Ab morgen bitte Scrum

Agilität als Unternehmenskultur - Schock oder Chance?

21.05.2015 von Thomas Schissler
Agilität als Vorgehensmodell basiert auf einem Wertesystem und einer Kultur, die sich mehr oder weniger vom Rest des Unternehmens unterscheidet. Dadurch entsteht das Potenzial für Konflikte bis hin zum Schock - der eine Ablehnung von Agilität zur Folge hat. Aber es ergeben sich auch Chancen, die komplette Organisation weiterzuentwickeln.
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Natürlich haben die Verfechter der Agilität "das bessere Management" nicht erfunden. Aber interessanterweise gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Management und Mitarbeiterführung, deren Ergebnisse bei den meisten Unternehmen bis heute noch keinen Einzug gehalten haben. Und viele dieser Untersuchungen unterstützen die Philosophie, die auch hinter der Agilität steckt.

So hat Douglas McGregor in seinen Studien am MIT bereits im Jahre 1960 zwei grundsätzliche Managementmethoden unterschieden und diese "Management X und Management Y" genannt. Im Grunde genommen geht Management X davon aus, dass Menschen von Haus aus bequem sind und versuchen, mit möglichst wenig Anstrengung ein Ergebnis zu erreichen. Deshalb bedarf es externer Anreize, z.B. in Form von Druck und Belohnung, um Menschen dazu zu bewegen, bestimmte Aufgaben zu erledigen.

Das steht allerdings im Widerspruch zu Beobachtungen in unserer heutigen Welt. Dort investieren Menschen ihre Freizeit, um ein Musikinstrument zu erlernen und ihre Fähigkeiten zu perfektionieren, ohne dass sie dafür bezahlt werden. Andere geben in ihrer Freizeit ihr Wissen weiter und erstellen Blog-Posts oder Artikel auf Wikipedia, ohne dass jemand sie dazu nötigt.

Um das gleich klarzustellen: Gute Arbeit sollte gut bezahlt werden. Aber es gibt auch eine intrinsische Motivation, denn Menschen suchen Herausforderungen und wollen gute Ergebnisse erzielen, wenn ihre Grundbedürfnisse erst einmal befriedigt sind. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass diese Erkenntnis sich auch in die Arbeitswelt übertragen lassen, zumindest wenn es um sogenannte kognitive Arbeit geht, also um Arbeit bei der es darum geht, einen guten Lösungsweg erst zu finden.

Während sich die Ergebnisse bei arithmetischer Arbeit, also Arbeit mit einem bekannten Lösungsweg, durch externe Anreize optimieren lassen, hat das bei kognitiver Tätigkeit sogar den gegenteiligen Effekt. Und das hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Führungskräfte und Manager agieren sollten.

Fünf Gründe für den agilen Ansatz
Neue Methoden der Softwareentwicklung begeistern die Mitarbeiter und die Kunden. Da stellt sich die Frage, woher es kommt, dass "Agilität" derartig beliebt ist? Alexander Ockl nennt Fünf Gründe:
Weniger Prozess - dafür mehr Mensch
Offenbar haben wir gelegentlich das Prozessrad zu weit gedreht. Mit Know-how in den Prozessen wollten wir gute Software wie am Fließband im "billigen Ausland" herstellen lassen. Probleme lassen sich mit noch ausgefeilteren Prozessen und Rollen beseitigen, so dachten wir. Aber inzwischen wissen wir, dass wir am so genannten Fließband meist individuell arbeiten. Und talentierte Mitarbeiter haben auch im Ausland inzwischen ihren Preis.
Persönliche Motivation statt Existenzangst
In der agilen Welt zählt der Mensch wieder etwas. Statt verteilt zu sitzen, schauen sich agile Teams wieder in die Augen. Effektive, direkte Kommunikation ersetzt endlose, anonyme Telefonkonferenzen und überlaufende E-Mail-Postkörbe. Größerer Gestaltungsspielraum und überschaubare Rollen geben Mitarbeitern das Gefühl, endlich wieder etwas bewegen zu können. Das setzt Kräfte frei. Und motiviert, anstatt zu frustrieren.
Entfaltete Stärken statt Fesseln
Endlich wieder kreativ sein und nicht starre Prozesse befolgen müssen! Kein Wunder also, dass gerade Entwickler und Analysten diesen Ansatz lieben. Im agilen Umfeld sind sich alle bewusst, wie wichtig ein gut zusammengestelltes Team ist. Das übersehen wir in der "alten IT-Welt" häufig - zwischen den vielen Prozessdetails und virtuellen Teams. Unsere Kunden freuen sich auch, denn schließlich steht wieder die Lösung ihrer Probleme im Vordergrund.
Gemeinsam entwickelte Arbeitsweise
Neue Prozesse bedeuten in unserem herkömmlichen Alltag häufig neue Rollen. So entstehen Teamveränderungen und Umstrukturierungen. Die vorgegebene Arbeitsweise passt aber vielfach nicht zum Team. Agile Methoden wie Scrum zeigen, dass es auch anders geht. Den "Toyota-Weg" als Vorbild, organisieren sich schlanke Teams innerhalb eines groben Rahmens am besten selbst.Es lohnt es sich, ein funktionierendes Team - wie im Fußball - nicht zu stark zu verändern. Gemeinsam entwickelt, richtet sich die Arbeitsweise nach den Möglichkeiten der Mitarbeiter.
Eine nachvollziehbare Teamleistung
Schreit unser Umfeld nach Agilität, so sollten wir nicht dagegen reden, sondern genau hinschauen. Agilität und gute Prozesse wollen das Gleiche. Müssen wir dennoch verteilt arbeiten, so sollten wir unbedingt auf die menschliche Komponente achten. Frei nach Felix Magath bei der Vorstellung des Spielers Raul sollte es "unsere Verpflichtung sein", die Mitarbeiter "so in Szene zu setzen", dass Sie "ihre Fähigkeiten voll ausspielen können". Andernfalls schließt auch Raul keine Tore, sondern wird zu einem mittelmäßigen und schließlich frustrierten Mitspieler.

