IT-Folgen einer Übernahme

Am Morgen danach heißt es aufräumen

18.06.2004
MÜNCHEN (kf) - Für die Zürich Gruppe Deutschland galt es nach der Übernahme des Deutschen Herold, die beiden Versicherungsgruppen organisatorisch und technisch zusammenzuführen. Den Erfolg der komplexen IT-Migration führt der Versicherer auf gute Planung und eine straffe Projektorganisation zurück.

Anfang 2002 war der Kauf des Deutschen Herold beschlossene Sache. Der weltweit tätige Versicherungs- und Finanzkonzern Zurich Financial Services Group erwarb die Gruppe durch die Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung an der Deutschen Herold AG, der Holdinggesellschaft des Deutschen Herold.

Für die Zürich Gruppe Deutschland bedeutete die Übernahmeentscheidung den Startschuss für ein komplexes und umfangreiches Migrationsprojekt, in dessen Vorfeld erst einmal die Zielsysteme zu bestimmen waren. Parallel dazu hatte der Versicherer die Integration der wenige Monate zuvor gekauften Neckura-Versicherungsgruppe zu stemmen. Während es sich dabei um eine Komplettübernahme handelte, der die Marken der geschluckten Unternehmen zum Opfer fielen, war die Übernahme des Deutschen Herold anders gelagert: Zwar sollten auch dessen Unternehmen operativ in die Zürich Gruppe Deutschland integriert werden, die Rechtsstruktur, die Markenidentität und der Hauptsitz in Bonn jedoch erhalten bleiben.

Nach den formalen Übernahmeschritten und der Festlegung der strategischen Marschrichtung galt es, die beiden Versicherungsgruppen auch technisch zusammenzulegen. Dazu mussten die kompletten Bestände migriert werden, außerdem waren die Rechenzentren zu konsolidieren und alle Anwendungen anzupassen. "Für uns bedeutete das, sämtliche technischen Systeme eines Versicherungsunternehmens - von der Bestands- und Schadensverwaltung bis hin zur Hard- und Software im Außendienst - zu migrieren", erinnert sich Michael Horbach. Er ist Mitglied der IT-Leitung der Zürich Gruppe Deutschland und Projektleiter für den Bereich Anwendungsintegration.

Um die IT des Deutschen Herold mit den Systemen der Zürich Gruppe zusammenzuführen, mussten zunächst die künftigen Zielsysteme definiert werden. Dabei waren auch die einzelnen Standorte der Verwaltungseinheiten - Bonn, Frankfurt, Köln, Oberursel und Wiesbaden - zu berücksichtigen. "Das hieß allerdings nicht zwangsläufig, dass in jedem Fall die Zürich-IT zum Zielsystem deklariert wurde", stellt Horbach klar. Eine Herausforderung bei der Suche nach der jeweils passenden Lösung für die frisch Vermählten sei der Datenaustausch zwischen den Systemen beziehungsweise das Schnittstellenthema gewesen, so der Projektleiter.

Die IT-Integration

Hinsichtlich der Hardwareplattformen im Großrechnerbereich stand die Migrationsrichtung bereits fest: Gemäß Konzernvorgaben werden diese zentral in einem Rechenzentrum (RZ) in der Schweiz verwaltet. Hier ähnelten sich die beiden Gruppen weitgehend: Wie für die Versicherungsbranche typisch, wurde mit IBM-Mainframes gearbeitet - für die Zürich Gruppe Deutschland im Schweizer Konzern-RZ, für den Deutschen Herold in einem RZ in Eschborn. In Sachen PC-Plattform bestimmte die konzernweite Standardisierung auf Windows 2000 beziehungsweise XP die Marschrichtung. Als zweiten Punkt, der zu klären war, führt Horbach die Festlegung einheitlicher Verfahren bei der Anwendungsentwicklung auf. Richtungsweisend seien auch in diesem Bereich die vorgegebenen Methoden der Zürich-Gruppe gewesen. Die dritte und größte Migrationsbaustelle bildete die Vereinheitlichung der Anwendungen, um die Koexistenz unterschiedlicher Systeme und damit Doppelfunktionen für identische Verwaltungsaufgaben von Produkten und Marken zu eliminieren.

