Alle warten auf den Aufschwung

21.03.2002 von Ingrid  Weidner
HANNOVER (iw) - Verhalten optimistisch äußerten sich auf der CeBIT die Teilnehmer der vom Karriere-Forum veranstalteten COMPUTERWOCHE-Diskussionsrunde "IT-Arbeitsmarkt zwischen Entlassungen und Fachkräftemangel". Obwohl der Aufschwung noch etwas auf sich warten lassen werde, hätten gut ausgebildete Informatiker auch jetzt Chancen, einen attraktiven Job zu finden.

"Zwar haben wir nicht mehr die Nachfrage wie früher, doch Experten können heute immer noch aus drei Stellenangeboten das beste aussuchen, auch wenn sie vorher zehn zur Auswahl hatten", glaubt Thomas Michel, Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft für Informatik (DLGI) in Bonn. Wie viele Stellen derzeit frei seien, wollte er jedoch nicht schätzen. Die Jobangebote gingen zu-rück, aber die Nachfrage nach Experten sei noch nicht gedeckt.

Kursierten im letzten Jahr noch Angaben über 75 000 unbesetzte IT-Arbeitsplätze, wollte sich in diesem Jahr niemand so weit aus dem Fenster lehnen. Allerdings präsentierte der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) im Gegensatz zum Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft) Zahlen. Der VDI schätzt, dass in den nächsten drei Jahren 25 000 Stellen jährlich hinzukommen. Da jedoch nur 5000 Absolventen jährlich die Hochschule verlassen, bleiben jeweils laut VDI 20 000 Stellen unbesetzt.

An der CeBIT-Diskussionsrunde nahmen teil: Tim Ackermann, Dagmar Schimansky-Geier, Wilfried Hölzer, Hans Königes, Thomas Michel und Thorsten Körting (von links nach rechts).

Dennoch müssen sich Bewerber heute mehr anstrengen, um einen Job zu finden, als noch vor einem Jahr. Erforderlich ist eine gezielte Recherche, welche Unternehmen noch Mitarbeiter suchen, große Sorgfalt bei den Bewerbungsunterlagen und eine fundierte Vorbereitung auf die Vorstellungsgespräche. Da Jobsuchende Unternehmen teilweise mit Initiativbewerbungen überschwemmen, wird es für die Bewerber um so wichtiger, sich und ihre speziellen Kenntnisse darzustellen. Gleichzeitig sparen viele Unternehmen das Geld für Stelleninserate, da sich die Interessenten häufiger direkt bewerben.

Tim Ackermann, Senior Recruiter IT-Nachwuchs für die Deutsche Bank in Frankfurt am Main, schätzt die Situation am Arbeitsmarkt als angespannt, aber nicht dramatisch ein. „Inzwischen bewer-ben sich Leute bei uns, die es früher nicht nötig hatten“, so Ackermann zu den Kandidaten für IT-Jobs. Aus seiner Sicht hat sich die Situation für die Unternehmen entspannt. Auch Thorsten Körting von der InetVision GmbH in Eschborn muss sich keine Sorgen machen, genügend neue IT-Mitarbeiter zu finden. Noteinstellungen gebe es nicht mehr. „Die Zeit der umgeschulten Maler und Lackierer ist vorbei“, erklärte Körting in der Diskussionsrunde des Karriere-Forums.

Da momentan mehr gut qualifizierte Bewerber um die knappen Jobs buhlen, sinken gleichzeitig die Einstiegsgehälter. Dagmar Schi-mansky-Geier von der 1a Zukunft Ltd. Personalberatung in Köln bezifferte das Gehalt eines Absolventen mit zwei Jahren Berufserfahrung auf zirka 40 900 Euro, bei den Einstiegsgehältern liegt ihrer Meinung nach die Spanne zwischen 30 680 Euro und 40 900 Euro. Allerdings sei das reine Gehalt keine objektive Vergleichsgröße, denn Zusatzleistungen zur Altersversorgung gehören bei vielen Unternehmen zum Standardpaket.

Die neue Gehaltsstudie der IG Metall bestätigt den Trend zu moderaten Gehaltszuwächsen. Danach können heute nur ausgewiesene Spezialisten auf kräftige Zuwächse hoffen. „Die Zeiten exorbitanten Wachstums sind vorbei“, so Jürgen Peters, zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft. Die mauen Wachstumsraten der Branche schlagen sich auch auf die Gehaltssteigerungen nieder. Zwar werde nach wie vor sehr unterschiedlich bezahlt, doch insgesamt stiegen die Gehälter höchstens um zwei bis 2,5 Prozent an. 30-prozentige Aufschläge bei einem Jobwechsel gehörten der Vergangenheit an, so ein Ergebnis der Studie, für die 20 000 Beschäftigte großer und mittelständischer IT-Unternehmen befragt wurden.

