IT-Arbeitsmarkt/Eingliederung Arbeitsloser in die Computerbranche

Alternativen zur Green Card

06.07.2001
"50 plus - die können es", dieser Meinung ist die Bundesanstalt für Arbeit und will sich unter diesem Motto verstärkt bemühen, ältere Fachkräfte mit Erfahrung in die IT-Branche wieder einzugliedern. Ob allerdings die Wünsche der Bundesanstalt für Arbeit mit denen der Unternehmen zusammenpassen, muss sich erst herausstellen. Von Gabi Visintin*

Peter Wolf, 58 Jahre, ist noch eine Ausnahme. Seit kurzem arbeitet er als Dokumentationsverantwortlicher bei der 15-köpfigen Vircinity-Crew in Stuttgart, einer High-tech-Schmiede für Virtual-Reality-Software. Was Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg als die "eigentliche Problematik" bei der Wiedereingliederung von älteren Ingenieuren bezeichnet - nämlich die "Jugendlichkeitsmentalität" innerhalb der Startup-Firmen - hat Wolf in den vergangenen Jahren immer wieder zu spüren bekommen: Wenn bei Bewerbungen sein Alter zur Sprache kam, war die Reaktion ablehnend. "Einmal sagte ein Unternehmensvertreter fast wörtlich: ,Ältere Mitarbeiter haben eine zu kurze Restlaufzeit#", erinnert sich der Wiedereinsteiger.

Vor fünf Jahren ist Wolf in die Welle der Vorruhestandsregelung bei IBM geraten und "freiwillig" ausgeschieden, "weil das Klima in unserer Abteilung heruntergefahren war". Gleich danach hatte er sich arbeitslos gemeldet und stieß dann auf das Angebot der jungen Stuttgarter Firma. "Die Erfahrungen der Älteren kommen uns durchaus zugute", betont Geschäftsführer Martin Zimmermann seine prinzipiell positive Einstellung zum Team aus Jung und Alt.

Die Nachricht am Ende vergangenen Jahres, die einen "leer gefegten Arbeitsmarkt" bei IT-Fachkräften und Ingenieuren vorhersagte, hat die Green Card-Debatte ausgelöst und jetzt zum "Memorandum zur Zukunftssicherung des Ingenieurwesens" geführt. Anfang Mai stellte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn diese Initiative der Öffentlichkeit mit dem Ausruf "Deutschland braucht mehr Ingenieurinnen und Ingenieure" vor. Dazu müssten Politik und Wirtschaft ihre gemeinsamen Anstrengungen verstärken, so Bulmahn: "Was nicht geht, ist, auf der einen Seite eine Green Card für Ingenieure aus dem Ausland zu fordern und andererseits arbeitslose Ingenieure, die wir in Deutschland haben, nicht einzustellen," erklärte die Bildungsministerin.

Das fordert nicht allein die Vernunft, sondern auch die Faktenlage. Die Ergebnisse der IAB-Betriebsbefragung zum gesamtwirtschaftlichen Stellenbedarf (IAB-Werkstattbericht Nummer 4, 2001) belegen die Anspannungstendenzen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aufs Neue: Der Bericht zeigt, dass sich Betriebe in Westdeutschland zunehmend in ihrer Aktivität gebremst sehen, weil "zu wenig geeignete Arbeitskräfte" zur Verfügung stehen. Während sich zwischen 1993 und 1997 nur etwa sechs Prozent der Befragten durch Arbeitskräftemangel eingeschränkt fühlten, liegt der Anteil heute bei 15 Prozent. Die künftig zu erwartende demografische Situation, so das IAB, wird diese Entwicklung noch verschärfen. "Unter Status-quo-Bedingungen dürfte das Arbeitskräfteangebot bis zum Jahr 2040 um ein Viertel bis ein Drittel niedriger liegen als heute."

Auch der Blick auf die Landesarbeitsämter, wie beispielsweise in Stuttgart und München, zeigt, dass immer noch ein großer Bedarf an qualifizierten IT-Kräften besteht: In Baden-Württemberg sind bis jetzt 1350 Green Cards vergeben worden, davon allein 421 in Stuttgart; Bayern hat 2096 Green Cards ausgehändigt, der Löwenanteil davon geht mit 1468 an München. Angesichts der Situation, dass auch unsere europäischen Nachbarländer und die USA mit IT-Kräftemangel kämpfen, bleibt Dostals Hinweis richtungsweisend: "Kurzfristig kann eine Anwerbung mögliche Engpässe überbrücken, mittel- und langfristig aber liegt die Lösung in der nachhaltigen Aktivierung und Qualifizierung des eigenen Potenzials."

Deshalb formuliert das Memorandum nicht allein Forderungen an die Schulen und das Ingenieurstudium, sondern auch an die Unternehmen, die in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit die "Aktivitäten zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen" steigern sollen.

Dostal bringt es in seiner Bilanz 2000 auf den Punkt: "Schließlich gilt es, die Arbeitsbelastungen in den IT-Berufen auf ein normales Maß zu reduzieren und innovative Arbeitsformen einzuführen. Die zurückgehenden Anteile von Frauen und Älteren in diesen Berufen sind ein Indiz dafür, dass die von diesen Gruppen gewünschte Flexibilität in den IT-Beschäftigungsstrukturen nicht gewährleistet ist."

*Gabi Visintin ist freie Journalistin in Stuttgart.