Ameisen statt Elefanten

01.09.1978

Das Thema Mikroprozessoren und Arbeitsplätze ist ein heißes Eisen. Nichts wäre für einen Politiker leichter als hier mit ein paar breitgewebten Plattheiten warme Luft zu fächeln. Bundesforschungsminister Volker Hauff unterließ dies. Im Gegenteil: Er bezieht in seinen Antworten für die Computerwoche eindeutige Stellung.

Hauff läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er den Segnungen modernster Technologie mit kritischem Interesse gegenübersteht.

Sein Standpunkt ist dabei nicht von jener schroffen Argumentation geprägt, wie sie der DGB anlegt, wenn es öffentlich um das Thema "Jobkiller" geht.

Erstmals sind nun Zahlen genannt. Zahlen, mit denen Bonn rechnet - mit denen Arbeitnehmer zu rechnen haben. Denn drei Millionen Arbeitsplätze werden in den nächsten Jahren durch die Mikroelektronik nachhaltig geändert.

Dies bedeutet: Jeder siebte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik wird in allernächster Zukunft Chip-gesteuert sein.

Für den Zeitraum der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre kündigt Hauff an, daß dann Jeder zweite Arbeitsplatz nachhaltig durch die Mikroelektronik tangiert sei

Für den einzelnen Arbeitnehmer mag diese Zukunft - je nach intellektuellem Einsichtsvermögen - eine Herausforderung oder eine Bedrohung -sein.

Für "viele Unternehmen" bleibt diese Prognose, wenn sie Realität wird - und daran ist qualitativ nicht zu zweifeln -, eher nur eine Bedrohung.

Schon jetzt fürchtet der Forschungsminister, daß die Mikroelektronik wegen ihrer Anwendungsflexibilität und wegen der Softwareproblematik bei "vielen Unternehmen an die Substanz" gehe.

Es gilt nicht nur Organisationsfragen und Finanzierungsfragen im Zusammenhang mit der elektronischen Ausstattung von Arbeitsplätzen zu lösen. Hier muß sich die Entscheidungsebene aufgrund der Produktivitäts-Potenz, die durch die Mikroelektronik ins Haus kommt, insgesamt fragen: Wohin geht der Weg?

Was nicht geht, ist: Management bei Totstellen. Das konnte man sich zuletzt nur noch in der Anfangsphase der Groß-EDV leisten, abzuwarten, welch böse Erfahrungen andere mit dem Computer machen.

Bei der Mikroelektronik wäre dieses Abwarten verhängnisvoll. Wir befinden uns insofern in einer revolutionären Phase, die diese Gesellschaft mehr prägen wird als atomare Ängste.

Einzudämmen ist die Springflut der Chips nicht mehr. Sicherlich ist es such nicht empfehlenswert, auf dem Kamm dieser Woge zu reiten und gleich mitzumachen, was die Mikroelektronik jetzt schon ermöglicht. Etwa: Statt Elefanten Ameisen einzusetzen, um Lasten zu schleppen.

Hauff kündigt im Interview mit der COMPUTERWOCHE (siehe Seite 3) Analysen des Problems an - und eine Politik, die über den engeren Rahmen des Technologie-Ressorts hinausgehe.

Auch diese Aussage macht den Unterschied zu den sonstigen Bedrohungen, denen sich der arbeitende Mensch ausgesetzt wähnt, noch einmal plastisch: Die Mikroelektronik tangiert jeden. Die Angst vor atomaren Schaden zum Beispiel nur jene, deren Behausung in unmittelbarer Nähe eines Meilers oder einer Deponie liegt.

Während die Atomschäden in einem Christenmenschen vielleicht nur die Todessehnsucht unterschwellig anspricht, endet das konsequente Durchdenken der Auswirkungen, die die Mikroelektronik haben könnte, bei der unerträglichen Vision, lebendigen Leibes aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden.

Akzeptanz innerhalb dieser Gesellschaft heißt ja jetzt immer noch: In Arbeit stehen, Arbeit zu haben. Wer als Opfer der Technologie hier auf der Strecke bleibt, Lernchancen nicht nützt (nicht nützen kann?}, der wird mit zunehmender Integration dieser Technologie immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Soweit bis seine soziologischen Bande zur Gruppe Mensch reißen - und das Zugehörigkeitsgefühl in Aggression gegen das arbeitende Volk umschlägt.