Der Anwender darf sich vom Optimismus der Softwareanbieter nicht einlullen lassen:

Am Ende steht immer noch die Kostenflut

25.06.1982

Mit der Standardsoftware ist das so eine Sache: Ohne Anpassung läßt sie sich nur selten einsetzen. Eine allgemeingültige Antwort, ob Anpassung der Software oder Änderung der Organisation kostengünstiger ist, gibt es nicht. Der Schwarze Peter bleibt wie so oft beim Anwender: Er muß mit Hilfe der Dokumentation der Software sowie seiner eigenen Wirtschaftlichkeitsanalyse entscheiden, welcher Weg sich lohnt. Falsch ist mit Sicherheit, sich nur auf den Anbieter zu verlassen.

Vor aller Diskussion um die Standardsoftware steht die Frage, was eigentlich ein Standard ist. "Einen Standard würde ich dann sehen", erklärt der Berliner Hochschullehrer Hans Herbert Schulze, "wenn ein Verfahren nicht nur für einen, sondern mindestens für zwei oder noch mehr Zwecke einsetzbar ist. Wenn das dann weitergeht, kommt man irgendwann zur Norm."

Zu entscheiden, wann ein Standardpaket vorliegt, ist nicht einfach. Und sicher lassen sich nur wenige Pakete mit diesem Etikett versehen. Denn kaum ein Programm existiert, das nicht in irgendeiner Form beim Anwender noch modifiziert werden müßte. So lassen sich also bestenfalls Teile einer Lösung als Standard bezeichnen, auch wenn die programmherstellende Industrie mit anderen Ansprüchen auf den Markt geht und häufig mehr verspricht, als sie tatsächlich zu bieten hat. Dies hält Schulze jedoch bis zu dem Punkt für legitim, "an dem ein anderer geschädigt wird, der darauf vertraut hat".

Es kommt ganz wesentlich darauf an, daß der Anwender in der Lage ist oder in die Lage versetzt wird, etwas beurteilen zu können. Damit beginnt das Dilemma. Häufig genug verlassen sich die Anwender, nicht nur im SW-Bereich, zu stark auf den Hersteller. Nach dem Motto : Was der Lieferant sagt, wird schon stimmen. Letztlich steht in dem abgeschlossenen Vertrag von dem, was da be- und versprochen wurde, fast gar nichts mehr drin.

Vertrag auf Notizpapier

Als Beispiel nennt Schulze einen Fall, der zur Zeit vor Gericht anhängig ist. Hier benutzten die Partner als Vertrag ein schlichtes weißes Blatt Papier und bedeckten es mit einigen Notizen. Bezeichnet war nur noch das Produkt und der Preis, von anderen Vereinbarungen keine Spur. Nach Lieferung mochte der Anbieter keine Reklamationen anerkennen, sondern bestand auf Bezahlung des Preises. Schließlich sei der "Vertrag" ja unterschrieben worden.

Zurück zum, wichtigsten Problem für den Anwender beim Einsatz von Standardsoftware - der Umstellung oder Anpassung seiner Organisationsstruktur. Um Betriebsabläufe durch Programme nachvollziehen oder darstellen zu können, muß ein Unternehmer bereits einen sehr hohen Grad einer Organisation besitzen.

Niemand denkt vorher

Nun sind aber häufig, gerade in Mittel- und Kleinbetrieben, die Abläufe sehr stark auf die Mitarbeiter ausgerichtet, wobei weniger organisatorisch als vielmehr improvisatorische Regelungen vorkommen. In derartigen Strukturen werden Probleme in aller Regel erst gelöst, wenn sie auftreten. Niemand kommt auf die Idee, Probleme vorher zu durchdenken und dann für alle Zeiten zu lösen. Dies führt schließlich beim Auftreten eines ähnlichen Problemes bestenfalls dazu, daß man sich erinnert, so etwas schon einmal gemacht zu haben.

Dabei darf man jedoch nicht übersehen, daß Organisation im Sinne von "Vorherregelung künftiger Fälle" durchaus zwei Seiten hat. Der positive Effekt ist, daß man durch gründliches Nachdenken bestimmte Vorteile erreichen kann. Doch können als Negativeffekt Reibungserscheinungen entstehen, wenn versucht wird, Sonderfälle in einen organisatorischen Standard einzupassen.

Am deutlichsten merkt man dies in Betrieben, die am stärksten solchen organisatorischen Regeln unterliegt, nämlich den öffentlichen Betrieben. In der öffentlichen Verwaltung passiert nichts, was nicht durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist, was schon eine Überorganisation darstellt.

Flexibilität geht verloren

Gerade die mittleren und kleineren Betriebe, die in der Bundesrepublik einen hohen Prozentsatz des volkswirtschaftlichen Potentials darstellen, finden ihre Stärke in der improvisatorischen Organisation. Sie ermöglicht ihnen eine flexible Reaktion auf die jeweiligen Markterfordernisse. Wenn man jetzt aus der Sicht der Datenverarbeitung alles organisieren will, nimmt man diesen Unternehmen gleichzeitig ihre Flexibilität.

Doch es gibt eine Reihe von Dingen, beispielsweise im Bereich des Rechnungswesens, die nicht so improvisatorisch gestaltet sein sollten. Insbesondere kann die stereotype Büroarbeit, also die Art von Tätigkeit, die nicht inhaltsbezogen ist, viel stärker dem Rechner überlassen werden und damit Mitarbeiter für kreative Arbeiten freistellen. Dies führt allerdings indirekt zum Verlust von Arbeitsplätzen: Wenn auch zunächst kein Arbeitsplatz verloren geht, wird aber durch die Produktivitätserhöhung des einzelnen Mitarbeiters auch kein neuer notwendig.