Der Startschuss

Im Rahmen der "Stufe eins" des Migrationsvorhabens nahm das Unternehmen im Januar 2003 zunächst die Zusammenführung der Personalverwaltungssysteme auf ein einheitliches System, die beim Deutschen Herold eingesetzte Mainframe-Variante der HR-Software "Paisy CSX", in Angriff. Letztere wurde auch bei der Zürich Gruppe verwendet - allerdings in der Server-basierenden Version. Aufgrund des unterschiedlichen Nutzungsverhaltens habe es sich hierbei nicht nur um eine Parametrierung, sondern um eine echte Migration auf ein einheitliches System gehandelt, so der Projektleiter. Hoher Zeitdruck kam erschwerend hinzu, denn die Zusammenlegung der HR-Systeme sollte rechtzeitig zu Beginn des Abrechnungsjahres abgeschlossen sein. Etwa zeitgleich wurden auch die Hypotheken- und Liegenschaftssysteme vereinheitlicht.

Im Juni vergangenen Jahres stand dann die Homogenisierung des Bereichs Rechnungswesen auf dem Plan. Dabei wurde das SAP-R/2-System des Deutschen Herold auf das R/3-System der Zürich Gruppe überführt, was auch die Vereinheitlichung des Wertschriftensystems mit den dort erstellten Anlagedefinitionen beinhaltete.

Die etwas andere Migration

Nächste Station im Migrationsfahrplan war die Überführung des Leben-Neugeschäfts in das System des Deutschen Herold (VSL) im November 2003. Als besonders aufwändig erwies sich dabei laut Horbach die Vereinheitlichung der in Ausprägung und Handhabung unterschiedlichen Schlüssel der IT-Systeme für Policen-, Kunden- und Agenturnummern.

Den Abschluss der Migrationsstufe "eins" bildete Anfang Mai 2004 die Systemvereinheitlichung im Fachbereich "Nicht-Leben". In dieser Phase wurden die vier Bestandsführungssysteme "Kfz", "Privatgeschäft", "Firmen Sach" und "gewerbliche Haftpflicht" migriert. "Die Bestands- und Schaden-, Partner-, Inkasso- und Vertriebsdaten befinden sich jetzt weitgehend auf einheitlichen Plattformen, so dass die Altsysteme abgeschaltet werden können", schildert der Projektleiter den gegenwärtigen Stand der Dinge.

Zu den Besonderheiten des Projekts zählt Horbach die Beibehaltung der Marke "Deutscher Herold". "Das bedeutet eine andersartige Migration als ein Unternehmen künftig nach innen und außen unter einer Marke auftreten zu lassen", berichtet der Projektleiter aus Erfahrung. Technisch erfordere dies, in allen Systemen die Voraussetzung für eine Mandantenfähigkeit zu schaffen, um etwa Rechnungen und Policen unter "Deutscher Herold" beziehungsweise "Zürich" schreiben und entsprechend unterscheiden zu können.

Als größte Herausforderung erwiesen sich laut Horbach allerdings die fusionstypischen "Widerstände" im Unternehmen. Verstärkt wurden die bei der Verquickung zweier Firmenkulturen auftretenden zwischenmenschlichen Konflikte durch die Entscheidung gegen einen zusammengelegten Standort: Die einzelnen Standorte im Rheinland und im Rhein-Main-Gebiet sollten erhalten werden.

Um die Mammutaufgabe in den Griff zu bekommen, wurde das Migrationsvorhaben in 16 nach Themen ausgerichtete Teilprojekte gesplittet. "Dort haben wir jeweils Tandems aus IT-lern und Mitarbeitern der Fachbereiche gebildet und damit sehr positive Erfahrungen gemacht", so Horbach. Auf diese Weise seien beide Fraktionen stets auf demselben Informations- beziehungsweise Entwicklungsstand gewesen. Auch Probleme durch das Aufeinandertreffen zweier verschiedener Kulturkreise habe man durch entsprechende Analysen innerhalb der Teilprojekte auflösen können oder im Bedarfsfall dem sechsköpfigen "Projektbüro" übertragen. Zusammengesetzt aus Vertretern aller Standorte, diente dieses als zentrale Anlaufstelle sowie Informationsdrehscheibe und übernahm unter der Führung von Projektleiter Horbach die Koordination der einzelnen Teilprojekte sowie der gemeinsamen Tests. Der Projektleiter wiederum war verpflichtet, Informationen an den Lenkungsausschuss weiterzugeben und dort Entscheidungen einzuholen. Der Lenkungsausschuss bestand aus fünf Vorstandsmitgliedern und fungierte für die Projektlaufzeit als oberstes Entscheidungs- und Kontrollorgan.

