EAN-System problemlos für Massenartikel im unteren Bereich:

Am Terminal meutert der Fachhandel

11.07.1980

MÜNCHEN - Das gegenwärtig praktizierte System der Europäischen Artikelnummern (EAN) entspricht "In wesentlichen Punkten nicht den Anforderungen, um eine allgemeine Verbreitung über alle Einzelhandelsbranchen zu gewährleisten". Zu diesem Urteil gelangt die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE), Köln, bei einer Überprüfung der Praktikabilität des einheitlichen Bezeichnungssystems nach Hersteller im Strichcodeverfahren.

Für das EAN-System in der Bundesrepublik verantwortlich zeichnet die CCG, die Centrale für Cooperation Gesellschaft zur Rationalisierung des Informationsaustausches zwischen Handel und Industrie mbH, Köln. Obwohl diese Vereinigung von allen Spitzenverbänden des bundesdeutschen Einzelhandels getragen ist üben vor allem die Organisationen des Fachhandels Kritik an dem System, bei dem der Hersteller seine Produkte auszeichnet. Problemlos vollzieht sich die Einführung der EAN im Lebensmittelbereich. Hier herrschen, so Hubertus Tessar als Pressesprecher der HDE, Markenartikel vor - die Ware erscheint unter gleichbleibender Verpackung in gleicher Art, Zusammensetzung und Menge auf dem Regal. Im Lebensmittel-Einzelhandel mit vorwiegend problemlosen Massenartikeln im unteren Bereich der Preisskala mag das EAN-System der HDE zufolge durchaus Vorteile aufweisen.

Der Hersteller beantragt bei der Deutschen EAN-Zentrale in Köln eine Hersteller- oder Betriebsnummer, was ihn 100 Mark pro Jahr kostet, und füllt die übrigen fünf Stellen des Codes mit den Nummern seines Sortiments. Die Nationalitätenkennzeichnung belegt zwei, das Prüfbit eine weitere Position der 13stelligen Artikelbezeichnung, die neben einer einfacheren Datenerfassung an der Kasse auch die Kommunikation zwischen Handel und Erzeuger erleichtern soll.

Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels jedoch glaubt nicht, im EAN-System eine Lösung gefunden zu haben, die Handel und Industrie gleichermaßen zufriedenstellt. Die erwarteten Rationalisierungserfolge blieben aus, das System wird nur zögernd eingeführt. Die Anwender wie Doderer in Augsburg, die Bayerische Lagerversorgung, München, und Rewe, Schwerte, kommen alle aus dem Lebensmittelbereich, wo auch in den USA der "UPC" (Universal Product Code) seine weiteste Verbreitung gefunden hat.

Die Karstadt AG, Essen, die für 1981 die Einführung der EAN-Nutzung plant, beginnt ebenfalls im Food- und Parfümeriebereich.

Ab sieben Kassen lohnt es sich

Die für die organisatorische Nutzung des EAN-Systems notwendigen Investitionen liegen zwischen 200 000 und 300 000 Mark, erläuterte Adolf Müller, Pressesprecher des Fachverbandes deutscher Eisenwaren- und Hausratshändler (FDE), Düsseldorf. Ebenso wie die Textilindustrie, die eine Menge unterschiedlicher Produktvarianten herstellt und unverpackt an den Handel ausliefert, ist die Eisenwaren- und Hausratsindustrie in dem System nicht angemessen berücksichtigt.

Zur eindeutigen Kennzeichnung einer Ware reicht der fünfstellige Artikel-Code nicht aus. Größe wie technische Maße, erläutert Müller weiter, finden in dieser Konzeption eines Nummerncodes keinen Platz mehr.

Bei dieser vom Hersteller vergebenen Kennzeichnung stehen dem Fachhandel nur beschränkte Auswertungsmöglichkeiten offen. Ohne Zusatzsoftware ist, wie Müller die abwehrende Haltung seines Verbandes gegen das System konkretisiert, keine klassifizierende Auswertung" der verkauften Artikel möglich. Während bei den "Schnelldrehern" - den Produkten mit schnellem Umsatz, die einen Teil des Sortiments vor allem im Lebensmitteleinzelhandel stellen - interessiert, wieviel Artikel - Knödel beispielsweise - vom Hersteller A, wieviel von B verkauft wurden, kommt es bei der Auswertung gerade im Fachhandel darauf an, wieviel Teile jeder Produktart - hier Knödel überhaupt - in der Zeiteinheit verkauft wurden. Da die Statistik nicht herstellerbezogen, sondern zur Informationsauswertung verdichtet gebraucht wird, erhebt sich für Müller die Frage, ob die Investition in die Kassenterminals samt Rechner überhaupt lohnt.

Alle zahlen für die Elite

Wirtschaftlich sinnvoll sind die Kassen zur Auswertung der EAN-Codes nur dann, wenn mindestens sieben Terminals an einen Rechner angeschlossen sind. Dies, so der Sprecher des Fachverbandes, der sich mit seiner "Antipathie" nicht alleine fühlt, betrifft nur ein Prozent des Handels: Warenhäuser, Verbrauchermärkte und große Supermärkte. "Als Fachhandelsverband haben wir kein Interesse, eine Sache moralisch und finanziell zu unterstützen, die nur einer kleinen Elite zugute kommt, die überdies nicht zum Fachhandel zählt."

Mit dieser Ansicht über die ungleiche Verteilung der Vorteile bei gleichmäßiger Verteilung der Belastungen stimmt Tessar als Pressesprecher für die Hauptgemeinschaft über ein. "Das EAN-System hilft den kleinen und mittleren Betrieben im Einzelhandel wenig. Sie aber müssen mitbezahlen, damit es den großen zugute kommt." Die kleinen Läden, Boutiquen beispielsweise, brauchten keinen EAN-Code, weil sie die gesammelten Informationen ohnehin nicht auswerten. Auch die Auszeichnungsarbeit entfalle durch die EAN-Nummer nicht. Der Kunde könne die aufgedruckte Strichfolge nicht lesen. Gezeigt habe sich aber, daß der Endverbraucher seine Einkäufe in Bezug auf den Preis kontrollieren wolle. Das gegenwärtig praktizierte Verfahren würde damit weder einen Rationalisierungseffekt aufweisen, noch käme es den Wünschen der Verbraucher nach einer eindeutigen und klaren Preisauszeichnung entgegen.

Eine Entscheidungshilfe für die kleineren aus der Branche verspricht sich Tessar jedoch von der breiten Einführung von Bildschirmtext. Die Nutzung des zentralen Postcomputers als Rechen- und Informationssystem gebe dem Handel, der sich die Investitionen zur Nutzung des EAN nicht leisten könne, zumindest ein Instrument zur Informationsverarbeitung an die Hand.

OCR-Code als Alternative

Der OCR-Code wirkt zwar nicht dem Konzentrationseffekt im Einzelhandel entgegen, doch weist er die Vorzüge der Lesbarkeit auf. Er ist, wie Müller weiter erklärt, außerdem geeignet, mehr Informationen in codierter Form unterzubringen. Der OCR-Scanner, den Scantron zusammen mit dem Batelle-Institut entwickelt und auf der diesjährigen Hannover-Messe demonstriert habe, erlaube, in drei Zeilen insgesamt 42 Ziffern unterzubringen. Dem Schraubenhandel wäre in puncto Auszeichnung geholfen.