Legacy-Modernisierung

Altlast entsorgen oder Erbstück wiederentdecken?

15.03.2022
Von 
Iris Lindner ist freiberufliche Journalistin für Elektronik und Automatisierung.
Legacy-Anwendungen eilt meist ein schlechter Ruf voraus. Dabei steckt hinter dem scheinbar alten und verstaubten Code ein Vermächtnis, das meist wertvoller ist, als zunächst angenommen.
Irgendwann werden die technischen Schulden von Legacy-Anwendungen zum Problem.
Irgendwann werden die technischen Schulden von Legacy-Anwendungen zum Problem.
Foto: Everett Collection - shutterstock.com

Was sie wirklich an ihrem Bestand haben, merken viele Unternehmen erst, wenn sie Legacy loswerden wollen. Doch was macht eine Anwendung zu einer Legacy-Anwendung? Zum einen sind es die technischen Probleme, die man mit ihr hat. Diese technischen Schulden haben sich über einen längeren Zeitraum angesammelt und werden irgendwann problematisch. Etwa wenn in der heutigen Zeit agile Änderungen gefordert sind. Zudem sind viele technische Optimierungen älterer Anwendungen nicht mehr in dem Maße nötig, da zum Beispiel viel mehr Hauptspeicher zur Verfügung steht.

Informationen zu den Partner-Pakten der Studie 'Legacy-Modernisierung 2022'

Nachhaltigkeit ist modern

Dass Technologie-Updates allein der Technologie wegen nicht nötig sind, belegen die zahlreichen kritischen Systeme, die immer noch in COBOL oder PL/1 betrieben werden. COBOL ist demnach alles andere als Legacy, auch wenn die Programmiersprache weder im öffentlichen noch im akademischen Kontext eine viel diskutierte Sprache ist. Der Grund dafür ist einfach: Auch die akademische Welt unterliegt Hypes und Trends, dementsprechend verändert sich die Lehre. Rein faktisch können so Programmiersprachen wie Java ebenfalls zu Legacy werden - und sind es heute vielleicht auch schon - ,wenn sie aus den Universitäten verschwinden. Und so lernt heute kaum mehr jemand COBOL, obwohl der Reifegrad deutlich höher ist als der von anderen Sprachen. Dieser Wissensmangel wird aktuell zu einer echten Herausforderung, denn: Technologie wird nicht alle 20 Jahre ausgetauscht, um für den Nachwuchs attraktiv zu sein, sondern um mit ihr Probleme zu lösen.

Nur weil eine Programmiersprache wie etwa Cobol nicht mehr hip ist, muss sie nicht gleich abgelöst werden. So ist der Reifegradvon Cobol durchaus höher als bei mancher aktuellen Programmiersprache.
Nur weil eine Programmiersprache wie etwa Cobol nicht mehr hip ist, muss sie nicht gleich abgelöst werden. So ist der Reifegradvon Cobol durchaus höher als bei mancher aktuellen Programmiersprache.
Foto: Kheng Guan Toh - shutterstock.com

Letztlich ist es irrelevant, mit welcher Sprache Geschäftsprozesse oder Abläufe beschrieben werden oder welche Sprache hinter No-Code/Low-Code steckt. Vielmehr kommt es darauf an, dass den Prozessen eine skalierbare, Kosten/Nutzen-orientierte Technologie zugrunde liegt. Deshalb sind wieder Programmiersprachen gefragt, die sowohl stabil funktionieren als auch nach 25 Jahren noch so flexibel einsetzbar sind, dass sie auch überleben. Dieses Ziel muss auch verfolgt werden, weil Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung für junge Menschen im Vordergrund stehen - Trends, die sich auch in der IT widerspiegeln sollten.

Guter Code muss nicht neu erfunden werden

Wenn es darum geht, durch Legacy-Modernisierung Dinge im Griff zu behalten und handlungsfähig zu bleiben, muss das interne Wissensmanagement nicht nur Technologie, sondern auch Prozesswissen umfassen. Es gilt, sich auf den funktionalen Nutzen der Altsysteme zu konzentrieren und sich zu fragen, wie sich diese künftig auch mit dem technologischem Fortschritt kontinuierlich verbessern und erweitern lassen. Eine Herausforderung, die umso anspruchsvoller wird, je größer die Organisation ist. Schließlich haben größere Unternehmen für gewöhnlich einen starken Anteil an selbst entwickelter Software. Die Frage, ob sie im Zuge der Legacy-Modernisierung eigene Software entwickeln und in welchem Umfang, könnte sich künftig seltener stellen. Schließlich trifft der Personalmangel in der IT nicht nur KMUs. Auch vor diesem Hintegrund wird die Programmiersprache hinter einer Anwendung zur Nebensache. Das Hauptaugenmerk liegt auf ihrer Einbindung in eine sinnvolle Architektur.

