Zu viele installierte Anwendungen

Applikationen werden zur Last

25.03.2011
Jede fünfte Applikation ist überflüssig. CIOs und IT-Leiter müssen die Zahl der intern genutzten Anwendungen reduzieren und ihre Installationen modernisieren.
IT-Manager wollen ihre Applikationslandschaft effizienter gestalten. Dazu setzen sie vor allem auf Standardisierung und Konsolidierung.
Foto: Capgemini/HP

Schon seit langem ist die IT eine bedeutende Triebfeder für Innovationen. Insbesondere Software beziehungsweise Anwendungen sind Garanten für Wachstum und Effizienz in den Unternehmen, denn stützen die Prozesse und den Betrieb. Doch offenbar haben die Unternehmen in der Vergangenheit bei der Installation neuer Programme übertrieben oder falsch investiert. Im aktuellen "Application Landscape Report" von HP und Capgemini beklagen 85 Prozent der weltweit befragten Unternehmen, dass ihr Applikations-Portfolio dringend ausgedünnt und überarbeitet werden müsse. Die Mängel betreffen demnach nicht nur Anwendungen für Unterstützungsprozesse. Auch betriebswichtige Kernapplikationen basieren häufig auf veralteter Technik, so dass eine Aktualisierung erforderlich ist.

Für den Bericht haben die Partner knapp 100 Experteninterviews mit CIOs geführt, 63 Prozent von ihnen sind in europäischen Unternehmen beschäftigt. Unter den Befragten reift die Erkenntnis, den Umgang von Software neu zu definieren. Statt immer wieder Programme zu entwerfen, die spezifische Probleme lösen, drängen sie darauf, standardisierte, skalierbare und wartbare Angebote zu wählen. Zudem richten sie frühzeitig ihr Augenmerk auf das Aussortieren der Software am Ende des Lebenszyklus. Diese ganzheitliche Betrachtung soll sicherstellen, dass die Anwendungen zum eigentlichen Geschäft passen, dass Softwareportfolio angemessen ist, und dass die einzelnen Applikationen modern, produktiv und hochwertig sind.

Mit diesem Vorhaben wollen die IT-Verantwortlichen einer jahrelangen Fehlentwicklung entgegensteuern. "Unsere IT-Landschaft gleicht einem arktischen Eisfeld mit vielen Klippen, verdeckten Spalten und dünnem Eis", beschreibt Robert Borchelt, Manufacturing IT Director beim Motorenhersteller Cummins. "Die Gefahren sind oft unabsehbar." Risiken entstehen, weil die Installationen vielerorts zu komplex und umfangreich sind. Die meisten Befragten gaben an, unnötig viele Applikationen zu unterhalten. Knapp jeder dritte Manager vermutet, man könne ohne funktionale Einbußen ein bis zehn Prozent der Applikationen abschalten. Die Hälfte der CIO behauptet dies von elf bis 50 Prozent der Anwendungen. Im Durchschnitt ist jede fünfte Applikation überflüssig.

Mehr als 10.000 Anwendungen im Einsatz

Ist die Zahl der installierten Applikation angemessen? Vor allem große Unternehmen unterhalten zu viele Anwendungen.
Foto: Capgemini/HP

Das Problem ausufernde Applikationsinstallationen betrifft vor allem die großen Firmen. Weit über 60 Prozent der befragten Konzern-CIOs gab zu Protokoll, bei ihnen gebe es "mehr" beziehungsweise "weit mehr" Softwarelösungen als erforderlich. Je kleiner die Firmen werden, desto mehr verliert sich dieser Überfluss. Knapp drei Viertel der kleinen Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern hält beispielsweise der Zahl der Anwendungen für angemessen, 23 Prozent sehen sogar einen Mangel an Softwareinstallationen. Die meisten Firmen (84 Prozent) nutzen 50 Applikationen oder weniger, wogegen in Großunternehmen durchaus mehr als 10 000 Anwendungen lizenziert sind. Ihre Stilllegung scheitert in der Regel an den damit verbundenen hohen Kosten.

Was hindert Sie daran, die Applikationen abzuschalten? Die IT-Manager scheuen vor allem die damit verbundenen Kosten.
Foto: Capgemini/HP

Zur besonderen Last werden die vielen Individualentwicklungen der Vergangenheit. Ein nicht namentlich genannter CIO veranschaulichte das Problem in dem Report folgendermaßen. "In den 80iger Jahren haben wir einige wenige sehr fortschrittliche Applikationen entwickelt. Unglücklicherweise wurden sie nicht auf Schnelligkeit und Leistung ausgelegt, allerdings war ihre Betrieb auch nicht teuer. Die Applikationen glichen einem schusssicheren Doppeldeckerbus. Wir haben den günstigen Migrationszeitpunkt verpasst, so dass wir nun einen schusssicheren Doppeldeckerbus für höchstens sechs Passagiere unterhalten müssen. Heute kostet der Betrieb ein Vermögen und wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir schwere Stahlplatten abrüsten."

Wenngleich es bestimmt einige Altanwendungen gibt, die geschäftskritisch und kaum zu ersetzen sind, halten Unternehmen auch deshalb an überholten Installationen fest, weil sie fürchten, den Zugang zu den Daten zu verlieren. Im Lauf der Zeit erzeugt jede Applikationsnutzung einen großen Datenberg, der zum Teil aufgrund gesetzlicher Bestimmungen archiviert werden muss. Zwar haben die meisten Firmen klare Vorgaben für die Datenhaltung, doch weniger als 50 Prozent der Befragten wollten sich für deren Einhaltung verbürgen. Überall dort, wo nicht sauber archiviert wird, halten Unternehmen aus Compliance-Gründe an den alten Applikationen fest.

Das Mittel der Wahl, um dieser vertrackten Sitaution zu entfliehen, ist Standardisierung (siehe Grafik). Zudem wollen viele Unternehmen die betroffenen Applikationen konsoldieren, migrieren, zum Teil auch ablösen. "IT-System effizienter zu gestalten, ist keine einfache Aufgabe", warnen die Autoren des Reports. Es verlange ein sorgfältiges Assessment, genaue Plannung und schrittweise Implementierung. (jha)

Komplexitätsfallen

Laut "Application Landscape Report" gibt es vier Ursachen für die ausufernde Komplexität in der Applikationslandschaft:

1. Mergers und Akquisitionen: Durch Zusammenschlüsse und Übernahmen von Unternehmen entstehen redundante Installationen mit doppelter Funktionalität.

2. Kundenspezifische Altapplikationen sind technisch überholt. Ihre Transformation in eine zeitgemäße IT ist zu komplex und teuer. Der Aufwand für Wartung und Betreuung steigt kontinuierlich.

3. Unternehmen halten an Applikationen fest, auch wenn sie ihren geschäftliche Nutzen verloren haben und für aktuelle Geschäftsprozesse belanglos sind.

4. Aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zur Vorhaltung und Archivierung von Daten scheuen viele Unternehmen, Altapplikationen abzuschalten. Sie fürchten die Zugangsmöglichkeiten zu den Informationen zu verlieren.