Anwender kritisieren SSA-Übernahme durch Infor

19.05.2006
Während sich die Anwendervereinigung der Infor-Nutzer wenig Sorgen um den Fortbestand ihrer ERP-Lösungen machen, sind die Befürchtungen bei SSA-Kunden größer.

Für die Kunden der ERP-Hersteller Infor Global Solutions und SSA Global kam der Merger beider Firmen überraschend (siehe SSA-Kauf macht Infor zur Nummmer drei). Wie immer bei solchen Transaktionen fragen sich Anwender, was aus ihren Softwareprodukten wird. Beide Unternehmen stellen Business-Lösungen für fertigende Betriebe her. Zwischen den Produktportfolios gibt es Überschneidungen, an manchen Stellen ergänzen sie sich auch.

In Deutschland sind vor allem die Nutzer der Baan-Lösungen auf Seiten von SSA Global und die Anwender der ehemaligen Infor- und Brain-Produkte von dem Deal betroffen.

Wolfgang Kirn, Vorsitzender der Anwendervereinigung "Der Infor-Anwenderverein" aus Düsseldorf, vermutet hinter der Übernahme von SSA Global durch Infor ähnliche Beweggründe wie beim Kauf des deutschen Softwarelieferanten Infor durch Agilisys im Jahr 2003. Später hatte sich der Aufkäufer in Infor Global Solutions umbenannt. Damals habe das US-amerikanische Unternehmen einen Entwicklungspartner gesucht und gefunden.

Bunter Mix aus Lösungen

Sofern die Übernahme von SSA Global durch Infor Global Solutions zustande kommt, fügt sich ein breites Portfolio an ERP-Lösungen zusammen. Dazu zählen:

BPCS,

Baan,

Prism,

Protean,

Infinium,

Brain,

SCT,

Lilly und

Mapics.

Hinzu kommen eine Reihe von Supply-Chain-Management-Produkten, wie:

Exe,

NxTrend

und

Mercia.

Ferner gibt es noch das Asset-Management-Produkt der Firma Datastream, die erst im Januar von Infor erworben wurde.

Kirn leitet die IT der Firma Rhein-Getriebe und nutzt seit 1994 Infor.com. Über die Zukunft dieser Lösung macht er sich wenig Sorgen. "Im Augenblick läuft das Neukundengeschäft mit dem vormaligen Infor-System besser als mit den ehemaligen Brain-Produkten. Ich sehe keine Gefahr, dass die von uns genutzte Software irgendwann aufgekündigt wird." Kirn glaubt, dass Infor auch nach dem Zusammengehen mit SSA daran festhalten wird, alle Produkte wie versprochen weiter zu pflegen. Ob der Hersteller dies auch für alle Randprodukte durchhalten kann, vermag der DV-Experte nicht zu sagen. Da auch die Lösung "Infor XPPS", die aus der Übernahme des ERP-Herstellers Brain stammt, in Deutschland gut etabliert ist, sei mit Einschränkungen kaum zu rechnen.

Die SSA-Global-Kunden sind vorsichtig zuversichtlich: "Nach dem ersten Entsetzen über den angekündigten Verkauf, gehen wir davon aus, dass auch Infor ´ERP LN´ (so der Name des ehemaligen weiterentwickelten Baan-Software) als Kernprodukt in ihre Softwarestrategie aufnehmen wird", meint Klemens Hauk, Vorsitzender der Deutschen Baan User Group.

Hauk und andere Kunden haben schon so manche Eskapade hinter sich: Nach 2001 und 2003 wurde der Hersteller der Baan-Software nun zum dritten Mal geschluckt. "Bisher hat sich Baans ERP-System trotzdem als leistungsfähiges Produkt behauptet und vermag Geschäftsprozesse komplexer Fertigungsabläufe zu unterstützen." Mit ERP LN habe SSA Global die Baan-Lösung erfolgreich weiterentwickelt. Die bisherigen Infor-Produkte sollten nach Ansicht der Benutzervereinigung - obwohl sie teilweise gleiche Marktsegmente ansprechen - keine ernsthafte Alternative zu ERP LN sein.

Trotzdem sind die Baan-User nicht gerade erbaut von den jüngsten Ereignissen. "Auch wenn ein Verkauf von SSA Global durch die Beteilungsgesellschaften nie ausgeschlossen wurde und letztendlich abzusehen war, halten wir den Zeitpunkt für außerordentlich unglücklich." SSA habe gerade begonnen, sich im ERP-Markt als ernst zunehmender Anbieter zu etablieren und erste Ergebnisse bei der Modernisierung in Richtung Service-orientierter Architekturen (SOAs) vorgelegt. "Wir müssen befürchten, dass diese Entwicklungen nun zunächst zum Stillstand kommen." Der Grund: Infor und SSA Global würden die nächsten Monate mit internen Reorganisationen, Strategiediskussionen und Machtkämpfen im Management beschäftigt sein. Dies verunsichere potenzielle Neukunden und veranlasse Bestandskunden, Migrationsprojekte zurück zu stellen.

Von der Übernahme kalt erwischt wurde Thorsten Wichmann, IT-Manager bei der Gesellschaft für Oeltechnik aus Waghäusel. Sein Unternehmen hatte gerade mit der Migration von "Baan IV" auf ERP LN begonnen. "Hätte die Übernahme vorher stattgefunden, hätten wir uns diesen Schritt noch einmal überlegt."

Die Kritik der Anwender richtet sich auch an die Akquisitionsstrategie Infors. "Auf diese Weise kann man auf Dauer keinen leistungsfähigen vom Kunden als Partner akzeptierten Softwarelieferanten etablieren", wettert die Vereinigung der Baan-Anwender. "Der Stillstand bei den Brain-Produktlinien unter Infor darf bei ERP LN nicht eintreten, sonst werden auch die loyalsten Baan-Anwender irgendwann zu Wettbewerbsprodukten gehen." Im Gegensatz zum Management von SSA Global seien die Kunden keineswegs der Ansicht, dass Größe ein Garant für Erfolg sei. Software dürfe nicht zum Spielball von Investmentgesellschaften werden.

Nach Ansicht von Kirn vom Infor-Anwenderverein wird Infor die eigene Produktstrategie möglicherweise auch auf die SSA-Produktpalette ausdehnen. Das Unternehmen hatte mit "Infor Global Financials" ein für alle ERP-Lösungen im Konzern einheitliches Finanzbuchhaltungssystem geschaffen. Wie ein Gleichteil in der Autoindustrie ließe sich das auf Technik der gekauften Firma Varial basierende Programm auch für die SSA-Produktlinien verwenden. Ähnliche Schritte wären aus Sicht Kirns in Sachen Benutzeroberflächen denkbar. Infor hat damit begonnen, das Interface von Infor.com auch anderen ERP-Lösungen wie XPPS überzustülpen. Die Infor-Oberfläche könnte Standard-Interface für alle Produkte werden. (fn)