Lastenausgleich für Mail-Server

12.08.2004 von Frank Niemann
Viele E-Mail-Server ächzen unter der Flut eingehender Nachrichten. Firmen suchen daher nach Lösungen, die E-Mails von den Servern entfernen und in einem Archiv ablegen. Die Tools sollen einerseits den Servern Luft verschaffen, andererseits Nachrichten als Dokumente archivieren.

Die E-Mail-Kommunikation ist für viele Firmen Fluch und Segen zugleich: Einerseits lassen sich Informationen sehr einfach und rasch versenden, andererseits sind Anwender mit der Fülle an eingehenden Nachrichten überfordert. Problematisch sind die Flut an Mails und vor allem deren Anhänge für Unternehmen auch deshalb, weil sie die Messaging-Server überlasten.

Zudem bringt der enorme Umfang der Mail-Datenbanken auf den Servern die Administratoren in Schwierigkeiten: Ihnen reicht mitunter das für das Server-Backup vorgesehene Zeitfenster nicht mehr aus. Und das E-Mail-Aufkommen wächst rasant weiter: Das Beratungshaus Gartner taxiert die jährliche Zunahme auf etwa 40 Prozent. Das Marktforschungsunternehmen IDC schätzt, dass nächstes Jahr täglich rund 35 Milliarden E-Mails versendet werden.

Rabiates Löschen ist kaum ein probates Mittel, dem E-Mail-Wust Herr zu werden. Oft sind sich Nutzer nicht sicher, ob eine Nachricht nicht eines Tages doch wichtig sein könnte. Hinzu kommt, dass die elektronische Post sich als wichtiger Teil der geschäftlichen Korrespondenz etabliert hat. Manche Nachrichten sind daher zu behandeln wie Papierdokumente oder Faksimiles. Für steuerrelevante Computerpost gibt es, wie für andere Schriftstücke auch, gesetzliche Aufbewahrungsfristen.

Abhilfe versprechen Hersteller von E-Mail-Archivierungswerkzeugen. Einfach ausgedrückt, speichern diese Programme ein- und ausgehende Nachrichten in einem zentralen Archiv, wobei der Anwender wie gewohnt über die Client-Software auf die Nachrichten zugreifen kann. Im Eingangskorb verbleibt nur die wenig Speicher beanspruchende Hülle der Nachricht, während ihr Inhalt (Message Body) sowie Attachments auf einem Archiv-Server lagern. Auf diese Weise wird die Mail-Datenbank des Servers spürbar entlastet. Der Vorgang ist für die Anwender weitgehend transparent. Das Auslagern hat noch einen weiteren Vorteil: Es erlaubt einen Anwendungszugriff auf Mails unabhängig vom Messaging-System, etwa für Recherchen nach Kundenkorrespondenz über ein Fremdsystem.

Die meisten Programme zur E-Mail-Archivierung arbeiten mit den führenden Messaging-Systemen "Exchange Server" von Microsoft und "Lotus Domino" zusammen. Unter den Anbietern finden sich Spezialisten wie KVS aus Großbritannien oder die vom Storage-Hersteller EMC geschluckte Legato Systems. Außerdem bieten viele Hersteller von Dokumenten-Management-Systemen Erweiterungen für die E-Mail-Erfassung und -Archivierung an. Das Ablegen der Mails steuern diese Programme entweder automatisch, oder der Anwender wählt am PC einzelne Nachrichten zum Archivieren aus. Oft kombinieren die Lösungen beide Methoden.

Bild: Photo Alto

Eines der bekanntesten Produkt in diesem Segment, "Enterprise Vault" von KVS, richtet sich an Exchange-Nutzer, die akute Probleme mit der rasant wachsenden Größe ihrer E-Mail-Datenbanken haben. Oftmals plagen sich die Kunden nicht nur mit überfüllten Servern, sondern auch mit den Private Stores der Anwender herum. Viele "Outlook"-Nutzer (das Desktop-Programm ist Microsofts Frontend-Software für den Exchange Server) richten sich persönliche E-Mail-Archive ("Private Stores", kurz PSTs) auf der lokalen Festplatte oder auf einem Netzlaufwerk ein - sehr zum Leidwesen der Administratoren.

Diese PST-Dateien umfassen nicht selten mehr als 100 Megabyte und müssen von der Backup-Routine wie ein großes File gesichert werden, und zwar bei jeder noch so kleinen Änderung. Besonders in großen Netzen wird das Sichern zahlreicher PSTs schnell zur Tortur. Mit Sorge haben Systemverwalter zur Kenntnis genommen, dass die Private Stores bei "Outlook 2003" bis zu 20 Gigabyte umfassen können. Bislang waren hier nur 2 Gigabyte möglich.

