Klosterbrüder im Cyberspace

Amerikanische Mönche als DV-Dienstleister

02.08.1996

Bis 1990 führten die Mönche von Holy Cross ein eher beschauliches Leben. Ihre Tage verbrachten die Glaubensbrüder im Gebet sowie mit Meditation und Arbeit in der Backstube. Die dort entstehenden Fruchtkuchen tragen neben der Landwirtschaft seit 1980 zur Existenzsicherung des in den Blue Ridge Mountains hoch über dem Shanandoah River gelegenen Klosters bei.

Langsam, aber unaufhaltsam sprach sich die Qualität der mönchischen Backwaren herum. "Vor 1984 verkauften wir die Kuchen nur in der direkten Umgebung, weil die Leute sie aber gern aßen, riet man uns, einen Versandhandel mit diesen Backwaren aufzubauen", berichtet Bruder Benedict Simonds.

Bereits 1990 war die Produktion von 1500 auf 15000 Kuchen angestiegen. Bestellaufnahme, Herstellung und der Versand der Backwaren begannen, die Balance des klösterlichen Lebens zu beeinträchtigen. Die weltlichen Arbeiten verschlangen zuviel Zeit, obwohl die Mönche vor Sonnenaufgang mit der Arbeit anfangen, blieb zuwenig Raum für Meditation und Gebet.

So entschloß sich die Gemeinschaft zu handeln, bevor sie unter Bestellungen begraben wurde. "Uns war zwar klar, daß wir die Sache vereinfachen könnten, wenn wir das Bestellwesen computerisieren würden, aber wir wußten einfach nicht wie", erzählt Bruder Benedict, der vor seinem Eintritt ins Kloster als Bibliothekar in New York gearbeitet hatte.

Guten Rat holten sich die Brüder nicht bei Gott, sondern bei Ed Leonard, der damals für Everex Computers als Projektleiter arbeitete. "Ich verdiente zwar ausgezeichnet, wollte aber endlich etwas Gemeinnütziges tun", erklärt der Computerspezialist, warum er damals das finanziell unattraktive Angebot der Bruderschaft annahm. Vorgesehen war, daß Leonard für sehr wenig Geld das Versandsystem der Mönche modernisieren und automatisieren sollte.

Nach der Einführung des Systems erkannte Leonard sehr schnell, daß die unter Novell Netware vernetzten Rechner bei weitem nicht ausgelastet waren. Also unterbreitete er dem Abt von Holy Cross, Flavian Burns, die Idee, das Computersystem durch Aufträge von Dritten rentabler zu machen.

Mit der Zustimmung des Abtes gründete Leonard 1993 die Firma Electronic Scriptorium Ltd. (ES), die sich um die Akquisition und Abwicklung von Aufträgen hauptsächlich zur Datenerfassung kümmern sollte.

Der Erfolg übertraf die Erwartung der Beteiligten bei weitem. "Viele mögliche Kunden waren von der Idee schlichtweg begeistert. Die Resonanz war so gut, daß wir relativ schnell zwei welt- liche Arbeitskräfte zusätzlich einstellen mußten", berichtet Leonard.

Klerikales Netzwerk

Inzwischen erfassen nicht nur einige Mönche der Holy Cross Abbey Daten für Electronic Scriptorium. Andere Klöster, die von dieser Tätigkeit erfuhren, arbeiten ebenfalls mit ES zusammen. So entstand ein Netzwerk von klerikalen DV-Dienstleistern, die durch Leonards Firma koordiniert werden.

Die Mönche werden dabei pro erfaßtes Dokument entlohnt - so kommt ein durchschnittlicher Stundenlohn von zehn Dollar zustande. Dieses Salär geht an die Klosterkassen, da auch diese Brüder, wie die Mönche von Holy Cross unter einem Armutsgelübde leben. Die Mönche profitieren von dieser Arbeit, weil ihre Klöster nun über eine ständige Einnah-mequelle verfügen, ohne daß sie sich um Akquisition und Vertragsangelegenheiten kümmern müssen. Die einzelnen Abteien können die Arbeitslast bestimmen und wahren so die Balance zwischen Andacht und weltlicher Tätigkeit.

Zu den Kunden gehören in erster Linie Universitäten und Bibliotheken, aber auch die "New York Daily News" läßt zur Zeit von ES ihr Bildarchiv katalogi- sieren. Allerdings verrichten die Brüder nicht nur Datenerfassungsarbeiten. Für das Archiv der medizinischen Fakultät der Johns Hopkins University entwickelten zwei Mönche der Gethsemani Abbey aus New Haven, Kentucky einen Index.

Allgemein gelobt wird von der Kundschaft die hohe Bildung und Sorgfalt der Kleriker. "Mönche gelten schon seit Jahrhunderten als wohlgebildet und als entschlossene Leute, die sich absolut auf die vor ihnen liegenden Aufgaben konzentrieren. Sie halten auch nichts von den Ablenkungen des täglichen Lebens wie Fernsehen oder Radio", streicht Leonard den Wettbewerbsvorteil heraus, den ES neben seinen niedrigen Preisen gegenüber der Konkurrenz hat.

1995 erzielte ES einen Jahresumsatz von knapp einer Million Dollar. Zur Zeit denkt man darüber nach, das Netzwerk auf Europa auszudehnen, Klöster in England und Frankreich haben bereits Interesse angemeldet.

Das Leben in Holy Cross hat sich durch die Computerisierung nicht sehr verändert. Die meisten Mitglieder der Gemeinschaft gehen noch traditionellen Tätigkeiten nach.

Inzwischen präsentiert sich das Kloster allerdings auch im Internet. Unter http://www.presstar.com/fruitcak.html können nicht nur besagte Fruchtkuchen bestellt werden, erbauliche Schriften der Fratres sind neben der Geschichte der Abtei ebenfalls abrufbar. "Nachdem wir mit Novell Netware umgehen konnten, war es zum Internet nur noch ein kleiner Schritt", schmunzelt Bruder Benedict.

Auch die Frage, warum nicht mehr Mönche mit der neuen Technologie arbeiten, beantwortet er elegant: "Wissen Sie, es macht eine Menge Arbeit 25000 Kuchen pro Saison zu backen - mit oder ohne Internet.

*Tom Bible ist freier Fotograf in London, Maxin Creedy freie Journalistin in Manchester.