HANA als Appliance

"1+1=3 - das ist zu wenig"

28.03.2011 von Thomas Pelkmann
SAP HANA läutet eine neue Phase in der Verarbeitung von Daten ein: Mit der Echtzeitanalyse lassen sich riesige Datenmengen in Millisekunden verarbeiten und analysieren. Eine tolle Technik, meinen die Analysten. Aber ist die Appliance das, was die Unternehmen wirklich brauchen?
SAP soll bei HANA mehr darüber sprechen, welchen Mehrwert Datenanalysen in Echtzeit bringen, fordert Forrester-Analyst Holger Kisker.
Foto: Forrester Research

"Die bisherigen Analytiklösungen waren 'fast', HANA ist 'faster'", meint Holger Kisker, Senior Analyst bei Forrester Research, lapidar. Der Technikchef von SAP, Vishal Sikka, bezeichnet das Arbeitstempo der SAP-Technologie "High Performance Analytic Appliance" als "real realtime". Und tatsächlich: HANA analysiert in üppig ausgestatteten Arbeitsspeichern riesige Datenmengen in Zeiten, die praktisch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. So haben Testläufe ergeben, dass sich mit HANA und In-Memory-Datenabfragen im Größenbereich von 500 Milliarden Datensätzen mit Antwortzeiten unter einer Minute durchführen lassen.

Angesichts der steil ansteigenden Menge der verfügbaren Daten scheint Tempo geboten: Im Jahr 2009, haben die Marktforscher von IDC ausgerechnet, ist das weltweite Datenvolumen auf rund 800 Millionen Terabyte angewachsen. Dazu trägt wesentlich die zunehmende Digitalisierung bei: Immer mehr Transaktionsdaten aus der Geschäftswelt liegen in computerlesbarer Form vor, immer größere Teile des privaten Alltags finden sich ebenfalls in maschinenlesbarer Form wieder, etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook, LinkedIn oder Twitter. Für Unternehmen sind solche Daten enorm wertvoll, weil sie schnelle Analysen über Warenströme, Lieferengpässe oder Kundenvorlieben zulassen. Das wiederum hilft bei der Optimierung von Fertigungs- und Vertriebsprozessen, beim Marketing, oder beim Kundensupport.

Mit bisherigen Technologien sind solche Analysen nicht möglich. Zum einen befinden sich "traditionelle" Daten meist auf Massenspeichern und müssen von dort zunächst geladen, um anschließend verarbeitet zu werden. Das senkt die Verarbeitungsgeschwindigkeit bei geschäftskritischen Daten oft so weit, dass die Analyse von Echtzeitprozessen gar nicht möglich ist. Zum anderen sind herkömmliche Systeme schlicht nicht für die großen Datenmengen ausgelegt, wie sie etwa soziale Netze in Sekundenschnelle produzieren. Ohne neue Techniken etwa für das Informationsmanagement und ohne Mittel und Wege, unstrukturierte Daten mit einer Struktur zu versehen, seien die gewonnenen Daten also kaum nutzbar, warnen die Marktforscher von IDC.

SAP hat mit HANA die Technik zur Bewältigung der Datenflut entwickelt. "Bei HANA handelt es sich um eine flexible, für verschiedene Zwecke geeignete und datenquellenagnostische In-Memory-Appliance, bei der SAP-Softwarekomponenten von führenden SAP-Hardwarepartnern auf optimierter Hardware bereitgestellt und ausgeliefert werden", definiert der Walldorfer Softwarekonzern seine Echtzeitanalyse-Technologie. Damit sei es möglich, "große Mengen an detaillierten Daten zur Analyse des Geschäftsbetriebs heranziehen - und zwar sofort nach dem Entstehen oder Anlegen dieser Daten". Alle Transaktions- und Analysedaten aus fast allen Datenquellen ließen sich damit "in Echtzeit" untersuchen.

