VC-Firmen entdecken das Risiko

13.03.2002 von Riem Sarsam
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Gilde der Wagniskapitalgeber hat im vergangenen Jahr stark unter der Rezession gelitten. Nun sind neue Strategien gefragt: Statt eines zügellosen Wachstums setzen die Investoren derzeit auf die Verringerung des Risikos. Für einige VCs kommt der Schwenk jedoch zu spät.
BVK-Präsident Werner Schauerte

"Rund zehn Prozent unserer Mitglieder werden von der Bildfläche verschwinden", befürchtet Werner Schauerte, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK). Knapp 200 Mitglieder sind in der Lobbygruppe vertreten, rund 20 Venture-Kapitalisten wird es demzufolge über kurz oder lang erwischen. Hauptgrund für die Flurbereinigung ist das düstere Jahr 2001: Hier summierten sich die von den Investoren als Totalverlust abgeschriebenen Beteiligungen auf rund 607 Millionen Euro - insgesamt verschwanden 426 finanzierte Unternehmen von der Straße.

Kritisch wird die Entwicklung vor allem für diejenigen Risikokapitalgesellschaften, die dem Dotcom-Hype blindlings nachgelaufen sind und sich nicht an die Faustregel der Branche gehalten haben: mindestens 20 bis 30 Prozent der Fondsmittel für Folgefinanzierungen zu reservieren. Wer zu den Todeskandidaten gehören wird, ist ein offenes Geheimnis: "Das sind Firmen, deren Namen in der Öffentlichkeit sowieso keiner kennt", spekuliert Patrick Meininger von der Münchner VC-Gesellschaft Wellington Partners.

Doch auch die großen und bekannten Finanzierer haben Federn lassen müssen. Prominentestes Beispiel ist die Investmentgruppe 3i, einer der größten europäischen Risikokapitalgeber. Insgesamt sieben Büros hat das in England beheimatete Unternehmen geschlossen; knapp 190 Mitarbeiter oder 17 Prozent der Belegschaft wurden vor die Tür gesetzt.

Dass solche Tiefschläge dennoch kein Aus für die Branche bedeuten, wiederholt BVK-Präsident Schauerte oft und gern: "Der deutsche VC-Markt bewegt sich auf hohem Niveau", relativiert er die angespannte Situation. Seiner Meinung nach befinde sich der VC-Markt nicht in der Krise, sondern in einem Reinigungsprozess. Das Volumen des Beteiligungskapitals werde zwar in diesem Jahr stagnieren, aber von schlechten Zeiten könne deshalb keine Rede sein. Momentan, schätzt Schauerte, befinden sich in der Kassen der rund 350 bis 400 in Deutschland tätigen VC-Gesellschaften noch rund 4,5 Milliarden Euro. Am Ende des Boomjahres 2000 war die Summe indes fast doppelt so groß.

Struktur der Exitkanäle: Nur acht von 1146 Unternehmen wurden 2001 an die Börse gebracht. ein Drittel der Beteiligungen entwickelte sich dagegen zum Totalverlust.   Quelle: BVK

Mit einem Investmentvolumen wie 1999 bewegten sich die deutschen VC-Gesellschaften im vergangenen Jahr ungefähr auf dem Niveau ihrer europäischen Kollegen. Laut den jüngsten Zahlen des europäischen Venture-Capital-Verbands EVCA sank die Summe des europaweit im Jahr 2001 investierten Kapitals um 23 Prozent von 15 Milliarden auf 11,5 Milliarden Euro ab.

Patrick Meininger (Wellington Partners): "Bewertung ist eine Kunst und keine Wissenschaft."

Angesichts der ernüchternden Zahlen im Spiegel von Abschreibungen, Entlassungen sowie Firmenpleiten hat sich inzwischen unter den Kapitalgebern ein Sinneswandel vollzogen. Nicht mehr nur die vermeintlichen Chancen werden hervorgehoben, stattdessen besinnen sich die Geläuterten zunehmend auf die Gefahren ihrer Investitionen. Diese gelte es breit zu streuen, „Risikodiversifizierung“ hat „Gewinnmaximierung“ als VC-Schlagwort abgelöst.

Dass allein durch organisatorische Maßnahmen das VC-Geschäft weniger riskant wird, leuchtet ein. Den Erfolg einer Beteiligung garantieren solche Schritte jedoch keinesfalls. Auch wenn sich die Wagniskapitalgeber in punkto Einschätzung und Bewertung junger Unternehmen und Business-Modelle nun besonnener geben - die Prognose des Marktwertes bleibt nach wie vor ein heikles Unterfangen: "Bewertung ist eine Kunst und keine Wissenschaft", bringt es Wellington-Mann Meininger auf den Punkt.

Dennoch müssten sich die Gesellschaften ihre Bewertungskriterien sorgfältiger überlegen. „Die VCs sollten sich dabei nicht nur auf die Technologie konzentrieren, sondern insbesondere auch analysieren, ob ein Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen wirklich dringende Kundenbedürfnisse anspricht“, rät Waldemar Jantz, Partner bei Target Partners. Nicht zuletzt sei auch die finanzielle Situation der Zielkunden einer Firma ein entscheidender Faktor bei der Beurteilung.