Bei einer Legacy-Modernisierung sollten sich Unternehmen auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie sich durch eigene Entwicklungen vom Wettbewerb abgrenzen können. Das Problem dabei: Die IT kann das nicht alleine beantworten. Dies ist nur in Zusammenarbeit von IT und Fachbereich möglich, die allerdings verschiedene Ansichten der heutigen Welt haben, weil ihnen das gegenseitige Verständnis fehlt. Und so besteht die Gefahr, das viele Inseln entstehen: die vielen verschiedenen Tools, die dann dort verwendet werden, sind irgendwann nicht mehr integrierbar und Wartungsaufwand und Kosten steigen enorm. Zu dieser Kleinteiligkeit, getrieben durch die Fachbereiche, kommt das Schnittstellen durcheinander, das sich nicht mehr reduzieren lässt.

Studie "Legacy-Modernisierung 2022": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Legacy-Modernisierung führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 161) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Modernisierung braucht Business, IT und HR

Ohne klare IT- und Business-Verantwortung ist also eine Entscheidung für oder gegen eine Modernisierung nicht möglich. Doch genau hier muss die eigentliche Modernisierung ansetzen: Eine moderne IT-Abteilung muss sich strategisch aufstellen und es als ihre Aufgabe ansehen, für eine Plattform zu sorgen, mit der Unternehmen in eine Kontinuität der Modernisierung gelangen können. Eine Plattform als stabile Basis mit klaren Regeln, auf der sich frei wählbar zwischen Standardsoftware und Eigenentwicklung die Applikationslandschaft für das Unternehmen aufbauen lässt. Das wiederum geht nicht ohne Business-Verantwortung, um entscheiden zu können, welche Business-Prozesse überhaupt unterstützt werden sollen. Da diese Rollenverteilung häufig nicht vorhanden ist, bleibt auch gerne die Fragestellung nach den notwendigen Daten auf der Strecke.

Das Verständnis, datengetrieben zu agieren, ist zwar bei vielen da, die Bereitschaft, das Fundament dafür zu bilden, jedoch sehr schwach ausgebildet. Heißt: Viele bemängeln die Datenqualität, sind aber selbst nicht in der Lage, ihre Stammdaten zu konsolidieren. Das Problem ist nicht nur der Wildwuchs an vielen Datensilos, sondern auch die Kommunikation. Technik und Fach-Know-how sind mittlerweile so weit voneinander entfernt, dass viele agil zusammengelegte Bereiche mehr als ein halbes Jahr brauchen, um wieder die gleiche Sprache zu sprechen. Häufig ein hausgemachtes Problem, denn zu Beginn waren Softwareentwickler häufig Quereinsteiger aus dem Business und kannten die Prozesse. So leiden heute viele Unternehmen unter der womöglich zu krassen Trennung, hervorgerufen durch die Spezialisierung. Dabei wäre klassisches Hospitieren ein einfaches Mittel, um Technikern wieder eine Business-affine Denkweise zu vermitteln und so mit wenig Aufwand Kommunikation und Verständnis zu verbessern.

Auf der anderen Seite werden viele Automatisierungspotenziale, welche die IT bietet, nicht ausgeschöpft. Zudem werden noch immer zu viel Dinge selbst gemacht, obwohl die Babyboomer langsam aus dem Wirtschaftsleben verschwinden und sich der Fachkräftemangel damit weiter verstärken wird. Hier braucht es Wege, Mitarbeiter für die Automatisierung zu begeistern. Und schließlich muss vor allem in der Softwareentwicklung das Wissensmanagement stärker etabliert werden. Nur wenn Entwickler auch Spaß daran haben, ihren jungen Kollegen etwas beizubringen, haben diese auch eine Chance. Für eine Modernisierung braucht es also nicht nur ein technisches, sondern auch ein kommunikatives Konzept, um mit solchen Problemen umzugehen. Ansonsten verliert das Erbstück seinen Wert.

Informationen zu den Partner-Pakten der Studie 'Legacy-Modernisierung 2022'