Melitta: Controlling statt Kaffeesatzlesen

24.11.2004 von Frank Niemann
Mit dem Controlling-System "Ex IS" können Führungskräfte bei Melitta Haushaltsprodukte in Minden die europaweiten Geschäftsaktivitäten überwachen und steuern. Das Projekt Ziel: Einführung neuen, Web-basierenden Planungs- und Controlling-Systems ("Ex IS"), um die Länderergebnisse der einzelnen Auslandsgesellschaften der Melitta Haushaltsprodukte GmbH & Co KG miteinander vergleichen zu können. Projektzeitraum: Oktober 2003 bis März 2004. Das System wird seit August 2004 als alleinige Controlling-Lösung produktiv genutzt, zuvor gab es einen Parallelbetrieb mit dem Altsystem. Projektteam: zwölf Personen von Melitta, der IT-Tochter IS4 und dem Systemhaus Synergetics Management Information Company aus Düsseldorf. Budget: unterer sechsstelliger Betrag. Technische Ausstattung: SAP R/3 4.5B (Migration auf R/3 Enterprise für 2005 geplant); SAP Business Information Warehouse (BW) 3.1; "Decisionware" von MIS AG
Keiner aus dem Team von Achim Koch (links) ist IT-Spezialist - alle sind Controller. Und das ist auch gut so. Nur so konnte Melittas Fachabteilung die Bedingungen des IT-Projekts definieren und bestimmen.

Im Jahre 1908 beschritt die Dresdner Hausfrau Melitta Bentz neue Wege in der Kaffeezubereitung und erfand die Filtertü-te. Auf neues Terrain begab sich knapp hundert Jahre später auch das von ihr ge-gründete Unternehmen Melitta Haus-haltsprodukte. In einem ehrgeizigen IT-Projekt hat der im westfälischen Minden ansässige Hersteller von Kaffeefiltern, -pulver, -maschinen, Reinigungsprodukten ("Swirl") und Erzeugnissen rund um den Tee ("Cilia") eine neue Controlling-Lösung für die europäischen Landesgesellschaften eingeführt.

Neue Möglichkeiten der Analyse

Mit dem System arbeiten alle Landesge-sellschaften des Unternehmensbereichs Melitta Haushaltsprodukte Europa. Hat-ten die Controller bisher ihre liebe Mühe, aussagekräftige Daten in kurzer Zeit, also ad hoc, für die Unternehmenssteuerung beizubringen, können sie nun über ein Web-Portal auf eine Reihe von Analyse- und Reporting-Funktionen zuzugreifen. Die dafür erforderlichen Informationen hält ein neu geschaffener Datenpool in konsolidierter Form vor. "Jetzt können wir Controller unsere steuerungsrelevanten Daten in Form von Ad-hoc-Analysen der Geschäftsführung jederzeit bereitstellen und uns auf die Analyse konzentrieren. Wir haben uns von Datensammlern zu Analysten entwickelt", freut sich Projekt-leiter Achim Koch, der im Oktober 2003 das Vorhaben startete. Nach vier Monaten stand das System, für das der Kaffeefilter-anbieter einen unteren sechsstelligen Be-trag investierte.

IT und Geschäftsleitung steckten Funktionsumfang ab

Geschäftsleitung und die IT-Verantwortlichen haben den Umfang des neuen Controlling-Systems gemeinsam festgelegt. Man wollte so vermeiden, dass - wie schon oft geschehen - DV-Experten Analysewerkzeuge bauen, mit denen die Fachabteilungen nur wenig anfangen kön-nen. Es galt, Prozesse im Controlling zu verbessern, eine standortübergreifende Gewinn- und Verlustrechnung zu entwi-ckeln sowie der Geschäftsführung ein Werkzeug zur raschen Beschaffung von entscheidungsrelevanten Informationen zu liefern. Auf der Wunschliste der Cont-roller standen beispielsweise Leistungsin-dikatoren (Key Performance Indicators, kurz KPIs) für alle Landesgesellschaften. Ferner sollte es möglich sein, Unterschie-de zwischen einzelnen Ländern auf der Ebene der Produkte darzustellen, etwa indem der Anwender die Deckungsbeiträ-ge eines Melitta-Erzeugnisses aus ver-schiedenen Ländern zueinander in Bezie-hung setzt. Beispielsweise ist es jetzt mög-lich, die Standorte anhand der lokal steu-erbaren, variablen Kosten miteinander zu vergleichen. Nicht lokal beeinflussbare Parameter werden nur auf europäischer Ebene ausgewiesen. Auf diese Weise wur-de die Grundlage für ein europaweites Benchmarking geschaffen. Um dies zu er-reichen, war es nicht mit einem neuen Frontend getan. Vielmehr musste ein neu-es Datenmodell konzipiert werden. Die landesspezifischen Datenbestände wurden in ein einheitliches Schema überführt.

