Anwender haengen am funktionalen Organisationsansatz Modulweise R/3-Einfuehrung widerspricht der Prozessidee

15.07.1994

MUENCHEN (CW) - IT-Abteilungen sind kaum darauf vorbereitet, die betriebswirtschaftliche Standardsoftware R/3 von der SAP AG, Walldorf, prozessorientiert einzufuehren. Anwender implementieren die R/3-Software modulweise und schreiben damit veraltete Organisationsformen fest.

"Wenn sich Vorstandsetagen schon zur Prozessoptimierung durchringen, dann sollten sie diesen Ansatz auch bei der Einfuehrung von Standardsoftware verfolgen", fordert Helmut Krcmar, Professor am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik der Universitaet Hohenheim. Es sei durchaus moeglich, fuer bestimmte Kernprozesse, etwa die Auftragsbearbeitung, moduluebergreifend Software einzufuehren.

Krcmar wies als Hauptreferent der Muenchner Euroforum-Konferenz* "Business-Re-Engineering und R/3" auf die unterschiedlichen Prozesssichten von Geschaeftsfuehrungen, Fachabteilungen und DV- Management hin. "Die Sicht der DV-Manager endet allzu oft an der Abteilungsgrenze", meinte der Wissenschaftler, dagegen befinde sich das Topmanagement allerorten in einem regelrechten Re- Engineering-Fieber. Eine Untersuchung bei 21 europaeischen Elektro- und Pharmakonzernen habe ergeben, dass nur jeder dritte DV-Manager und jeder siebte Abteilungsleiter Geschaeftsprozesse wahrnehme.

Bereichsuebergreifende Prozesse modellieren

"Wer die Kernprozesse des Unternehmens nicht sieht und versteht, wird mit Anwendungsprogrammen immer nur die Unterstuetzung traditioneller Funktionen erreichen", stellte der Professor klar. Heute komme es aber darauf an, die Beziehung zum Kunden zu verbessern - dazu beduerfe es der Identifikation und Modellierung bereichsuebergreifender Prozesse.

Die SAP AG erfuelle mit ihrem Referenzmodell und ihrem offenen Data-Dictionary die wichtigsten Anforderungen fuer das Business Re- Engineering. Allerdings wuessten nur wenige Unternehmen die sich daraus ergebenden Vorteile zu nutzen. Anstatt das Referenz- mit dem eigenen Unternehmensmodell prozessweise abzustimmen, ueberwiege heute noch immer der Funktionenvergleich. Die SAP trage daran eine gewisse Mitschuld: Sie liefere noch immer keine Workflow- Komponente ihrer Software und sorge kaum dafuer, dass das Denken in Prozessen in den IT-Abteilungen der Kunden verankert werde.

Auch Wolfgang Marx, Berater bei der Duesseldorfer Price-Waterhouse- Niederlassung, weiss von Einfuehrungsproblemen zu berichten. Firmen, die sich unkritisch fuer SAP-Software entschieden, seien schlecht beraten. Ueberhaupt sei die Auswahl der Standardsoftware zweitrangig; zuerst muessten die geschaeftskritischen Prozesse dokumentiert werden.

Als positives Beispiel fuer Business Re-Engineering praesentierte sich die Zucker AG, der viertgroesste Zuckerhersteller Deutschlands. Das Unternehmen baute seine Organisation komplett um. Voellig neuausgerichtete Ablaeufe werden nun von den Mitarbeitern selbst betreut. "Die Widerstaende in den Fachabteilungen waren staerker, als wir gedacht hatten", berichtet DV-Chef Jens Fokuhl. Eine intensive Projektarbeit, in die die Fachabteilungen einbezogen sind, ist seiner Ansicht nach Voraussetzung fuer das Gelingen der Reorganisation.

Bevor die R/3-Komponenten in 2500 Manntagen eingefuehrt wurden, modellierten cross-funktionale Teams die gewuenschten Prozesse. Die Herausforderung, der sich die IT-Abteilung heute stellen muss, lautet, moeglichst eng am Standard zu bleiben und doch dem stetigen Wandel, den das Business Re-Engineering fordert, Rechnung zu tragen.