Keine klare Regelung

Es stellt sich nun die Frage, ob in einem bestimmten betrieblichen Ablauf ein Programm, das ein Hersteller anbietet, das, was man machen will, überhaupt leisten kann. In der Regel existieren Teilbereiche, in denen eine klare Regelung nicht existiert. Es besteht also die Schwierigkeit für den Anwender, aus dem angebotenen Programm und der Programmbeschreibung erkennen zu können, wie weit die Software mit der eigenen Organisation in Übereinstimmung gebracht werden kann. Erst dann kann entschieden werden, an welchen Punkten Diskrepanzen bestehen bleiben.

An dieser Stelle gibt es glücklicherweise nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Organisation geändert oder das System angepaßt. Wobei "Organisation ändern" häufig genug heißt, zunächst einmal überhaupt eine zu schaffen. Muß eine auch ungeordnete Regelung in einem Betrieb aus internen Gründen erhalten bleiben, kann in der Regel nicht der Kunde sondern nur der Hersteller entscheiden, in welcher Weise und mit welchem Aufwand sich eine Anpassung der Software erledigen läßt.

Bei den dann notwendigen sehr intensiven Gesprächen mit dem Anwender folgt sofort das nächste Problem: Anwender und Anbieter sprechen nicht dieselbe Sprache und reden oft aneinander vorbei.

Kosten schwer zu fassen

Nach einer Untersuchung, die Professor Schulze bei rund 70 mittleren Industrieunternehmen (100 bis 250 Mitarbeiter) durchführte, wollten rund 71 Prozent der befragten Unternehmen, die bereits mit einem Computer arbeiten, eine Anpassung des Systems an die vorhandene Organisation. Demgegenüber forderten von den Erstanwendern nur 56 Prozent eine Anpassung des Systems an herrschende Betriebsstrukturen. Aufgrund der geringeren DV-Erfahrung dieser Unternehmen wird hier das Problem noch nicht so deutlich gesehen.

Wann ist nun Individualsoftware, wann angepaßte Standardlösung das billigere. Leider ist dies sehr schwierig zu fassen, und es sind einige Dinge zu beachten. Es verursacht natürlich Kosten, ein System anzupassen. Es verursacht aber auch Kosten, eine Organisation umzustellen, wobei die Kosten der Systemanpassung sehr viel leichter zu erfassen sind, weil sie in der Regel auf der Rechnung des Herstellers stehen.

Die Aufwendungen jedoch, die entstehen, um eine Organisation zu ändern, verschwinden oft im Topf der sogenannten Allgemeinkosten. Das sind beispielsweise Umschulungs- und Nacharbeitskosten, Überstundengehälter oder ähnliches. Obgleich diese Art der Belastung sehr schwer zu fassen ist, neigt Betriebswirtschaftler Schulze dazu, in Anpassung oder Organisationsumstellung von der Größenordnung her gleiche Brocken zu sehen.

Den Herstellern Arbeit abgenommen

Großbetriebe nutzten früher durchweg eigen erstellte Software. Mit ihrem Personalpotential haben die Anwender seinerzeit sehr viel getan und vor allem auch den Herstellern reichlich Arbeit abgenommen. Die EDV-Anbieter beschränkten sich lange Zeit darauf, nur die Hardware und die nötigste Betriebssoftware zu bringen. Die gesamte schwierige Umsetzung des Systems auf die Anwendung übernahmen die Benutzer selbst. Inzwischen sind die erfahrenen DV-Hasen soweit, daß sie wenn irgend möglich fertige Software kaufen, um sich die Eigenarbeit zu ersparen. Notfalls übernimmt das Großunternehmen mit seinem qualifizierten Fachpersonal die Anpassungsarbeiten.

"Wir setzen, wenn es geht, Standardsoftware ein", bestätigt Otto Oswald von der Wacker Chemie, München. Das Verhältnis zwischen eigener und standardisierter SW beträgt bei ihm zur Zeit etwa 50:50. Dabei spielen Kostenüberlegungen eine entscheidende Rolle. Die Frage sei, so Oswald, was ein Standardpaket kostet und was demgegenüber eine Eigenentwicklung erfordert. Geht der Aufwand der Anpassung über 30 Prozent nicht hinaus, wird das Paket eingesetzt. Bei einem höheren Anteil erfolgt eine detaillierte Untersuchung, ob eine Eigenentwicklung unter Umständen günstiger ist.

So sauber wie möglich

Dabei spielt auch eine Rolle, was mit der Wartungsfähigkeit des Standardpaketes nach der Anpassung passiert. Bewegt man sich soweit weg, daß man an Neuerungen des Paketes nicht mehr teilhaben kann, hat man die Wartung dieser Software selbst durchzuführen und die Frage stellt sich, warum man nicht gleich selber entwickelt hat. Dies, so Oswald, ist genau der kritische Punkt.

Hier empfiehlt sich, das Standardpaket so sauber wie möglich zu lassen und die notwendigen Änderungen mit eigenen Moduln hineinzubringen. Dennoch bleibt bei der Weiterentwicklung eines Standardpaketes noch genügend zu tun, um hier und da Änderungen an den eigenen Moduln vorzunehmen. Oswald räumt ein, daß es zu Änderungen in der Ablauforganisation kommen kann, wenn man ein fertiges Paket einsetzt. Allerdings geht er dies nur ein, wenn die Organisation, die das Paket erfordert, ohnehin besser ist, als die eigene.

Dies führt zum Teil dazu, daß die Organisation, die vom System kommt, den Ablauf im Betrieb bestimmt, was eigentlich eine Verdrehung der Dinge ist. Doch hat dies mitunter den Vorzug, damit der Betriebsblindheit begegnen zu können.