HANA als Technologie ist zu wenig

Als Technologie geht das sicher in Ordnung, kommentierte im Herbst vergangenen Jahres der Analyst Wolfgang Martin die Präsentation von HANA auf der SAP-Hausmesse TechEd in Berlin. Forrester-Experte Holger Kisker kritisiert dennoch den aus seiner Sicht bislang viel zu technischen Fokus auf das Thema: "Ich kann mir schon vorstellen, dass IT-Leute sehr interessiert daran sind, Daten noch schneller zu verarbeiten. Für die Geschäftsleute gilt das aber nicht automatisch". Sein Rat an SAP: Der Konzern solle explizit sagen, für welche Anwendungen und Geschäftsprozesse HANA einen wirklichen Mehrwert bringt. Zwar sei schneller immer besser, so Kisker. Für viele Prozesse und Anwendungen reiche das heutige Tempo aber aus, und die Mehrkosten für In-Memory-Technologien und HANA müssten sich durch echte Verbesserung in den Analytics niederschlagen, fordert der Experte.

"Das Neue an HANA ist die Möglichkeit, transaktionale Daten zu verarbeiten", betont Hans-Ulrich Schaller, der bei HP weltweit für das Business Development von HANA verantwortlich ist.
Foto: HP

Dabei gibt es durchaus Antworten auf die Frage nach dem Business-Nutzen von HANA: Die hoch performanten Analysen sind dort sinnvoll, wo kurze Response-Zeiten gefordert sind: im Finanzwesen zum Beispiel, wenn Informationen über sich plötzlich ändernde Marktbedingungen eintreffen und wo Entscheidungen innerhalb von Sekunden getroffen werden müssen.

Oder in der Fertigungsindustrie, wo die in Echtzeit organisierten Herstellungsprozesse auch an schnellen Reaktionsmöglichkeiten hängen. "Das wirklich neue bei HANA aber ist, dass sich jetzt auch transaktionale Daten verarbeiten lassen", meint dazu Hans-Ulrich Schaller, bei HP weltweit für das Business Development für HANA verantwortlich. "Das sind Daten, die in der Regel ein sehr viel größeres Volumen haben und auch nur in Echtzeit wirklich Sinn machen."

Zum Beispiel bei der Rechnungsstellung für Telekommunikationsunternehmen, wo Unmengen von Verbindungsdaten in unterschiedlichsten Tarifen anfallen. "Daraus muss man am Monatsende schnell die Rechnungen erstellen, möchte als Anbieter aber auch Trendanalysen über Auslastungen, Downtimes oder Profitabilität fahren."

Traditionelle Business-Warehouse-Landschaften seien dazu nicht in der Lage, so Schaller, weil sie keine transaktionalen Daten verarbeiten, sondern nur Analysedaten. Doch auch der HP-Experte sieht Defizite bei der Vermittlung solcher Vorteile: "Ein Massenmarkt für HANA ist tatsächlich noch nicht sichtbar, weil die Technologie noch so neu ist." Dennoch sei der Bedarf groß, mit HANA aus den "unglaublichen Mengen an Daten, die sich in den Rechenzentren ansammeln, vernünftige Geschäftsinformationen zu generieren."

Appliance - das neue Vertriebsmodell?

Ziemlich neu bei HANA ist neben der Technik auch das Vertriebsmodell: Hinter dem zweiten "A" des Akronyms steckt das Wort "Appliance". Der Begriff bezeichnet eine relativ fest verdrahtete Kombination von Hard- und Software. Anders als bei traditionellen Unternehmensanwendungen hat der Endkunde nicht die Option, das Programm auf einer beliebigen Hardware ins Laufen zu bekommen, sondern bezieht HANA gleichsam "out of the box". Im Falle von HANA ist es die SAP, die bei der Systemausstattung strenge Vorgaben macht: Dazu gehören bestimmte Intel-Prozessoren ebenso wie Suse Linux als Betriebssystem.

