iPad Konkurrent

Amazon Kindle Fire im Test

08.01.2012 von Christian Remse und Thomas Rau
Der Kindle Fire ist in den USA ein Erfolgsschlager. Warum das 7-Zoll-Tablet von Amazon tatsächlich der größte Konkurrent des Apple iPad 2 werden kann, erfahren Sie im Test.

Das soll das Tablet der Zukunft sein? Das Gerät, von dem Experten behaupten, es wird die Konkurrenz für das iPad werden? Der erste Kontakt mit dem Amazon Kindle Fire löst wenig Euphorie aus: Der iPad-Killer kommt im umweltfreundlichen, aber schmucklosen Pappkarton. Drinnen sind das Tablet und ein Netzteil – das war’s. Aber für 199 Dollar darf man nicht mehr erwarten, oder?

Gehäuse und Verarbeitung des Kindle Fire wirken dagegen ganz und gar nicht billig: Wenn man das Tablet sehr fest drückt, knarzt das Gehäuse zwar etwas. Aber insgesamt ist es stabil verarbeitet und liegt angenehm griffig in der Hand. Ein besonderer Handschmeichler ist die gummierte Rückseite. Durch den kleineren Bildschirm ist das Kindle Fire deutlich kompakter und leichter als das iPad 2: Zu den leichtesten 7-Zoll-Tablets gehört es mit 407 Gramm aber nicht.

Amazon Kindle Fire: Kleiner Preis, wenig Ausstattung

Die Rückseite des Gehäuses ist gummiert: Der Amazon Kindle Fire liegt dadurch angenehm in der Hand

Die Hardware-Ausstattung ist bescheiden, selbst für 200 Dollar: Der interne Speicher ist 8 GB groß, davon sind für Nutzer-Dateien rund 6,5 GB verfügbar. Aufrüsten lässt er sich nicht, denn ein Kartenleser fehlt. Ins Internet kommt man nur per WLAN, das Kindle mFire hat kein 3G. Per Micro-USB-Anschluss lässt er sich an Notebook oder PC anschließen: Auf diese Weise kann man auch Dateien auf das Tablet übertragen. Daneben sitzt ein Kopfhöreranschluss. Eine Kamera? Fehlanzeige!

Doch beim Kindle Fire geht es nicht um die Hardware: Amazon positioniert das Kindle Fire als günstigen Zugang für die eigenen Inhalte – einen Warenhauskatalog im Tablet-Format. In Deutschland funktioniert das noch nicht: Apps fürs Kindle Fire bekommen Sie nur aus dem App Store von Amazon, auf den Sie aus Deutschland nicht zugreifen können. Apps aus dem Android Market lassen sich nicht installieren, im Test funktionierte das Aufspielen von APK-Dateien aber in vielen Fällen. Das Streamen von Videos oder der Filmkauf über Amazon klappt in Deutschland ebenso wenig wie das Kaufen und Abspielen von Musik über den Amazon Cloud Player. Wer Webspeicher bei Amazon hat, kann mit dem Kindle Fire von Deutschland aus immerhin auf den Cloud Drive zugreifen.

Amazon Kindle Fire mit eigenem Android

Das Amazon Kindle Fire läuft mit Android: Das merken Sie nicht, denn Amazon hat eine eigene Bedieneroberfläche über das Google-Betriebssystem gelegt: An keiner Stelle bekommen Sie Zugriff auf Android 2.3.4, das den Kindle Fire antreibt. Nur an den Symbolen der unteren Bildschirmleiste oder der grafischen Darstellung der Kontextmenüs lässt sich die Nähe zu Android erkennen.
Auf der Startseite des Kindle Fire finden Sie oben die zuletzt aufgerufenen Inhalte in einer Karusselansicht: Dort finden sich zum Beispiel Apps, Webseiten, Bücher, Videos, Musikstücke. Durch diese Ansicht blättern Sie sehr flüssig, teilweise sogar zu schnell, um gezielt ein bestimmtes Objekt aufzurufen. Außerdem geht die Übersicht bei vielen Inhalten verloren.
Im Alltag nutzt man daher eher das Favoriten-Regal unter der Karusselansicht oder man navigiert direkt zu einzelnen Kategorien wie Newsstand, Books, Music, Video, Docs, Apps und Web. Oder man nutzt das Freitext-Suchfeld, das sich ebenfalls oben auf dem Startbildschirm befindet.

Obwohl das Kindle Fire nicht auf Android 3.0 (Honeycomb) aufsetzt, läuft die Bedienung ausschließlich über Touch-Befehle. Außer dem Einschaltknopf gibt es keine mechanischen Tasten. Am oberen Bildschirmrand öffnet man per Fingerstreich eine Hinweisleiste (Notification Bar). Dort kann man die Display-Rotation sperren, Lautstärke, Helligkeit, WLAN sowie den Datenabgleich regeln und kommt in weitere Einstellungsmenüs. Am unteren Rand werden beim Start einer App die Navigations-Symbole für Home, Zurück, Kontextmenü und Suche eingeblendet sowie je nach App weitere Optionen.

