Arag widersteht Outsourcing- Versuchung

10.03.2005 von Joachim Hackmann
Der Versicherungskonzern hat seine IT-Aktivitäten in externes und internes Geschäft zerlegt. Das Systemhaus Alldata soll verkauft werden, die für das Kerngeschäft erforderlichen IT-Services betreibt der Konzern selbst. Vom Outsourcing-Trend ließ sich das Arag-Management nicht beeindrucken.

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  • warum Arag seine IT-Tochter verkaufen will;

  • was diese Entscheidung mit der Out-sourcing-Frage zu tun hat;

  • wie der Versicherungskonzern diese Frage beantwortet hat;

  • welche Konsequenzen die Antwort nach sich zieht.

Im Arag-Tower wurde sorgfältig abgewogen.

Der Arag-Konzern will seine IT-Tochter Alldata veräußern: Diese Nachricht kam im November vergangenen Jahres nicht unerwartet. Der Verkauf von IT-Ausgründungen deutscher Konzerne war und ist keine Seltenheit, zuvor hatten schon Firmen wie Thyssen-Krupp, Vorwerk, Karstadt-Quelle und die Drägerwerke ihre IT-Töchter einem IT-Dienstleister übergeben. Doch der Arag-Konzern reiht sich nur vordergründig in diese Kette ein, denn die Assekuranz trennt sich bloß vom externen Geschäft. Die Entscheidung, für Alldata einen Partner zu suchen, ist lediglich der augenfälligste Baustein eines komplexen Umbauprojekts, an dessen Ende eine effiziente, interne Konzern-IT steht.

Den Orientierungspunkt dieses nun schon seit mehr als zwei Jahren währenden Vorhabens benennt IT-Vorstand Hanno Petersen: "Wir erachten IT als Kernkompetenz einer Versicherung. Alles, was eine Versicherung macht, wird über IT abgebildet. IT ist eine wichtige Differenzierungsmöglichkeit der Arag." Damit lässt der Arag-Experte das derzeit sehr beliebte Management-Instrument Outsourcing links liegen und widersetzt sich den verlockenden Marketing-Botschaften der IT-Servicebranche.

Die IT-Dienstleister werben erfolgreich mit der Aussicht auf Effizienzsteigerung und Kostensenkungen. Dazu wollen sie Kapazitäten zusammenziehen, um von Skaleneffekten zu profitieren sowie die Nutzung und Bezahlung der IT-Ressourcen flexibler zu gestalten. "Ich will keinesfalls in Abrede stellen, dass durch Outsourcing Einsparungen möglich sind", räumte Petersen ein. "Ich glaube aber, dass die Synergiemöglichkeiten häufig überschätzt werden. Wir wollen eine sehr spezielle IT-Landschaft, die sehr genau auf unser Geschäftsmodell ausgerichtet ist. In so einem außergewöhnlichen Fall sind Synergien schwer zu erzielen." Dieser Logik folgend, machte sich Petersen vor mehr als zwei Jahren daran, die Versprechungen der Outsourcer selbst einzulösen.

Drittmarktgeschäft und interner IT-Betrieb vertragen sich nicht

Die Ausgangslage war zunächst alles andere als ermutigend. Der Betrieb wurde an zwei Standorten von zwei Töchtern, der Alldata, Düsseldorf, und Global Systems, München, mit zum Teil identischen Applikationen geleistet. Darüber hinaus hatten beide Ausgründungen zeitweilig wie so viele IT GmbHs den Ehrgeiz, Kunden außerhalb des Konzerns mit IT-Diensten zu beliefern, um eigene Ressourcen besser auszulasten und im Drittmarkt Geld zu verdienen. Während die Töchter diese Aktivitäten anfangs mit Zustimmung der Konzernleitung verfolgten, beäugte das IT-Management im Arag-Konzern die Ziele im Drittmarktgeschäft zunehmend kritisch. "Die Geschäftslogik eines Systemhauses ist eine völlig andere als die, die für den Betrieb einer internen IT-Abteilung erforderlich ist", kritisierte CIO Petersen.