Statt Private Stores anzulegen, sollen Anwender ihre E-Mails in Enterprise Vault sichern. Eine regelbasierende Archivierungsroutine speichert E-Mails der einzelnen User in einem speziellen Datenspeicher außerhalb des Exchange Server. Dies könnte beispielsweise automatisch für alle Nachrichten geschehen, die älter als sechs Monate sind. Der Outlook-Anwender bemerkt davon kaum etwas: Er findet nach wie vor seine E-Mails im Eingangskorb. Klickt er auf eine archivierte Nachricht, wird sie aus dem KVS-Archiv geladen und erscheint wie gewohnt auf dem Desktop.

Die Archivierungssoftware stellt fest, ob ein Anhang bereits gespeichert wurde, etwa ein an viele Anwender versendetes Rundschreiben mit angehängter Powerpoint-Datei. In diesem Fall legt das System das betreffende Attachment nur einmal physikalisch ab und stellt zu den anderen Nachrichten entsprechende Verknüpfungen her ("Single Instance"). Auch eine Reihe anderer Hersteller beherrschen dieses platzsparende Verfahren. Eine ins KVS-Programm integrierte Suchmaschine indiziert Nachrichten nebst Attachment und erlaubt dem Nutzer so eine Volltextsuche entweder über den Outlook-Client oder über ein Web-Interface.

Während sich KVS in Sachen E-Mail-Systeme ganz auf Exchange konzentriert beziehungsweise Archivierungslösungen für File-Server und Microsofts "Sharepoint Portal Server" vermarktet, arbeitet die Software "Email Xtend" des zum Speicherspezialisten EMC gehörenden Konkurrenten Legato darüber hinaus mit den Messaging-Systemen Lotus Domino und "Sendmail" zusammen. Legato verspricht ähnliche Funktionen wie KVS, allerdings lassen sich hier die E-Mails aus beiden Server-Systemen in einem einheitlichen Archiv abspeichern. Ebenso kann der Anwender über die Suchfunktionen nach Notes- und Exchange-Nachrichten gleichermaßen suchen.

Eine andere Produktstrategie als KVS und Legato verfolgen Spezialisten für das Dokumenten-Management. Wie für die anderen Anbieter dieses Segments ist auch für die D.velop AG aus Gescher die E-Mail-Archivierung eine optionale Erweiterung des Kernprodukts zum Erfassen, Archivieren und Verwalten von elektronischen Schriftstücken, Papierdokumenten und strukturierten Daten aus betriebswirtschaftlichen Standardanwendungen. Der Hersteller koppelt E-Mail-Software Client-seitig über die Imap4-Schnittstelle an die Software "D.3" an. Unterstützt werden zahlreiche Programme, die diesen Standard unterstützen, darunter "Lotus Notes", Outlook/"Outlook Express", "Kmail" (E-Mail-Programm der Linux-Oberfläche "Konquerer") sowie das Mail-Modul des Open-Source-Browsers "Mozilla".

Beim Mitbewerber Optimal Systems aus Berlin erfolgt die Anbindung der E-Mail-Software ebenfalls über den Client. Auf Wunsch wird der Postein- und -ausgang von Outlook in der Benutzeroberfläche der Dokumenten-Management-Lösung "OS:DRT" dargestellt. Der Anwender teilt dem System mit, welchem Vorgang er seine Mails zuordnen möchte. So kann er beispielsweise eine Nachricht der elektronischen Akte eines Kunden zuweisen.

Die besten Hersteller

Hierzu vergibt der Benutzer der zu archivierenden E-Mail Schlagworte, zum Beispiel den Autor, das Datum und individuelle Kennzeichen wie etwa die Vorgangs- oder Kundennummer. Bei den Berlinern hat die zentrale Ablage aller Kundenkontakte Vorrang vor der Entlastung des E-Mail-Servers. Dies zeigt sich daran, dass die Lösung die Nachrichten beim Archivieren lediglich kopiert; das Original verbleibt auf dem Server. Wünscht der Kunde eine Server-seitige Archivierung, die zudem die Mail-Datenbank verkleinert, wird er auf Lösungen von Softwarepartnern verwiesen.

