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Amazon.com verdient erstmals Geld mit Büchern

03.02.2000
Ansonsten tiefrote Zahlen

MÜNCHEN (kg) - Der einstmals allein auf Bücher spezialisierte Online-Handel Amazon.com verbuchte in seinem vierten Geschäftsquartal ein Rekordminus von 323,2 Millionen Dollar. Firmenvertreter rechnen jedoch mit abnehmenden Fehlbeträgen im Laufe dieses Jahres. Immerhin schreibt der Buchbereich erstmals in der Geschichte der Internet-Company schwarze Zahlen. Damit scheint sich die aggressive Wachstumspolitik des bislang stets defizitären Unternehmens langfristig auszuzahlen.

Amazon.com verzeichnete im abgelaufenen Berichtszeitraum einen Nettoverlust, der um das Sechsfache über dem Minus des Vorjahresquartals lag (46,4 Millionen Dollar). Bleiben außergewöhnliche Belastungen unberücksichtigt, belief sich das Ergebnis auf minus 185 Millionen Dollar (1998: minus 22 Millionen Dollar). Finanzchef Warren Jenson erklärte, die Zahlen seien durch Inventurkosten von 39,4 Millionen Dollar beeinträchtigt worden. Eine Menge Spielzeug und elektronischer Geräten konnten nicht verkauft werden und hatten die Lagerkosten in die Höhe getrieben. Jenson geht davon aus, dass Amazon.com in den kommenden Geschäftsabschnitten abnehmende Verluste ausweisen werde. Bislang hatte er die Analysten stets vor größeren Defiziten gewarnt.

Auf der positiven Seite der Bilanz steht allerdings der Bereich Buchhandel. Dieser warf erstmals in der Geschichte von Amazon.com Profit ab. Die Tatsache, dass Amazon.com die genaue Zahl nicht nennen wollte, lässt auf ein eher bescheidenes Plus schließen.

Erfreulich aus Sicht des führenden Internet-Shops fiel der Umsatz aus, der im abgelaufenen Vierteljahr auf die Rekordsumme von 676 Millionen Dollar stieg. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres lagen die Einnahmen noch bei 253 Millionen Dollar. Gegenüber dem dritten Quartal 1999 legte der Umsatz im Weihnachtsquartal um 90 Prozent zu und markierte damit die schnellste Wachstumsrate seit dem Börsengang von Amazon.com im Jahr 1997.

Erstmals wies der Online-Riese auch die Umsatzzahlen zumindest einiger seiner Divisionen einzeln aus. So spielten die Bereiche Bücher 317, Kinderartikel 95, Musikprodukte 78 und Videos 64 Millionen Dollar ein. Die Einnahmen für elektronische Geräte, Werkzeuge und Auktionen wollte Amazon.com jedoch nicht ausweisen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass diese Einheiten weniger gut abschnitten.

Vom dritten zum vierten Quartal wuchs die Zahl der Kundenkonten laut Amazon.com um 3,8 auf 16,9 Millionen. Bei 73 Prozent der Bestellungen handelte es sich um wiederholte Kaufaufträge. Nach Angaben von Amazon.com-President Joseph Galli gaben die Kunden im Gesamtjahr 1999 durchschnittlich 116 Dollar im Online-Kaufhaus aus. Dies sei vor allem auf den Ausbau der Produktsparten des ehemals reinen Buchhandels zurückzuführen. Die im letzten Jahr gestarteten Services "zShops" (eine virtuelle Shopping-Mall), die Amazon-Auktionen und das zusammen mit dem britischen Auktionator Sothebys gestartete Joint Venture Sothebys.amazon.com hätten sich besonders vielversprechend entwickelt. Die Zahl der registrierten Bieter betrage hier insgesamt über eine Million, die Zahl der gelisteten Versteigerungsobjekte zirka 1,5 Millionen. Im Vergleich dazu bietet Yahoos Auktionsseite über eine Million und Ebay, Marktführer bei Online-Auktionen, knapp vier Millionen Artikel zur Versteigerung.

Amazon.com-Gründer und -Chef Jeffrey Bezos, der von der Zeitschrift "Time" 1999 zum "Mann des Jahres" gekürt worden war, hat den Ausbau seines Online-handels noch immer nicht abgeschlossen. Mit dem Hinweis auf die kürzlich vereinbarten Partnerschaften mit der virtuellen Drogerie Drugstore.com, dem Anbieter von Audio-Produkten Audible und dem Möbelhändler Living.com rühmte er sein Unternehmen als den "weltweit effizientesten E-Commerce-Brutkasten". Auch im Ausland will Amazon.com weiter expandieren. Langfristig sei es durchaus denkbar, dass mehr als die Hälfte des Umsatzes außerhalb der USA generiert werde, so Bezos weiter. Gerade die Amazon-Niederlassungen in Großbritannien und Deutschland hätten einen "großartigen Start" hingelegt.

Finanzchef Jenson rechnet damit, dass sich die hohen Investitionen in die Infrastruktur von Amazon.com sowie in Marketing und Vertrieb sich in diesem Jahr bezahlt machen werden. Die Buchsparte soll im Jahr 2000 definitiv schwarze Zahlen schreiben. Bezos orakelte sogar, dieses Jahr könne das wichtigste in der Geschichte des Unternehmens werden. Auf diese optimistischen Prognosen reagierte die Börse überaus positiv. War die Amazon.com-Aktie schon zum gestrigen Börsenschluss um zwei auf 69,44 Dollar gestiegen, so legte sie im nachbörslichen Handel um weitere 13 Prozent auf 78,5 Dollar zu. Ein Analyst kommentierte treffend: "Das Ergebnis war schrecklich. Aber es wurde von positiven Zukunftsprognosen begleitet, und das ist das Ausschlaggebende bei Internet-Aktien."