Teure und unbewegliche IT gefährdete das Kerngeschäft

Die heterogene Umgebung sowie die Abhängigkeit von Altapplikationen ließen außerdem die Erkenntnis reifen, die IT müsse neu justiert werden, denn der Betrieb war teuer und unflexibel. Beispielsweise gab es mehrere parallele Vermittlerverwaltungs- und Partnersysteme. Alles in allem genügte die IT nicht mehr den Ansprüchen einer Versicherung mit schlanker Organisation und effizienten Abläufen, die auf kurzfristige Markttrends schnell reagieren möchte und muss.

Insourcing erwies sich als schwerer, aber lohnender Weg

Im Jahr 2002 formulierte die Führungsmannschaft um Petersen die neue Strategie, die IT als Kernkompetenz definiert. Nicht überall stieß das Vorhaben auf Gegenliebe, doch Petersen konnte in seinem Vorhaben auf die Rückendeckung des Konzernvorstands vertrauen. "Wichtig ist, die Führungskräfte und Mitarbeiter schnell zu überzeugen und ins Boot zu holen", schilderte der IT-Vorstand das Vorgehen. "Man darf vor allem das Ziel auch unter dem Eindruck von Detailfragen nicht aus dem Auge verlieren."

Argumente für das Outsourcing

• IT-Leistung ist eine Commodity wie Strom und Wasser.

• Mengeneffekte beim Outsourcing-Partner senken die Betriebskosten im Kundenunternehmen.

• Die erbrachte Leistung lässt sich dem Bedarf flexibel anpassen.

• In der Buchführung werden so aus fixen variable Kosten.

• Kosten- und Leistungskontrolle sind einfacher als bei einer internen Lösung.

• Für Spitzenzeiten vorgehaltener Overhead erübrigt sich.

• Der Dienstleister ist technisch immer auf dem aktuellen Stand.

In einem ersten Schritt wurden die Alldata und Global Systems unter einem Dach, der Alldata Systems, zusammengeführt. Auf diese Fusion folgte sogleich die Spaltung in ein Profit- und ein Cost-Center. Auf der einen Seite entstand dadurch das Systemhausgeschäft unter der Bezeichnung Alldata Systems, das das externe Geschäft verantwortet. Auf der anderen Seite steht die Arag IT GmbH. Sie ist interner Dienstleister für alle hoheitlichen und unternehmensspezifischen IT-Aufgaben des Konzerns. "Die Outsourcing-Lösung wäre sicher der bequemere Weg gewesen. Wir hätten die IT auch einem bekannten Dienstleister übergeben, mit ihm Service-Level-Agreements vereinbaren und darauf vertrauen können, dass er zuverlässig die erforderlichen Dienste liefert", so Petersen. "Wir haben uns aber bewusst für den schweren Weg entschlossen, die Konsolidierung selbst zu betreiben, um damit die Potenziale in eigener Regie zu heben. Mit dem bisherigen Ergebnis sind wir sehr zufrieden."

Die Zufriedenheit lässt sich beziffern: Durch das Projekt konnte der Arag-Konzern in der IT einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag einsparen. Aufwändig war der Weg, weil neben der Trennung von der Alldata Systems auch die eigene IT-Landschaft komplett neu gestaltet wurde. Waren vormals 500 Server für den Betrieb erforderlich, sind es heute noch 200. Die Rechenzentren wurden an einem Standort in Düsseldorf zusammengeführt. Mehrere Vertriebslösungen wurden in einem System konsolidiert, und an den Standorten gepflegte SAP-FI/CO-Lösungen wurden durch eine einheitliche mandatenfähige Standardapplikation vom Walldorfer Softwarekonzern ersetzt. Das alte, auf einem Großrechner basierende Bestands- und Schadenssystem muss demnächst einer modernen, selbst erstellten Java-Applikation weichen.

Argumente gegen das Outsourcing

• IT ist eine Kernkompetenz und lässt sich nicht auslagern.

• Die angeblichen Erparnisse sind unter dem Strich kaum erzielbar.

• Dienstleister-Management und Retained Organisation kosten auch Geld.