Beim Browser-Test Browsermark schneidet das Amazon Kindle Fire etwas schlechter ab als beispielsweise Android-Tablets mit Nvidia Tegra 2.

Im Amazon Kindle Fire sitzt ein Dual-Core-Prozessor von Texas Instruments: In der Praxis ist das Kindle Fire daher ähnlich schnell wie aktuelle Android-Tablets mit dem Nvidia Tegra 2. Die schneiden in den Browser-Benchmarks Sunspider und Browsermark etwas schneller ab.

Dafür lädt das Kindle Fire einige Webseiten etwas schneller als die Android-Konkurrenz: Im Test machte sich das vor allem bei umfangreichen Webseiten wie www.pcwelt.de oder www.spiegel.de bemerkbar – und seltsamerweise nur dann, wenn wir im Browser die Option „Accelerated Page Loading“ abschalteten. Genau diese Funktion soll den Amazon-Browser aber schneller als andere Android-Browser machen: Denn dann nutzt er die Amazon-Server als Proxy, um Webseiten zu komprimieren und zu speichern. Im Test benötigte das Kindle Fire mit dieser Turbo-Option aber über fünf Sekunden länger zum Laden der PC-WELT-Webseite und rund vier Sekunden länger bei www.spiegel.de.

Webseite

Ladezeit (Sekunden)

www.pcwelt.de

10,4

www.pcwelt.de (Fast Page Loading aus)

5,0

www.spiegel.de

13,9

www.spiegel.de (Fast Page Loading aus)

9,8

www.sourceforge.net

5,6

www.sourceforge.net (Fast Page Loading aus)

4,9

Das 7-Zoll-Display des Kindle Fire zeigt 1024 x 600 Pixel. Es ist angenehm hell und besitzt einen guten Kontrast: Die Bildqualität ist deutlich besser als in dieser Preisklasse üblich – Fotos und Filme sehen auf dem Kindle Fire sehr gut aus. Das Amazon-Tablet gibt MP4-Videos in Full-HD flüssig wieder, auch solche, die in H.264 High Profile kodiert sind: Tablets mit Tegra 2 scheitern daran. Im Gegenzug laufen Filme im AVI- und MKV-Container aber nur mit Bildfehlern – das können andere Android-Tablets besser.

Android sehen Sie nicht, das Ruckeln aber schon

Beim Blättern, Vergrößern oder Verschieben von Webseiten arbeitet das Amazon Kindle Fire ähnlich ruckelnd wie die meisten Android-Tablets. Auch beim Blättern durch die Tablet-Menüs zittert der Bildlauf sichtbar. Die Pinch-Zoom-Geste funktioniert flüssig, aber leicht verzögert. Fotos verschieben sich dabei seitlich weg von dem Bereich, den man aufzoomen will. Für das Drehen des Bildinhaltes braucht das Amazon-Tablet knapp drei Sekunden.

Die Bedieneroberfläche ist in erster Linie auf die Amazon-Dienste zugeschnitten. Dadurch wirkt sie aufgeräumter als bei anderen Android-Tablets. Schneller oder einfacher lässt sich das Kindle Fire dadurch aber nicht bedienen – die Referenz bleibt hier nach wie vor das iPad 2.

Erst zusammen mit den Inhalten von Amazon läuft das Kindle Fire zu wahrer Stärke auf. In Deutschland sind die meisten gesperrt: Deshalb haben wir das Kindle Fire auch in den USA getestet: Was das Amazon-Tablet amerikanischen Käufern bietet, lesen sie auf der nächsten Seite.

Apps für das Kindle Fire

Tippt man auf die Rubrik „Apps“ im Menü, bietet das Kindle Fire bereits vorinstallierte Programme – dazu gehören unter anderem der mittlerweile nicht mehr in Deutschland verfügbare Internet-Radiodienst Pandora sowie der Wetterdienst The Weather Channel.
Mehr Apps gibt es im Amazon App Store: Die Auswahl ist zwar kleiner als im Apple App Store oder im Android Marketplace. Doch Amazon präsentiert die Apps übersichtlich und kategorisiert sie nach eindeutigen Rubriken wie „Politics“, „Sports“ sowie „Entertainment“. Das und die Suchleiste am oberen Bildschirmrand erleichtern das Finden ausgewählter Apps. Klickt man beispielsweise auf „Entertainment“ und möchte sich die kostenlose App Netflix für die in den USA verfügbare Web-Videothek herunterladen, fordert das Kindle Fire den Nutzer auf, seine Amazon-Kundendaten einzugeben: Ähnlich wie bei Apple müssen Sie selbst für kostenlose Apps ein Amazon-Konto zum Herunterladen besitzen. Damit können Sie sich aber auch vor unerwünschten Installationen schützen sowie sämtliche Apps übersichtlich über ein Konto verwalten.