Agile Unternehmenskultur

Wenn Sie das Agile Manifest betrachten, dann stellen Sie fest, dass dieses ganz klar auf dem Prinzip von Management Y basiert. Hier gehen wir davon aus, dass Menschen eigenmotiviert gute Ergebnisse liefern möchten, wenn die Rahmenbedingungen passen. Diese Rahmenbedingungen sind in erster Linie selbstbestimmtes Handeln (Selbstorganisation), die Möglichkeit, besser zu werden (Profession) und der Anspruch, etwas Sinnvolles zu tun.

Wenn Sie also die Agilität in ihrem Unternehmen ideal unterstützen wollen, dann sollten Sie beginnen, auf eine entsprechende Unternehmenskultur hinzuarbeiten. Umgekehrt bieten agile Frameworks wie z.B. Scrum einen idealen Rahmen, um eine solche Unternehmenskultur zu fördern. Diese Unternehmenskultur wiederum fußt auf einem Wertesystem, das nicht nur vom Management festgesetzt, sondern in der gesamten Organisation tagtäglich gelebt werden muss. So gewinnen sie motivierte Mitarbeiter, die gemeinsam im Team jeden Tag nach besseren Lösungen streben und somit die Qualität und Produktivität nachhaltig steigern werden.

Foto: Thomas Schissler

Im Video: Agile Softwareentwicklung - die Phasen eines Scrum-Projekts

Zum Video: Agilität als Unternehmenskultur - Schock oder Chance?

(Quelle: video2brain, Trainer: Udo Wiegärtner)

Führungskräfte im agilen Kontext

Welche Rolle haben nun Führungskräfte in einer agilen Organisation? Sind Führungskräfte gar überflüssig, da sich doch alle selbst organisieren? Natürlich hat die neue Kultur ganz maßgebliche Einflüsse auf die Art der Führung, diese wird jedoch nicht überflüssig. Lediglich die Art und Weise wie diese ausgeführt wird, verändert sich. Viele dieser Aspekte sind natürlich auch außerhalb von Agilität sinnvoll, jedoch setzt Agilität sie geradezu voraus.

Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur

Eine agile Unternehmenskultur können Sie nicht verordnen, sondern Sie müssen diese mit ihren Mitarbeitern gemeinsam entwickeln. Und das erfordert Zeit. Gehen sie in einzelnen Schritten vor:

Foto: Thomas Schissler

Fazit

Interessant ist zu beobachten, wie eine Bewegung aus der IT auch das Umfeld zu beeinflussen beginnt. Ganze Unternehmen können von dieser Entwicklung profitieren. Am einfachsten tun sich da die reinen Softwarehäuser. Je größer der Anteil arithmetischer Arbeit in einem Unternehmen allerdings ist, umso schwieriger wird es sein, eine einheitliche Unternehmenskultur zu etablieren, die beide Bereich bedient. Hier müssen möglicherweise Parallelkulturen hingenommen werden, was in vielen Organisationen aber bereits heute Realität ist. (mb)

"Dieses Thema können Sie auch als Vortrag auf der DWX - Developer Week vom 15.-18. Juni 2015 auf dem Messegelände Nürnberg hören. Mit über 200 Sessions von mehr als 150 Experten ist die Developer Week eine der größten unabhängigen Entwicklerkonferenzen Europas für Web- Mobile und .NET-Entwickler. Weitere Informationen zum Programm und den Experten finden Sie unter www.developer-week.de."