Als waere man DOOD

27.05.1994

Viele sehen ihre Zukunft auf dem Multimedia-Markt: Computerhersteller, Softwarefirmen, Kabel-Companies, Netzdienstleister, Verlage und Spieleanbieter. Trauerwein fehlt in dieser Aufstellung. Im Kollegenkreis wird ihm ein Hang zur Schwarzmalerei nachgesagt, an der Grenze zur Todessehnsucht. Es freut unsereinen, in diesem Zusammenhang den RTL-Chef Helmut Thoma, einen exportierten Wiener, zitieren zu koennen, der die Bewohner seiner Heimatstadt gegen eben diesen Vorwurf verteidigte: Die Donaustaedter, so der Medien-Machiavell, seien im Gegenteil besonders stark dem Diesseitigen verhaftet, weil sie den Gedanken nicht ertragen koennten, fuer den Rest ihres Lebens tot zu sein. Da haben wir's: Der virtuelle Trauerwein fuehlt sich in dem Einweg- Medium CW quicklebendig - hier kann er seine Pseudo-Identitaet entwickeln, hier darf er laesterlich sein. In einem multimedialen Electronic-Publishing-System waere er als DOOD (Dumb Opinion On Demand) ein Info-Zombie, der auf Erloesung wartet - gaebe es den Thoma-Satz nicht, er muesste aus diesem Anlass erfunden werden. Sollte Sebastian damit die verwundbare Stelle am Cyber-Koerper des Multimedia-Siegfrieds getroffen haben? Wo bleibt das, was zwischen den Zeilen steht, in einem System, das um Bitkompression bemueht sein muss? Kann der Autor eines Berichts bald nur noch durch digitale Autopsie ermittelt werden? Nein, fuer Trauerwein kann die Multimedia-Zukunft getrost ausfallen - er will nicht fuer den Rest seines Kunstlebens tot sein.