Dynamic Perspective, Firefly und Mayday

Amazon Fire Phone im Praxistest

13.10.2014
Von 
Christian Vilsbeck war viele Jahre lang als Senior Editor bei TecChannel tätig. Der Dipl.-Ing. (FH) der Elektrotechnik, Fachrichtung Mikroelektronik, blickt auf langjährige Erfahrungen im Umgang mit Mikroprozessoren zurück.
Amazons erstes Smartphone Fire Phone will durch spezielle Features beeindrucken. Kameras erkennen die Lage und das Gesicht für 3D-Ansichten, Firefly identifiziert Produkte mit direktem Shop-Link. Doch sind diese Funktionen im täglichen Gebrauch auch hilfreich? Wir haben den Test gemacht.

Das Ansinnen Amazons mit dem Fire Phone ist klar: Der Kauf von Produkten im eigenen Shop soll damit zusätzlich angekurbelt werden. Bei Besitzern von Kindle-Produkten und Fire-Tablets ist dies Amazon auch gelungen. Doch ob ein Amazon-Smartphone ebenfalls den Konsum im eigenen Shop ankurbelt ist fraglich, schließlich gibt es schon Amazon-Apps für jede Plattform.

Als Kaufanreiz stellt Amazon somit nicht die Integration des eigenen Shops in den Vordergrund, sondern lockt mit ganz anderen Features. Vier Kameras in der Gehäusefront beobachten das Gesicht des Nutzers und zeigen je nach Blickwinkel unterschiedliche Informationen an. Und natürlich gibt es diverse 3D-Effekte beim Schwenken des Smartphones oder beim Bewegen des Kopfes.

Dimensionen: Amazon setzt wie das iPhone 6 auf einen 4,7-Zoll-Bildschirm. In den Ecken des Fire Phones sehen Sie die Kameras für die Lageerkennung.
Dimensionen: Amazon setzt wie das iPhone 6 auf einen 4,7-Zoll-Bildschirm. In den Ecken des Fire Phones sehen Sie die Kameras für die Lageerkennung.
Foto: Christian Vilsbeck

Und noch praktischer soll die auf Knopfdruck verfügbare Funktion Firefly sein. Das Smartphone identifiziert Gegenstände, Bücher, Barcodes, Adressen, Musik, Filme und mehr. Mit dieser Funktion wird natürlich geschickt der Bogen hin zum eigenen Shop gespannt. Denn erkennt das Fire Phone ein Produkt, so gibt es gleich die Kaufoption im Amazon-Shop. Natürlich sind auch die üblichen Amazon-Dienste nahtlos in das Fire Phone integriert. So erhält ein Käufer bis zum 31. Dezember 2014 ein Jahr Amazon Prime kostenlos dazu.

Beim Lesen der Features und Spezifikationen klingt das Amazon Fire Phone mit seinem 4,7-Zoll-Display somit sehr spannend. Im Praxiseinsatz relativiert sich allerdings einiges.

Design und Haptik: Altbacken, aber hohe Qualität

Smartphones können noch so gute Features und technische Spezifikationen haben: stimmt das Design und die Haptik nicht, dann wird es schwer. Und hier muss das Amazon Fire Phone gleich mal eine große Hürde überwinden.

Fast unisono machte das Fire Phone bei den Kollegen in der Redaktion beim ersten Kontakt einen etwas "altbackenen" Eindruck im Design. Außerdem war es den meisten Testprobanden zu klobig und zu schwer. Design ist natürlich Geschmackssache, aber wirklich modern im Vergleich zu einem Apple iPhone 6, Samsung Galaxy Alpha oder LG G3 wirkt das Fire Phone nicht. Mit einem Gewicht von 160 Gramm liegt es auch tatsächlich "schwer" in der Hand - wer Geräte wie ein iPhone 5 mit 112 Gramm gewohnt ist oder andere 4,7-Zoll-Smartphones wie das iPhone 6 mit 129 Gramm und Galaxy Alpha mit 114 Gramm einmal hielt.