Allerdings gibt es Qualifizierungen, die sich deutlich auf die Vergütung auswirken. „Mein Gehalt hat sich verdoppelt“, berichtete Andreas Franz, der heute als Marketing-Manager bei Reddot-Solutions in Oldenburg arbeitet. Sein MBA-Studium hat ihm zum Gehaltssprung verholfen. Die Vorteile eines in den USA erworbenen MBA liegen für Franz auf für die Arbeitgeber auf der Hand, denn es werde kein theoretisches Wissen abgefragt, wie es an vielen deutschen Hochschulen üblich ist, sondern bei den Prüfungen müssten Studierende Fallstudien lösen und beweisen, dass sie das Erlernte auf konkrete Situationen anwenden können.

Die Turbulenzen am Arbeitsmarkt und die Enlassungswellen der letzten Monate weichen nur langsam verhaltenem Optimismus. „Die Unternehmen stellen sich neu auf, um den Aufschwung im zweiten Halbjahr zu managen“, berichtet Wilfried Hölzer von der Gewerkschaft Verdi. Seine Einschätzung bezieht sich auf eine Befragung der Betriebsräte. Allerdings räumte Peters von der IG Metall ein, dass die Pleitewelle noch nicht zu Ende ist. Gerade im Hardwaresektor würden weiter Arbeitsplätze abgebaut. Gut ausgebildete Bewerber und vor allem Informatiker mit einem Diplom in der Tasche brauchen sich nach Meinung der Experten keine Sorgen um eine Anstellung zu machen.

Thomas Michel

Besonders gute Chancen räumt Michel Informatikern mit Zusatzqualifikationen ein. „Wirtschaftsinformatiker, die Erfahrungen aus anderen Bereichen mitbringen, sind besonders gefragt“. Und Michel fügt hinzu: „Heute werden die Leute nicht mehr in den dunklen Keller geschleppt und dürfen dort drei Monate programmieren.“ Da zu vielen Jobs neben der Programmierung und Installation auch immer mehr Beratungstätigkeiten hinzukommen, sind zusätzliche Kenntnisse und Fertigkeiten besonders gefragt.

In Krisenzeiten kommt es darauf an, die erworbenen Fähigkeiten nach Möglichkeit schwarz auf weiß nachzuweisen. Hier stoßen Quereinsteiger, die sich oft einen Großteil ihrer Kenntnisse in Eigenregie aneignet haben, auf Schwierigkeiten bei der Jobsuche. „Für einen Bewerber, der sich Java selbst beigebracht hat, ist es immer noch schwer, die Kenntnisse auch nachzuweisen“, bestätigt auch Ackermann von der Deutschen Bank.

Belächelten die begehrten IT-Experten einst milde die Gewerkschaftsvertreter, so suchen sie heute in schwierigen Zeiten oft deren Rat. „Wir erhalten mehr Anrufe von Beschäftigten, was für eine Bewerbung wichtig ist und welche Qualifikationen gefragt sind“, so der Gewerkschaftsmann Hölzer. Tarifverträge sind in der Branche immer noch selten, da viele Unternehmen nicht dem Arbeitgeberverband angehören und tariffrei agieren. Nach Einschätzung der Gewerkschaft beschäftigt die Branche 820 000 bis 850 000 Mitarbeiter. Zusammen mit den IT-Experten bei den Anwenderunternehmen schätzt die Gewerkschaft die Gesamtzahl auf 1,6 Millionen Beschäftigte.

Obwohl sich die Gewerkschaft in der IT nur langsam breit machen kann, fühlen sich die Arbeitgeber bereits eingeschränkt. Auf der diesjährigen CeBIT forderte der Branchenverband Bitkom, die seiner Meinung nach engen Grenzen des Kündigungsschutzes zu lockern und die bestehende „Verkrustung des Arbeitsrechts“ aufzuweichen. Die Gewerkschaften und ihre Mitglieder wollen von solchen Forderungen nichts wissen. Allein in den letzten zwölf Monaten hätten sich mit Hilfe der IG Metall 50 neue Betriebsratsgremien in der Branche gegründet.