Seit Jahresanfang versteht es die zu Open Text gehörende Softwareschmiede Ixos, neben Exchange- auch Notes-Mails zu archivieren. Anders als das Produkt von Optimal Systems greift das Ixos-Programm die Nachrichten vom Server ab und speichert sie im "Enterprise Content Repository" (vormals "E-Con Server"). Auch hier vollzieht sich das Auslagern regelgestützt. Das Feature "Watermark-Archiving" überträgt Mails so lange vom Exchange Server in das Archiv, bis der Mailbox-Inhalt auf einen vom Administrator festgelegtes Ausmaß geschrumpft ist. Laut Ixos werden außerdem die von Outlook-Anwendern lokal erzeugten Private Stores aufgelöst. Das Softwarehaus hat die Suchmaschine von Convera eingebunden, so dass Anwender per Volltextsuche archivierte E-Mails aufspüren können.

Die Archivierungskomponente soll es dem Anwender zudem ermöglichen, Daten aus ERP-Systemen wie SAP R/3 sowie aus Siebels und SAPs CRM-Programmen gemeinsam mit E-Mails zu speichern. So könnten etwa Belege aus der Finanzbuchhaltung über einen Geschäftsvorfall zusammen mit der Korrespondenz archiviert werden.

Andere Dokumenten-Management-Hersteller wie etwa SER, Filenet und COI nutzen zur E-Mail-Archivierung gedache Middleware des finnischen Softwarehauses TJ Group mit Sitz in Stuttgart, um Exchange- oder Domino-Systeme mit dem eigenen Archiv zu koppeln.

Darüber hinaus bietet TJ Group seine Software "CAI Suite" auch selbst an. So speichert beispielsweise die Lösung "Doxis E-Mail-Archivierung für Lotus Domino" von SER sowohl Mails als auch Domino-Datenbanken im Archiv-Server des Dokumenten-Management-Systems "Doxis". Bei der Archivierung bleiben die Zugriffsrechte auf die Inhalte erhalten, so dass nur dazu berechtigte Nutzer die archivierten Informationen abrufen können. Ähnlich wie bei der Ixos-Lösung dient das Produkt sowohl zum Aufräumen der Mail-Server als auch zur Langzeitarchivierung von Nachrichten sowie zu deren Ablage in elektronische Akten.

Der Softwarespezialist Group Technologies AG kombiniert mit seinem E-Mail-Management-Produkt "iQ Suite" Viren- und Spam-Schutz sowie die Mail-Archivierung. Das Produkt überprüft eingehende Nachrichten zunächst auf Virenbefall und sortiert unerwünschten Mail-Müll aus. Die Eingangskontrolle soll verhindern, dass versehentlich Spam-Mails oder Würmer archiviert werden. Der Virenscanner stammt von H+B EDV aus Tettnang und lässt sich durch Scan-Engines anderer Antivirenspezialisten ergänzen, den Spam-Blocker hat Group selbst entwickelt. Über eine Schnittstelle lassen sich unter anderem die Archivsysteme von Ixos und Saperion anbinden.

Nach den Erfahrungen von Jobst Eckardt, Berater bei der Unternehmensberatung Zöller & Partner aus Sulzbach, ist der Kreis der Firmen, die eine Server-basierende Lösung benötigen, recht überschaubar. Bedarf hätten vor allem große Unternehmen, die den Exchange Server als firmenweites Messaging-System verwenden. Beispielsweise hatte der Autohersteller Audi massive Schwierigkeiten mit den von den Nutzern lokal erzeugten PST-Dateien.

Gerade solche Unternehmen haben ein Interesse daran, ausreichend Speicherplatz zu niedrigen Kosten für die E-Mail-Archivierung bereitzustellen. Viele Archivprodukte sind aus diesem Grund mit Schnittstellen zu Speichersystemen von EMC, Hitachi Data Systems, Netapp, Storagetek und IBM ausgestattet. Ihre Bedeutung als Alternative beispielsweise zu WORM-Datenträgern (Write-once, read-many) wächst stetig. Teilweise betätigen sich hier die Storage-Hersteller: allen voran EMC seit dem Kauf von Legato, aber auch Sun sowie Hitachi Data Systems.

Um Anwendern den Einstieg in die E-Mail-Archivierung zu erleichtern, legen einige Hersteller Komplettpakete auf. So will das in Herzogenaurach ansässige Unternehmen COI ab dem dritten Quartal dieses Jahres eine Lösung aus zwei Rechnern, einer Tape-Library mit einem Terabyte Speichervolumen und der E-Mail-Archivierungssoftware "Business Archive" für Exchange oder Lotus Notes für rund 45.000 Euro feilbieten.