Die Begeisterung für unerschlossene Branchen ist damit der Betrachtung bereits existierender  Märkte gewichen. Statt in Firmen zu investieren, die noch kein fertiges Produkt, geschweige denn Kunden, vorweisen können, besinnt man sich in VC-Kreisen lieber auf Bewährtes und investiert das Geld in Firmen, die bereits die erste Finanzierungsrunde hinter sich gebracht haben.

Die Tendenz dazu zeigte sich bereits im vergangenen Jahr: In den ersten neun Monaten 2001 erhielten gerade einmal 80 Firmen eine Seed-Finanzierung, also die Hilfe zum Aufbau eines Betriebs, von den BVK-Mitgliedern. Damit liegen sie mit ihren europäischen Wettbewerbern auf einer Linie: "Im Jahr 2000 machten die Seed- und Erstrundenfinanzierungen noch rund 70 Prozent der europäischen VC-Geschäfte aus", erläutert Ives Brand, Chefredakteur der VC-Zeitschrift „Tornado Insider“. Im abgeschlossenen Geschäftsjahr rutschte diese Quote auf weniger als ein Drittel des gesamten investierten Kapitals.

Last, but not least relativierte sich auch der Faktor Zeit. Zumindest vorerst scheint innerhalb der VC-Branche wieder mehr Ruhe eingekehrt zu sein. Statt wie früher ein paar Wochen dauert eine Due-Dilligence-Prüfung inzwischen gerne wieder einige Monate. Gleiches gilt für den Zeitraum, der einem Unternehmen bis zur Markt- beziehungsweise Börsenreife zugestanden wird. Niemand in der VC-Branche spricht mehr davon, eine Firma innerhalb von zwei Jahren von der Produktentwicklung bis zum Börsengang bringen zu wollen. Zeiträume von mindestens fünf Jahren werden nun als realistisch erachtet.

Ganz freiwillig dürfte dies allerdings nicht geschehen. Durch die Konjunkturschwäche sind die Verkaufsmöglichkeiten von Beteiligungen nicht gerade rosig. Konzerne und deren Corporate-Venture-Töchter als potenzielle Käufer von jungen Unternehmen halten sich wegen der Rezession bedeckt. Und auch der eigentliche Königsweg, der Exit über einen Börsengang, ist gegenwärtig blockiert. Da zudem vor der zweiten Jahreshälfte niemand ernsthaft eine konjunkturelle Erholung erwartet, drängt ohnehin nichts zur Eile.

Risiko im Griff

Als Maßnahmen zur Diversifizierung der Risiken bieten sich eine Reihe von Strategien an. In einem von der Münchner VC-Gesellschaft Target Partners organisierten Roundtable nannten die Experten vier konkrete Vorgehensweisen, mit denen die Kapitalgeber gegenwärtig operieren.

Größere Reserven: In der Anfangsphase sollten VCs höchstens die Hälfte ihres gesamten Fondsvolumens in Unternehmen finanzieren und sich damit Spielraum für Folge- und Neuinvestitionen offen halten.

Risikokopplung: Die Höhe der Beteiligung muss enger mit der Risikoeinschätzung verknüpft werden. Je größer die Gefahr, dass eine Investition in den Sand gesetzt wird, desto geringer wird der Einsatz. Die französische Gesellschaft Sofinnova beispielsweise investiert in riskante Engagements höchstens drei Prozent: „Dadurch schaffen wir ein breites Portfolio, das uns besonders in Krisenzeiten absichert“, begründet Olivier Protard, General Partner bei Sofinnova, die Regel.

Co-Venturing: Eine andere Form der Risikostreuung wollen VCs durch mehr Zusammenarbeit erreichen. Co-Venturing ist nicht neu, immerhin handelt es sich um eine Szene, in der „man sich kennt“. Doch der Hype der Jahre 1999 und 2000 hatte auch unter den einzelnen Gesellschaften mehr Wettbewerb entfacht. Schließlich träumte jeder davon, den dicken Fisch an die Angel zu bekommen. Inzwischen heißt es wieder, dass der deutsche Markt groß genug für alle sei. Mit verschiedenen Kapitalgebern in einem Boot veringert sich die Höhe des eingesetzten Kapitals, Fachwissen wird gebündelt und das Risiko auf mehrere Schultern verteilt.

Hierarchien: Um Kompetenzstreitigkeiten unter den VCs zu verhindern, wird die Beteiligung in Lead- und Co-Investments geteilt. Der Lead-Investor ist für die Marschrichtung und die aktive Betreuung des Unternehmens verantwortlich. Auch nach der Finanzierung beschränkt sich der Kontakt zwischen den Kapitalgebern nicht nur auf die finanzielle Ebene. "Wenn eine schwierige Phase eintritt - und die tritt bei jedem jungen Unternehmen ein -, wird die Bewältigung mit mehreren Investoren leichter", erklärt Patrick Meininger von Wellington Partners.