Auf Wiedersehen, Tante Emma - Willkommen Future Store

17.10.2003 von Gabriele Müller
Einkaufen und IT haben viel gemeinsam. Läden aller Art kommen ohne Soft- und Hardware nicht mehr aus. Dennoch hängt dem Handel ein wenig attraktives Image an, wenn es um Job und Karriere geht - zu Unrecht.

Der Einkaufswagen spricht mit dem Kunden, und das Regal meldet den bevorstehenden Ausverkauf eines Produkts. Spätestens seit die Metro AG im Frühjahr ihren Future Store im niederrheinischen Rheinberg eröffnete, ist klar: Einkaufen hat viel mit IT zu tun. Dank eines Tablet PC am Einkaufswagen werden im Future Store alle Einkäufe registriert, bevor es zur Kasse geht. Das lästige Umschichten der Waren aus dem Wagen auf das Band entfällt, denn der digitale Assistent hat die Endsumme schon berechnet.

Foto: Joachim Wendler

Das ist nur eine von vielen Neuerungen, über die die Branche schon seit langem laut nachdenkt, genauso wie über intelligente Waagen- und Kassensysteme, die das Einkaufen angenehmer machen sollen. Hier ist sichtbar für den Kunden, was sonst im Hintergrund bleibt: "Ohne eine vernünftige IT-Infrastruktur ist der Handel nicht mehr wettbewerbsfähig", weiß Wilfried Malcher, Experte für Bildungsfragen beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in Berlin. "Data Warehouse, Efficient Consumer Response, Supply-Chain-Management und E-Logistik, mit den Themen beschäftigt sich die Branche im Moment."

Im Handel arbeiten drei Millionen Beschäftigte in 50000 Firmen - vom Kiosk an der Ecke bis zum Konzern ist alles vertreten. Aber geprägt scheint er durch wenige Großunternehmen wie Metro, Rewe, Edeka, Tengelmann, Aldi, Lidl, Otto, Wal-Mart oder Karstadt-Quelle, die international operieren, viele tausend Beschäftigte haben und ein breites berufliches Spektrum anbieten. Sie sind auch die Hoffnungsträger für die Zukunft: Durch ihre Größe und Marktmacht sind die Ketten und Konzerne viel unabhängiger von wirtschaftlichen Schwankungen als der Tante-Emma-Laden von nebenan.

Diskussion um Gehälter

Allein zur Metro Group gehören Marken wie Metro Cash & Carry, Kaufhof, Real, Extra, Media Markt/ Saturn und Praktiker. Insgesamt beschäftigt der Konzern mehr als 235 000 Mitarbeiter - davon arbeiten schon rund 40 Prozent im Ausland und erwirtschaften dort fast die Hälfte des Gesamtumsatzes. Trotz so viel Marktmacht und Größe, trotz Internationalität und Wachstum bestimmten bislang beim Thema Karriere im Handel allein die Arbeitszeiten und Gehälter die Diskussion. Das Image war wenig glamourös, dementsprechend hatten Unternehmen oft Mühe, die Fachleute für ihre IT-Abteilungen zu finden. Dazu kommt, dass der Einzelhandel besonders schnell auf konjunkturelle Schwankungen reagiert - und im vergangenen Jahr waren Schlagzeilen von sinkenden Umsätzen und vollen Lagern häufig zu lesen.

Die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner aus München prognostiziert sogar, dass ein Drittel aller deutschen Handelsunternehmen nicht mehr saniert werden kann. "Verlierer sind vor allem die traditionellen Fachgeschäfte und die Warenhäuser", zählt Wolfgang Groß, Geschäftsbereichsleiter Handel bei Dr. Wieselhuber & Partner auf. Die Konzentration setzt sich weiter fort, so dass die Großen von ihrer Dominanz profitieren und die Kleinen verlieren. Discountern, Handelsketten und dem Versandhandel bestätigt der Berater dagegen "klare Vermarktungskonzepte und hocheffiziente Prozesse".

Akademikeranteil steigt

Diese Unternehmen versprechen auch Young Professionals gute Karrierechancen. "Vorbei sind die Zeiten, in denen interessante Jobs und Führungspositionen nur mit Fachleuten besetzt wurden, die eine Lehre im Handel absolviert hatten", sagt Malcher. "In nicht wenigen Zentralen von großen Handelshäusern liegt heute der Akademikeranteil bei weit über 50 Prozent." Durch den ständigen Strukturwandel werden auch die Aufgaben für Betriebswirte oder IT-Spezialisten immer komplexer, die Jobs attraktiver, die Verdienstmöglichkeiten besser.

Das hat damit zu tun, dass sich der E-Commerce in aller Stille besser entwickelt als vermutet. Über 14 Millionen Menschen kaufen hierzulande regelmäßig im Netz ein. Laut HDE sind die Umsätze im Bereich Online-Shopping im ersten Halbjahr um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen, ein Plus von 38 Prozent erhofft sich der Verband für die zweite Jahreshälfte. Das ist in erster Linie ein Verdienst der Branchenriesen, die sich das virtuelle Einkaufen früh auf die Fahnen geschrieben haben.