Business-Intelligence-Cockpit löst Excel ab

Bei der Gestaltung der Web-basierenden Benutzerschnittstelle ließen sich die Pro-jektmitglieder vom Prinzip eines Flug-zeug-Cockpits leiten, sprich, der Anwen-der sollte die für ihn wichtigen Schalter rasch finden und rechtzeitig über Abwei-chungen vom Soll informiert werden. Be-zogen auf das Business-Intelligence-Portal sind Geschäftsdaten über kurze Navigati-onspfade zugänglich, Signale in Form von Ampeln weisen auf Auffälligkeiten hin, und Drill-Down-Schaltflächen gestatten es, Detailansichten abzurufen. Zum Nut-zerkreis zählen neben der Geschäftsleitung in Minden Länderchefs sowie die interna-tionalen Vertriebsleiter.

Das Controller-Portal "Ex IS" wird seit August dieses Jahres produktiv genutzt und hat die sperrigen und unpraktischen Excel-Tabellen abgelöst. Zuvor diente die Microsoft-Software als Frontend für die Controller. Zwar ließ sich die Tabellenkal-kulation mit Backend-Daten füllen, doch diese Informationen waren nicht geeignet, Landesgesellschaften miteinander zu ver-gleichen.

Nahezu alle Geschäftsdaten liegen bei Me-litta in SAP R/3 beziehungsweise dem "Business Information Warehouse". Diese SAP-Architektur legte es nahe, die neuen Controlling-Anforderungen mit einem Produkt aus Walldorf abzudecken. Das entsprechende SAP-Produkt "Strategic Enterprise Management" war den Pro-jektmitgliedern zu starr und die Anpass-barkeit zu komplex . Auch die Lösungen von Spezialisten wie SAS Institute und Hyperion entsprachen nicht den Wün-schen. Den Zuschlag erhielt schließlich die MIS AG, da ihre "Decisionware" die gefor-derten Funktionen in puncto Controlling, Planung und Reporting am besten umsetz-te.

Allerdings war die Produktentscheidung zunächst umstritten. Um Melittas SAP-Systeme kümmert sich die ebenfalls in Minden ansässigen Tochterfirma IS4, eine IT-Dienstleistungsgesellschaft. IS4 riet Melitta zunächst zur Nutzung einer durch-gängigen SAP-Architektur, konnte sich aber bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Anforderungen mit dieser Empfehlung nicht durchsetzen und betreibt nun neben R/3 und BW auch die Decisionware-Umgebung.

IT-Koordinator statt IT-Leiter und Projektorganisation

Durch die DV-Auslagerung gibt es bei Me-litta keinen IT-Leiter im klassischen Sinne mehr, sondern mit Dirk Schober einen "IT-Koordinator". Dies wirft sofort die Frage auf, wer denn nun die Hoheit über die technische Infrastruktur hat. "Die Ent-scheidung über Produktauswahl und Technologie liegt bei Melitta Haushaltsprodukte immer beim Projektteam. Die IT-Koordination muss sicherstellen, dass das Team alle notwendigen Informationen erhält und verstehen kann." so der Experte, der bei Melitta als interner Berater agiert und somit auch am Ex-IS-Projekt beteiligt war. Neben ihm zählten elf weitere Personen dazu, und zwar hauseigene Mitarbeiter, Angestellte der besagten IT-Tochter IS4 sowie des auf Business Intelligence spezialisierten Systemhaus Synergetics Management Information Company aus Düsseldorf.