• Der dafür notwendige administrative Aufwand mindert die Umsetzungsgeschwindigkeit.

• Geschäftsmodell und IT-Unterstützung verlieren sich aus den Augen.

• Es entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich nur schwer wieder auflösen lässt.

• Wichtiges Know-how geht dem Unternehmen verloren.

Nahezu alle IT-Aufgaben erledigen die rund 200 IT-Mitarbeiter in eigener Regie. Dazu zählen etwa der Betrieb des Rechenzentrums sowie Weiterentwicklung, Wartung und Support der Applikationen. Bei der Neuentwicklung von Applikationen greift das Haus gern auf externe Hilfe zurück, verpflichtet den Partner aber darauf, anerkannte Standards zu verwenden. So ließ Petersen etwa die In- und Exkasso-Lösung SAP-FSCD für die Sachsparten außer Haus entwickeln und programmieren, die Weiterentwicklung und den Betrieb verantworten hingegen interne IT-Mitarbeiter.

Bauherr statt Bauunternehmer

Der Eigenbetrieb wurde jedoch nicht zum Dogma erhoben. Nach wie vor ist die Alldata Systems ein wichtiger Lieferant für Druckleistungen. Zudem betreibt sie die Standardapplikation für die Lohnbuchhaltung und einige Workflow-Systeme. Nicht zuletzt deshalb sucht der Arag-Konzern einen verlässlichen Partner, der die Alldata übernimmt. Außerdem vertraut Petersen für den Betrieb der lokalen und Weitverkehrsnetze sowie für die Betreuung der Clients in den Niederlassungen oder bei angeschlossenen Vertriebspartnern auf externe Dienstleister.

Weitere Auslagerungsvorhaben stehen derzeit jedoch nicht auf der Tagesordnung. "Die Teile der IT, die uns zur Differenzierung im Kerngeschäft verhelfen, werden wir selbst betreiben", untermauert Petersen seine IT-Strategie. "Grundsätzlich wollen wir die gesamten Vorgänge beherrschen. Wir besetzen immer die Rolle des Bauherren und Architekten, werden aber nicht immer das Bauunternehmen sein."

Projektssteckbrief

Projektart: Insourcing der kompletten IT.
Branche: Versicherung.
Zeitrahmen: Ende 2002 bis Mitte 2005.
Stand heute: IT wird nahezu vollständig intern betrieben.
Aufwand: zweistelliger Millionen Euro-Betrag.
Produkte: SAP-Standardapplikationen; Eigenentwicklungen.
Dienstleister: Alldata, IBM Convista, Innovas.
Umfang: Erstreckt sich auf die gesamte IT des Konzerns sowie der angeschlossenen Vertriebspartner.
Ergebnis: Konsolidiertes Rechenzentrum; effiziente Server-Landschaft; neues, Java-basierendes Schadens- und Bestandssystem; mandantenfähige SAP-Applikationen.
Herausforderung: Trennung von externem und internem IT-Geschäft; Aufbau eigener IT-Ressourcen; IT-Konsolidierung.
Nächster Schritt: Integration weiterer Sparten und Produkte in neues Bestands- und Schadenssystem; Dunkelverarbeitung; Asset-Liability-Management; Entwicklung neuer Produkte bei der Arag Lebensversicherung.

Für den gesamten Architekturumbau musste der Arag-Konzern einen zweistelligen Millionenbetrag aufwenden. Beim Kennzahlenvergleich des IT-Budgets mit anderen Versicherungen in Deutschland hat er verlorenes Terrain gutgemacht, die laufenden IT-Ausgaben, bezogen auf den Konzernumsatz, haben einem Benchmarking zufolge branchenübliches Niveau erreicht. Doch der Düsseldorfer Konzern kann nun auf eine schlanke und effiziente Umgebung zurückgreifen, mit der sich Petersen zutraut, neue Ziele anzugehen. Sie liegen etwa in der "Dunkelverarbeitung", die den komplett automatisierten und digitalen Workflow eingehender Dokumente zum Ziel hat. "Es war ein anstrengendes Projekt", schließt Petersen, "aber nun können wir die Früchte ernten."