aus der Public Cloud zu nutzen, sind Zweifel an der Performance und Verfügbarkeit der Angebote (24 Prozent), Fragen der Compliance (24 Prozent) sowie nach der Governance, also danach, wie die IT die Unternehmensstrategie und -ziele unterstützen kann (34 Prozent).

"Derzeit werden vor allem Lösungen aus der Cloud nachgefragt, die auch schon in der On-Premise-Welt hoch standardisiert sind, etwa für den Bereich Collaboration", berichtet Steve Janata, Cloud- Computing-Experte und Analyst beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Experton Group: "Aber auch das Interesse an CRM-on-Demand wächst". Und das mache Sinn: Unternehmen, die ihre Lösungen für das Kundenbeziehungsmanagement On Premise beziehen, zahlen einen hohen Preis für Investition, Unterhalt und Expertise. Was hingegen die Verlagerung ihrer ERP-Systeme in die Cloud angeht, seien deutsche Unternehmen noch vorsichtig

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Fehlender Mut, mehr Standards durchzusetzen

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"Der Mittelstand macht einen Fehler, wenn er denkt, seine ERPLösung müsse hoch individualisiert sein und könne daher nicht on-demand bezogen werden," sagt Janata. Die Wunschlisten der Mitarbeiter seien meist sehr lang, bei der Wahl eines neuen Systems würden gefühlte 2500 Features genannt, im Arbeitsalltag längst nicht alle gebraucht. Aber der Ressourcenaufwand für eine selbstgestrickte ERP-Lösung stehe in keinem gesunden Verhältnis zu den damit erzielten Vorteilen. Als wichtigen Grund für die Zurückhaltung deutscher Unternehmen, ihr Enterprise Resource Planning einem Cloud-Anbieter anzuvertrauen, sieht Janata auch im mangelnden Mut der Firmen, Standards durchzusetzen. Aktuelle Zahlen bestätigen das: Laut Marktforscher Gartner hält CRM mit 3,8 Milliarden Dollar Umsatz 2011 den größten Anteil an dem rund 12 Milliarden US-Dollar schweren Markt für Software-as-a-Service, gefolgt von Lösungen für Content, Communications und Collaboration mit prognostizierten 3,3 Milliarden Dollar Umsatz. Weniger stark verbreitet ist SaaS im ERPMarkt mit erwarteten Einnahmen von 1,7 Milliarden US-Dollar.

Patriot Act vs. Europäisches Datenschutzrecht

"Wer jetzt den Mut hat, mehr Standards durchzusetzen, etwa mit einer On-Demand-Lösung für ERP, kann Gelder sparen und in Wichtigeres als die Pflege der Kundenbeziehungen investieren", sagt Janata. Zugleich müssten sich die Unternehmen den Fragen nach IT-Sicherheit, Compliance und Datenschutz stellen: "Dass ein Cloud-Anbieter höhere Standards bei der IT-Security einhalten kann als ein Mittelständler, der ein eigenes Rechenzentrum betreibt, ist längst kein Geheimnis mehr." Berechtigt hingegen seien Bedenken bezüglich Compliance und Datenschutz. "Ein Unternehmen, das den Datenschutz ernst nimmt und das Wort Compliance buchstabieren kann, sollte derzeit nicht in die Public Cloud eines US-Anbieters gehen", rät der Experte. In dem US-amerikanischen Patriot Act, einer Gesetzgebung, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 unter anderem US-Unternehmen verpflichtet, Daten ihrer Kunden herauszurücken, wenn das FBI oder andere US-Behörden an ihrer Tür klingeln, sieht Janata ein "massives Problem". Denn US-Cloud-Anbieter müssen die Daten selbst dann weitergeben, wenn sie von europäischen Unternehmen stammen oder gar in Rechenzentren auf europäischem Boden lagern. So räumte Microsoft im Juni ein, auf Verlangen Nutzerdaten aus Europa an die US-Behörden weiterreichen zu müssen. Auch Google bestätigte, dass auf europäischen Servern gespeicherte Daten nicht vom Zugriff der US-Behörden ausgeschlossen seien. Besonders prekär: Die US-Behörden können die Cloud-Anbieter in einem "National Security Letter " anweisen, betroffene Unternehmen erst gar nicht über die Weitergabe ihrer Daten zu unterrichten.

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Wenn das FBI vor der Tür steht

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Bis Industrie und Politik eine Lösung für den Konflikt im Datenschutzrecht gefunden haben, empfiehlt der Analyst, auf Cloud-Angebote aus Europa zurückzugreifen. "Erstmalig in der Geschichte der IT haben auch kleinere und mittlere Unternehmen die Chance, dieselbe IT mit der gleichen Performance und den gleichen Sicherheitsstandards zum gleichen Preis zu bekommen wie Großkonzerne", sagt Janata. Diese Chance sollten sie nutzen. Denn gerade in Krisenzeiten verschafft das flexible und preisgünstige Cloud-Modell Mittelständlern mehr Luft zum Atmen und ermöglicht ihnen, sich schneller an den "rhythm of the business" anzupassen.