Geschäftsführung von Anfang an eingebunden

Die Projektorganisation machte sich Me-litta nach Ansicht von Koch nicht von externen Spezialisten abhängig. Vielmehr seien die firmeneigenen Mitarbeiter fest in die Abläufe eingebunden gewesen - Koch spricht daher von einem "Coaching-Projekt" - und lernten so das System in- und auswendig. Somit sind die Angestellten in der Lage, Anpassungen in Eigenregie vorzunehmen, ohne dafür externe Hil-fe in Anspruch nehmen zu müssen. Eingebunden wurde auch der Auftraggeber, nämlich die Geschäftsleitung. Sie nahm an Konzeptions-Workshops teil, um ihre Anforderungen auf den Punkt zu bringen.

Wöchentliche Status-Meetings

Wöchentliche Status-Meetings sollten verhindern, dass das Projekt aus dem Ruder lief oder sich in die falsche Richtung entwickelte. Die Sitzungen wurden dokumentiert und im Projektteam abgestimmt. Die Mühe hat sich offenbar ge-lohnt: Zur ersten Sitzung der Geschäftsleitung im März dieses Jahres wurde das System bereits produktiv genutzt, wenngleich die alte, Excel-gestützte Methode noch bis August parallel betrieben wurde.

Datenqualität war nicht ausreichend

Ganz ohne Schwierigkeiten verlief die Fertigstellung von Ex IS hingegen nicht. Probleme bereitete die Bereitstellung der Daten sowie deren Qualität . Hier waren zunächst ausführliche Qualitätssicherungsmaßnahmen erforderlich. Dies hat jedoch den zeitlichen Projektrahmen nicht gesprengt, bemerkt Koch, da in der Projektplanung Zeitpuffer vorgesehen waren, um unvorhersehbare Mehrarbeit abzufedern. Es war somit nicht damit getan, geeignete Daten zu sammeln. Vielmehr mussten beispielsweise die SAP-Experten bei IS4 die R/3- und BW-Systeme anpassen. Darüber hinaus war es erforderlich, die Landesgesellschaften auf ein standardisiertes Reporting festzulegen. Hier gab es schon mal Abweichungen von Monat zu Monat, die einer Gesamtsicht auf Geschäftsdaten entgegenwirkten.

Neues Datenmodell für europaweites Planen und Berichten

Grundlage des neuen Controlling-Systems bildet ein Datenpool, der ein eigens entwickeltes Datenmodell vorhält, in das sich die Geschäftsinformationen aus BW und R/3 hochladen lässt. Der Informationsspeicher dient als Data Warehouse für konsolidierte Daten und als Informations-Repository. Die Reporting- und Planungs-Applikationen laufen auf einem Applikations-Server und werden dem Anwender über ein Web-Portal bereitgestellt. Hierbei nutzen die Reporting- und Planungssysteme die gleiche Datenbasis. Ferner lassen sich auf diese Weise sowohl Meta- und, Strukturdaten als auch Stamm- und Bewegungsdaten auf einer Plattform pflegen.

Arbeitsbedienungen der Controller verbessert

Obwohl sich der Nutzen des Controlling-Werkzeugs nachvollziehen lässt, fällt es den Projektverantwortlichen schwer, einen Return on Investment zu spezifizieren. Wie sollte sich auch die verbesserte Arbeitsbedingung für Controller sowie die raschere Bereitstellung von Unternehmensdaten in Euro und Cent ausdrücken lassen?

Stolz ist man bei Melitta auf das Business-Intelligence-System, da es den von der Geschäftsführung geforderten Funktionsumfang nahezu vollständig abdeckt, im Kosten- und Zeitrahmen realisiert wurde und sich durch den Fachbereich an neue Anforderungen anpassen lässt. Darüber hinaus hebt das Unternehmen hervor, dass das Projekt vom Controlling initiiert und vorangetrieben wurde und nicht etwa von IT.