Die Bücherregalansicht und die Rubriken-Reiter sorgen für eine gute Übersicht und erleichtern das Navigieren

Nachdem das Kindle Fire die App heruntergeladen hat, erscheint sie als Icon neben anderen Apps auf dem digitalen Bücherregal in der Library (Bibliothek) sowie auf der Startseite. Im App-Angebot finden sich vereinzelt sogar deutschsprachige Apps wie die von Bild Online. Die begrenzte Anzahl an deutschsprachigen Inhalten ist laut Medienberichten allerdings einer der Gründe, wieso Amazon das Kindle Fire vorerst nicht in Deutschland ausliefern wird.

Filme und Musik auf dem Kindle Fire

Amazon-Prime-Abonnenten spielen ausgewählte Inhalte kostenlos auf dem Kindl Fire ab

Neben Apps kann man Musik und Filme auf den Kindle Fire herunterladen beziehungsweise streamen. Das Multimedia-Angebot hält problemlos mit dem iTunes Stores mit. Im Musik Shop kann sich der Nutzer ein gesamtes Album eines Künstlers kaufen oder nur ausgewählte Songs: Der Preis pro Lied liegt im Durchschnitt bei 99 Cent. Neuere Lieder lassen sich vor dem Kauf Probehören. Im Bereich Film oder TV Shows kann der Nutzer entscheiden, ob er das Video kaufen oder ausleihen möchte. Wählt der Nutzer die Leih-Option, hat er 30 Tage Zeit, sich das Video anzusehen, wobei nach dem Tippen auf „Watch Now“ (zu Deutsch: Jetzt ansehen) oder „Download“ die Ausleihrechte nach 48 Stunden ablaufen und sich das Video danach nicht mehr abspielen lässt. Entscheidet sich der Nutzer für die Kauf-Option, lädt er das Video auf das Kindle Fire und kann das Video beliebig oft abspielen. Verfügt der Nutzer über ein kostenpflichtiges Amazon-Prime-Konto, ist das Streamen ausgewählter Video-Inhalte im Abonnement sogar enthalten.

Bücher und Zeitschriften auf dem Kindle Fire

Auch sein Kerngeschäft hat Amazon beim Kindle Fire nicht vergessen: Bücher. Als digitales Lesefutter für das Amazon-Tablet gibt es Bücher, Zeitschriften und Tageszeitungen. Wie wie bei anderen Mitgliedern der Kindle-Familie kann sich der Nutzer digitale Bücher auf das Tablet laden und offline lesen. Tippt der Nutzer auf „Newsstand“ (zu Deutsch: Zeitschriftenkiosk) und danach auf die „Store“-Schaltfläche in der rechten oberen Ecke, stehen ihm Zeitschriften sowie Tagesszeitungen wahlweise als Kauf einzelner Ausgaben oder als Abonnement zur Verfügung. Schließt der Käufer ein Abo ab, erhält er automatisch die neueste Ausgabe auf das Kindle Fire, sobald sich dieses mit dem Internet über WLAN verbunden hat. Für Zeitschriften ist der Kindle Fire aufgrund der LCD-Display-Technik besser geeignet als für Bücher: Magazin-Inhalte stellt er in Farbe dar, aber beim längeren Lesen ermüdet der hintergrundbeleuchtete Bildschirm die Augen deutlich stärker als das E-Ink- Display des Kindle Reader.

Fazit: Amazon Kindle Fire – die neue Tablet-Erfolgsformel

Günstig wie ein Tablet von Pearl, aber so viele Inhalte wie bei Apple: Diese Kombination macht das Amazon Kindle Fire erfolgreich. Seine Ausstattung ist zwar mager, doch das Amazon-Tablet ist trotz des günstigen Preises kein Ramsch, sondern ordentlich verarbeitet und mit einem guten Bildschirm versehen.

Trotz der mickrigen Hardware wird das Kindle Fire seinen Platz neben dem Apple-Tablet finden: Denn genau wie Apple verknüpft Amazon das Gerät mit attraktiven Inhalten. Der Profit kommt nicht vom Tablet-Verkauf, sondern von den Songs, Filmen und Apps, die der Anwender bei Amazon kauft – eine Strategie, die auch bei Tintenstrahldruckern oder Nassrasierern funktioniert. Tablet-Hersteller ohne großen Inhalte-Katalog könnten künftig auf der Strecke bleiben, denn beim Preis können sie den Kindle Fire nicht unterbieten.

Auch in Deutschland wird Amazon damit Erfolg haben – und will das Tablet deshalb erst hier anbieten, wenn sich die Amazon-Angebote wie in den USA nutzen lassen.

Amazon Kindle Fire

Technische Daten

Preis

199 Dollar

Bildschirm

7 Zoll

Auflösung

1024 x 600 Bildpunkte

Speicher

8 GB

Speicher erweiterbar

nein

Betriebssystem

Android 2.3.4

Prozessor

TI OMAP OMAP 4430 (1 GHz)

Arbeitsspeicher

512 MB

Anschlüsse

Audioausgang, Micro-USB

WLAN / 3G

11n / -

Gewicht

407 Gramm

Helligkeit

394 cd/qm

Kontrast

975:1

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation PC-Welt.