Dank der Migrationserfahrung der eigenen Mitarbeiter konnte die neue Versicherungsgruppe die IT-Integration weitgehend in Eigenregie vornehmen. Den Aufwand für "Stufe eins" des Projekts beziffert Horbach mit gut 2000 Mann-Monaten. "Stufe zwei" ist derzeit in Planung: Bis Ende 2005 will die Zürich Gruppe Deutschland die Vertriebsverwaltungssysteme zusammengeführt haben. Das umfasst die Bereiche Stammdaten und Vergütung, eine Inkassomigration sowie die Vereinheitlichung von Partner-, Text- und Statistiksystemen. Aufgrund der bereits vereinheitlichten Infrastruktursysteme werden die dafür anfallenden Kosten nach Schätzung des Projektleiters deutlich unter der Hälfte des Aufwands für die erste Stufe liegen.

Zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche IT-Integration zählt Horbach eine detaillierte, realisierbare Projektplanung sowie die frühzeitige Definition einer für alle Beteiligten verbindlichen Migrationsstrategie. Ausschlaggebend für die Umsetzung der Teilprojekte innerhalb der zeitlichen Vorgaben sei jedoch gewesen, dass der Vorstand das Migrationsprojekt zur obersten Priorität für das Gesamtunternehmen erklärt habe. "Nur über den demonstrativen Rückhalt des Topmanagements und motivierte Mitarbeiter ließ sich das gemeinsame Ziel erreichen."

Hier lesen Sie ...

- welchen Migrationsaufwand eine Übernahme für die Zürich Gruppe Deutschland zur Folge hatte;

- worin die Herausforderungen und Besonderheiten für die IT bestanden;

- wie der Versicherer die Mammutaufgabe in den Griff bekommen hat.

Steckbrief

Projektart: Bestandsmigration, RZ-Konsolidierung, Änderung sämtlicher Anwendungssysteme.

Branche: Versicherung

Zeitrahmen: Juli 2002 bis Mai 2004.

Stand heute: Migrationsstufe eins (Zusammenführung des Nicht-Leben-Geschäfts inklusive Partner, Inkasso und Vertrieb) vorwiegend abgeschlossen.

Aufwand: gut 2000 Mannmonate.

Dienstleister: weitgehend in Eigenregie.

Ergebnis: einheitliche Systeme; Gros der Altsysteme abgeschaltet.

Herausforderung: Koexistenz der Marken der fusionierten Unternehmen; Erhalt der einzelnen Direktionsstandorte; unterschiedliche Firmenkulturen.

Nächster Schritt: Migrationsstufe zwei (Vereinheitlichung der Vertriebsverwaltung, Inkasso und Partner) von Juni 2004 bis voraussichtlich Ende 2005. Migration des Leben-Geschäfts folgt auf einer weiteren Stufe.

Outsourcing

Zürich Gruppe fährt zweigleisig

Der weltweit tätige Versicherungs- und Finanzkonzern Zurich Financial Services will offenbar einen großen Teil seiner Anwendungsentwicklung und -pflege an den Outsourcing-Spezialisten Computer Sciences Corp. (CSC) auslagern. Dessen Angaben zufolge haben die beiden Unternehmen bereits begonnen, die Einzelheiten des Vertrags auszuarbeiten: einem "Handelsblatt"-Bericht zufolge weist er ein Volumen von einer runden Milliarde Euro auf. Offiziell wollte die deutsche Niederlassung der Zürich Gruppe den Deal bislang weder bestätigen noch dementieren. Spruchreif sei derzeit nur ein anderes Outsourcing-Abkommen: Die Administration der weltweiten IT-Arbeitsplätze wurde an IBM Global Services vergeben.