Die schlüsselfertige Lösung bietet aus Kundensicht entscheidende Vorteile, meint Hans-Ulrich Schaller: "Die Implementierung dieser Lösung geht sehr schnell im Vergleich zu ähnlichen Projekten. Bei HANA reden wir von Tagen oder Wochen, nicht von Monaten." Zudem sei HANA als Appliance unabhängig von bestehender Datenbank-Infrastruktur (SAP sagt: "datenquellenagnostisch"), aber in der Lage, auf alle existierenden Systeme zuzugreifen.

Trotz dieser Vorteile: Appliances sind nicht unumstritten. So kritisiert Forrester-Analyst Holger Kisker: "Man büßt erheblich an Flexibilität ein, die man sich vielleicht in einer optimierten Server-Landschaft mit optimierter Software aufgebaut hat. Jetzt kriegt man eine Box hingestellt, die zwar die eine Aufgabe hervorragend erledigen kann, sich aber als unflexibel erweist, wenn man sie für etwas anderes nutzen möchte." Ende 2010 hat Kisker seine Unternehmenskunden nach der Akzeptanz von Appliances gefragt.

Das Ergebnis war ernüchternd: Gerade einmal sieben Prozent würden vorgefertigte Lösungen einer Best-of-Breed-Landschaft vorziehen. "Aber", relativiert Kisker dieses Resultat, "das liegt auch daran, dass die Kunden die Vorteile von Appliances noch nicht genau verstanden haben. Ich glaube schon, dass sich das noch ändern wird." Denn neben der besseren Performance bei Spezialaufträgen und einer deutlich kürzeren Implementierungszeit seien Appliances in der Regel auch kostengünstiger als einzeln erworbene Komponenten. Zudem seien die vorgefertigten Lösungen ein wichtiger Schritt hin zu der oft geforderten Standardisierung der Systemlandschaft in den Unternehmen.

Und doch gehe die Standardgleichung von Appliances, wonach eins (die Hardware) plus eins (die Software) mehr als zwei ergeben, nicht einfach auf. "Das reicht nicht, um den Markt zu überzeugen", warnt Kisker. "Da muss mindestens vier oder fünf rauskommen, damit man sich als Kunde in die Abhängigkeit nur eines Anbieters begibt."

HANA ist nicht einfach nur schneller

Das aber ergibt HANA: Mit dieser Appliance, sind sich die Experten einig, seien Analysen möglich, die nicht nur einfach schneller seien als bisher. "Anders als bei einem bestehenden Business-Warehouse-System erlaubt HANA mit der Verarbeitung transaktionaler Daten Analysen, die bisher aus Zeit- oder Kostengründen überhaupt nicht möglich waren", so Schaller über die neuen Optionen für Echtzeitanalysen.

Zudem bestreitet der HP-Experte, den Vorwurf, Appliances seien unflexibel: "Auch vorgefertigte Systeme leben." Auch bei Appliances gebe es Releases und Patches, um die Systeme auf den neusten Stand zu bringen. Zudem, so Schaller, lassen sich die Systeme auch nach der Installation an geänderte Anforderungen anpassen und beispielsweise skalieren, wenn es signifikant mehr Daten zu verarbeiten gibt.

Appliances mit App-Stores vergleichbar

Aller Skepsis zum Trotz: Appliances werden sich weiter verbreiten, darüber sind sich die Experten aufgrund der unbestreitbaren Vorteile einig. Damit werden sich die traditionellen Wege der Softwaredistribution entscheidend ändern: Je stärker sich das Blackbox-Prinzip bei einzelnen Lösungen durchsetzt, desto häufiger werden Lösungsanbieter künftig direkt mit den Herstellern von Hardware oder Standard-Appliances sprechen müssen, statt sich direkt an Kunden wenden zu können. Denn die können im Zweifelsfall mit einzelnen Lösungsmodulen gar nichts mehr anfangen, wenn sie nicht in die von Appliances geprägten Infrastrukturen passen.