Nichts zu beanstanden gibt es allerdings bei der Verarbeitung des Fire Phones. Es knarzt nichts, verbiegen ist kaum möglich, die Materialen fühlen sich sehr wertig an. So besteht nicht nur die Vorderseite aus Gorilla Glas 3, auch die Rückseite verfügt über dieses Material. Der Rahmen ist mit einem gummierten Material umzogen, welches eine gute Griffigkeit ermöglicht. Die Kanten bei der Glaseinfassung fühlen sich an der Vorder- und Rückseite allerdings etwas scharf an. Alle Schalter am Fire Phone sind aus Aluminium, wackeln tut hier nichts.

Menü-Karussell: Prinzipiell gut, aber doch verwirrend

Amazon lehnt die Bedienung des Smartphones an seine Fire Tablets an. So zeigt das auf Android basierende Betriebssystem Fire OS 3.6.2 mit seinem sogenannten Menü-Karussell immer nur ein großes App-Symbol im oberen Bildschirmdrittel an. Unterhalb des App-Symbols werden gleich die Inhalte und letzten Aktionen des Programms angezeigt. Bei der Mail-App gibt es so die letzten E-Mails zu sehen, der Silk Browser blendet die zuletzt besuchten Seiten ein und beispielsweise der Amazon Shop zeigt Kaufempfehlungen an.

Beim Scrollen des Karussells durch die Apps mit dem Daumen gibt es im Einhandbetrieb ein paar Stolpersteine. Erstens darf man nicht zuweit am Rand links oder rechts beginnen, sonst werden die Schnellmenüs geöffnet. Zum anderen funktioniert das Scrollen nur beim Tipp auf das App-Symbol. Wischt man darunter im leeren oder durch App-Aktionen belegten großen Bildschirmbereich, so passiert nichts.

Das Menü-Karussell rotiert nicht um 360 Grad, sondern endet ganz rechts mit der am längsten nicht mehr verwendeten App. Ganz links, am Startpunkt also, zeigt Fire OS die zuletzt verwendete App an. Das ist einerseits praktisch, weil die am häufigsten benutzen Apps sich immer am Anfang des Karussells befinden, andererseits aber schnell verwirrend, wenn auf einmal eine nur selten aufgerufene App ganz vorne im Menü-Karussell ist. Praktischerweise gibt es aber die Funktion, Apps vorne im Karussell zu platzieren. Hierzu bleibt man mit dem Finger eine Sekunde auf dem App-Symbol, dann wird die Option Vorne fixieren eingeblendet. Nichtsdestotrotz bleibt das Konzept etwas gewöhnungsbedürftig.

Karussell: Amazon lehnt die Bedienung des Smartphones an seine Fire Tablets an. So zeigt das auf Android basierende Betriebssystem Fire OS 3.6.2 mit seinem sogenannten Menü-Karussell immer nur ein großes App-Symbol im oberen Bildschirmdrittel an.
Karussell: Amazon lehnt die Bedienung des Smartphones an seine Fire Tablets an. So zeigt das auf Android basierende Betriebssystem Fire OS 3.6.2 mit seinem sogenannten Menü-Karussell immer nur ein großes App-Symbol im oberen Bildschirmdrittel an.

Schneller als mit dem Karussell ist man aber bei der Navigation zwischen den Apps mit dem QuickSwitch. Hierzu drückt man die Taste Startseite unterhalb des Displays zweimal kurz hintereinander. Jetzt werden wie in Apples iOS beim App-Umschalter (Doppeltipp auf die Hometaste) die zuletzt verwendeten Apps chronologisch von links nach rechts als kleine App-Symbole dargestellt. Ein Wisch nach links und rechts scrollt die Apps durch, zum Schließen eines Programms wird dieses nach oben weg gezogen - analog zu iOS.

Wie von Android und iOS gewohnt gibt es aber auch bei Fire OS unten am Bildschirm ein sogenanntes Dock, wo sich vier individuelle Apps ablegen lassen - typischerweise Telefon, Nachrichten, E-Mail und Browser. Zieht man das Dock mit dem Finger nach oben, so werden alle installierten Apps angezeigt. Android-Nutzer finden diese Ansicht gleich sehr vertraut. Ebenfalls von Android gewohnt gibt es bei einem Wisch vom oberen Displayrand nach unten Zugriff auf Funktionen wie Flugmodus, WLAN, Bluetooth oder Taschenlampe.