Von zehn auf 20 Prozent will der Otto-Versand den Anteil seines Online-Geschäfts am Gesamtumsatz steigern. Dabei sind die Hamburger jetzt schon weltweit die Nummer zwei im Online-Versandhandel und erzielten im Business-to-Consumer-Geschäft derzeit jährlich 1,7 Milliarden Euro. Das macht sich auch in Neueinstellungen bemerkbar: Auf seiner Homepage sucht der Konzern Database-Spezialisten, Softwarebetreuer und Systementwickler für das gesamte Unternehmen.

Nach einem insgesamt eher mühsamen Anfang liegen die Deutschen jetzt also hinter den Amerikanern und den Koreanern weltweit auf Platz drei beim E-Commerce. Rolf Schäfer, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels (bvh), erklärt dies so: "Die Multi-Channelling-Strategie der Versender erhöht den Gesamtnutzen für den Konsumenten und veranlasst ihn zu Zusatzkäufen auf allen Kanälen."

Anders als anfangs vermutet, ist der E-Commerce kein Selbstläufer - er funktioniert nur nach bestimmten Spielregeln, bei denen das elektronisch gestützte Customer-Relationship-Management eine große Rolle spielt. Was hier gilt, trifft auch für die "E-Logistik" zu: Der Kunde, der einmal verprellt wurde, kommt nicht wieder. Da haben Versender wie Otto oder Quelle nicht nur langjährige Erfahrung - sie suchen auch IT-Profis zur Abwicklung komplexer Geschäftsvorgänge. Begehrt sind vor allem Entwickler und SAP-Spezialisten.

Vom Versandhandel haben es auch die anderen gelernt: Jedes Handelshaus, das etwas auf sich hält, ist im Netz vertreten und vertreibt auch dort Produkte und Dienstleistungen. So ist zum Beispiel die Rewe-Gruppe, zu der 3000 Supermärkte gehören, mit ihrer Touristik-Plattform Avigo oder verschiedenen Business-to-Business-Portalen im Web präsent. "Vernetzung von Märkten und Lieferanten ist bei uns im Moment generell ein großes Thema", sagt Katja Hoppmann vom Personal-Marketing der Rewe-Zentral AG.

Anwendungsentwickler gefragt

Um Bedarf und Anforderungen in Sachen IT zu bündeln, haben die meisten Handelsriesen eigene IT-Töchter gegründet, etwa die MGI GmbH bei der Metro AG oder die Itellium GmbH für die Karstadt-Quelle AG. Schon seit Anfang der 90er-Jahre arbeitet die Rewe-Informationssysteme GmbH als konzerneigener Dienstleister, hat sich in den vergangenen Jahren kräftig von 260 auf rund 500 Mitarbeiter verstärkt und wächst noch weiter. "45 neue Mitarbeiter sind in diesem Jahr allein in unserem IT-Bereich dazugekommen, und es sind ungefähr noch zehn weitere Stellen zu besetzen", sagt Hoppmann.

 Vor allem Anwendungsentwickler, zum Beispiel für den Bereich Data Warehouse, sind im Handel gefragt. Die findet auch Rewe heute leichter als noch vor einigen Jahren. "Die Anzahl der Bewerbungen, die wir erhalten, ist extrem angestiegen", heißt es aus der Kölner Rewe-Zentrale. Rund 800 Stellensuchende melden sich hier im Monat - ein Drittel davon aus dem IT-Bereich.

Ist der Handel als Arbeitgeber interessanter geworden? Neben einer allgemein schwachen Konjunktur spielen wohl weitere Faktoren eine Rolle: Gegen den Trend bauen die großen Handelsunternehmen ihren Personalbestand, wenn auch moderat, weiter aus. Sie versprechen, unabhängig von der derzeitigen Wirtschaftslage, sichere Jobs. Dazu kommt, dass "wir selbst unsere Aktivitäten im Bereich Personal-Marketing sehr verstärkt haben, um attraktiver für qualifizierte Bewerber zu werden", so Hoppmann. Schließlich lässt sich wohl auch das Vorurteil der niedrigen Gehälter nicht aufrecht erhalten. Ein Entwickler mit Berufserfahrung oder ein Betriebswirt in der Position eines Marktleiters können mit 40000 bis 50000 Euro Jahresgehalt rechnen, schätzt der HDE. -

Die größten Handelsunternehmen nach Umsatz 2002

>Metro Group 51,5 Mrd. Euro

>Rewe 37,4 Mrd. Euro

>Edeka 32,5 Mrd. Euro

>Aldi 27,3 Mrd. Euro

>Tengelmann 28,5 Mrd. Euro