Das ist allerdings ein Distributionsmodell, das sich auch anderweitig durchzusetzen beginnt. Die wachsende Zahl von App-Stores im Mobility-Markt lebt genau von diesem Prinzip. Auch hier kommunizieren die Anbieter zunächst mit dem Hardwarelieferanten. "Für den breiteren Markt ist das eher eine Chance", kommentiert HP-Experte Schaller die Entwicklung. "Wenn es standardisierte Plattformen gibt, ist es sehr viel leichter, Software in den Markt zu bringen." Zudem sei es für die Vendoren nützlich, wenn sie als Zulieferer von Appliances die Marktmacht von HP im Bereich von Server-Technologien, bei Storage-Lösungen und im Vertrieb von Lösungen allgemein nutzen könnten. "Wenn so ein System auf der Appliance läuft, steht den Zulieferern damit prinzipiell ein sehr großer Markt offen."

HANA auch für HP interessant

HP als weltweit führender Hersteller im Server-Markt liefert unter anderem die Hardware für HANA. "SAP macht uns strenge Vorgaben über die Prozessoren und das Betriebssystem", so Schaller über die Zusammenarbeit bei der Echtzeitanalytik. "Aber wir verfügen mit dem ProLiant über sehr leistungsfähige Server-Systeme, die die SAP-Spezifikationen genau erfüllen."

HP investiert derzeit nach Auskunft von Schaller "viel Ressourcen und Personal" für das Bereitstellen von Systemen für HANA. Darüber hinaus achtet der Konzern auf die Integration der Appliances in die eigene, "Converged Infrastructure" genannte Umgebung. "Damit stellen wir sicher, dass es bei HANA keinen Bruch mit der üblichen Rechenzentrumsarchitektur gibt." Schon bald wird es daher von HP auf Basis der strengen SAP-Vorgaben HANA-Pakete geben, die darüber hinaus optionale Netzkomponenten, Administrations-Tools und Remote-Support-Leistungen enthalten.

HP ist allerdings nicht nur Hersteller von Hard- und Software, sondern auch Anbieter umfangreicher Beratungsdienstleistungen. "HANA verbessert keine Geschäftsprozesse, sondern beschleunigt sie nur", sagt Schaller und weist damit zu Recht auf die Tatsache hin, dass auch eine Appliance mehr braucht als eine Steckdose und einen Netzwerkanschluss.

Wer in Erwägung zieht, demnächst von HANA seine schnellen Analysen aus umfangreichen Daten erledigen zu lassen, interessiert sich natürlich für die Auswirkungen der Anschaffung auf das Firmennetz, die Unternehmensprozesse und - nicht zuletzt - auf das Budget. "Die Kunden wollen sehr genau wissen, wie der ROI von HANA aussieht", erläutert HP-Experte Schaller. "Oft stehen potenzielle Kunden auch vor einem großen Berg von Ideen ihrer Mitarbeiter. Wer daraus einen neuen Geschäftsprozess initiieren möchte, braucht in aller Regel Beratung von außen." Deshalb versteht sich HP längst nicht mehr nur als reiner Lieferant von - im Fall von HANA - schlüsselfertigen Appliances, sondern darüber hinaus auch als Service-Partner, der gemeinsam mit den Unternehmen die Modernisierung ihrer analytischen oder transaktionalen Business-Intelligence-Landschaft (BI) vorantreibt.

"Wenn sich eine Firma mit ihren bisherigen Analysewerkzeugen in eine Sackgasse bewegt, kommt sie mit HANA zwar schneller ans Ende dieser Gasse, aber nicht automatisch auch wieder da raus", so Schaller. Stattdessen müssten sich Unternehmen gut überlegen, welcher Teil ihrer Daten sich für die Beschleunigung eigne - und ob sich ein Geschäftsprozess, der durch diese Daten repräsentiert wird, überhaupt vernünftig beschleunigen lasse. "Information ist die Währung, und nur wenn diese Währung stimmt, können Sie auch große Zahlen damit bewegen. Wenn Information nicht zum Geschäftsmodell oder zur Datenqualität des Kunden passt, macht HANA auch keinen Sinn."