American Telephone & Tobak

13.07.1984

"Von jetzt an ist es Standard", bescheinigt sich der Anbieter selbst. In dicken Lettern auf ganzseitigen Anzeigen. "Unix System V. Von AT&T" (Wir haben den Text aus dramaturgischen Gründen etwas umgestellt). "Von jetzt an ist es Standard." Den Satz muß man zweimal lesen. Was da als "lndustriestandard" qualifiziert wird, ist so ganz und gar nicht schlechthin "marktgängig ".

Wirksam kann eine Norm ja nur sein, wenn sie von den führenden Herstellern der Branche anerkannt wird. Nun mag das Unix-Engagement AT&T und Olivetti (siehe Seite 1) in der Tat viele neue Unix-Lizenzen einbringen. Als große Unbekannte empfiehlt sich freilich die IBM, die sich vorerst auf keinen Software-Standard festlegen will. Nach der Tragweite ihres Unix-Engagements gefragt, suchen deshalb IBM-Anwender die Sache herunterzuspielen. Man kann ja nie wissen.

So sollten wir uns denn nicht wundern, daß von einer Unix-Euphorie bei den bundesdeutschen Software-Machern noch nichts zu spüren ist. Man wartet ab. Das liegt in der Linie der IBM. Der neutrale Beobachter sieht sich in dem Eindruck bestätigt, daß sich Standards in der Computerwelt nicht verordnen lassen. Was nicht heißt, daß Unix keine Chancen hätte. Nur zeigt der marktschreierische Lärm, den AT&T um Unix macht, wie unsicher die IBM-Konkurrenten sind. "Von jetzt an ist es Standard" ist eben keine Tatsachenbehauptung, sondern Wunschdenken im Sinne einer "Selffullfilling Prophecy" - starker Tobak, dessen Rauch unangenehm in die Nase dringt.

So zu tun, als seien die Betriebssystemweichen in Richtung Unix gestellt, bringt für das praktische Problem der Anwender, heute Software für kommerzielle Anwendungen auf Mikros und Großrechnern zu entwickeln, so gut wie gar nichts. Der offenkundige Mangel an kommerzieller Unix-Software sowie Programmierern mit Erfahrung in der Hochsprache "C" macht das Manko der Unix-Lobby aus.

Es soll natürlich nicht verschwiegen werden, daß der Unix-Appell von AT&T hauptsächlich an Software- und Systemhäuser sowie Hardware-Lieferanten gerichtet ist, erst in zweiter Linie an große Anwenderfirmen. Zwar stimmt es, die bei der DV-lndustrie beschäftigten Entwickler von Weichware-Produkten schätzen es, wenn sie sich in bezug auf die Hardware keinerlei Beschränkungen auferlegen müssen, wenn die Anwendungssoftware "portabel" ist, auf den Maschinen diverser Hersteller gefahren werden kann. Unix ist von Hause aus ein Entwicklungstool, das Hardware-Unabhängigkeit garantiert. Dank an die Bell-Techniker. Es steht außer Zweifel, daß Software-Portabilität von den Anwendern gewünscht wird.

Nur könnte sein, daß Marktdominanz gegen "lästige" Standards schützt. Wir reden hier über das IBM-Syndrom. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, daß Big Blue Industrie-Standards setzt. Zum einen könnte die IBM mit VM/CMS (Virtual Machine/Conversational Monitor System) gegen Unix Front machen. Zum anderen bietet sich die MS-DOS-Basis als Bollwerk im Mikrocomputerbereich an.

Pikanterie am Rande: Ihren ersten "Personal Computer" für den US-Markt hat AT&T ganz auf IBM-PC-Kompatibilität ausgelegt. Wen wundert's: In diesem Markt gilt der IBM PC als Industriestandard. Nur läuft auf dem AT&T-Mikro eben kein Unix. Statement eines AT&T-Managers: "Unsere Kunden wollen eine MS-DOS-Box. Überdies haben wir nicht die Software, mit Unix zu starten." Da erübrigt sich jeder Kommentar.