gfs-Seminar über Personalprobleme in der EDV:

Allzumenschliche Barrieren gegen Projektmanagement

18.04.1980

EIBSEE - "Schlußbemerkung: Eine auffällig konstruktive Atmosphäre" - das steht zu lesen auf einem von acht Feedback-Fragebogen, eingesammelt im Anschluß an Seminar Nr. 314 der gfs (Gesellschaft für Systemplanung, München und Köln) am 14. März im Eibseehotel bei Garmisch. "Wieso auffällig?", fragt sich der Leser, der da Einblick nehmen darf ins ungeschminkte Nacherleben eines "nondirektiven Gruppen-Trainings". Ist eine konstruktive Atmosphäre nicht selbstverständlich? Da nehmen sich hochdotierte Leute die Zeit, bezahlen eine Menge Geld und verhalten sich "auffällig", weil konstruktiv? Worum ging es bei diesem Seminar? Um "Auflösen von menschlichen Barrieren gegen erfolgreiches Projektmanagement". Offenbar gleichzeitig mit einem Aufruf der COMPUTERWOCHE, Managementwissen auch an den EDV-Mann zu bringen, in Seminaren, die speziell auf seine Probleme zugeschnitten sind, kommt die gfs auf die Idee, ein Psychologen-unterstütztes EDV-Management-Training "der neuen Art" zu offerieren.

Sogar ein Mann von der Konkurrenz, von der Hamburger Scientific Control Systems (SCS), war gekommen, Leiter eines Projektes mit zirka 50 Leuten; "menschliche Barrieren" waren für ihn ein Grund über die Grenzen des ansonsten so breiten SCS-Kursangebots hinauszugehen, um an dem Experiment der gfs teilzunehmen.

Die kürzlich gegründete gfs-Tochter "gfs personalpartner" ging mit dem zunächst im eigenen Haus erprobten nondirektiven Gruppentraining zum erstenmal auf den Markt. Die CW war eingeladen, sich die Arbeitsmethode - die ja an sich nicht neu ist - anzusehen, und über das Thema, nämlich "Managementwissen für den EDV-Mann" - schon etwas neuer -, mitzudenken. Was tatsächlich neu war, ist die Kombination von Methode und Thema.

Vier Moderatoren, zwei Psychologen, ein Physiker und ein Informatiker, mischten sich unter die zirka zehn Teilnehmer. Man setzte sich im großen Kreis zusammen, ohne Tische, Bänke, Zigaretten und Alkohol mit Blick auf den noch zugefrorenen und verschneiten Eibsee. Wer von der ungewohnt unstrukturierten Art der Placierung - ohne Vorne und Hinten, Oben und Unten, verdattert war, konnte sich auch an einer dünnen Seminarunterlage nicht so recht festhalten. Immerhin ein Flipp Chart erinnerte an klassische Seminaratmosphäre. Literatur - als "ziemlich ignorant" von der gfs-Crew apostrophiert - war in dem gelben Ordner zu finden, ferner eine Teilnehmerliste (immer sehr interessant), hier eher kurz. Aber "gute Leute" waren da: von der Bayerischen Landesbank (großer Laden), vom DAG Bundesvorstand (aha), einer Zentralstelle für Programmierten Unterricht (sieh an), von SCS (soso), von Philips (großer Laden), von der Bayerischen Rückversicherung (großer Laden) und von der Bundesanstalt für Arbeit (aha, natürlich auch ein großer Laden). Man befand sich also in bester Gesellschaft.

Verhalten durch Verhaften steuern

Und was gab's noch zu lesen? "Wir haben auf ein Skriptum zu dieser Veranstaltung bewußt verzichtet, da sich nondirektive Trainings vor allem durch die Prozeßorientierung und ein Minimum an Strukturierung unterscheiden. Es finden keine Referate zu vorgegebenen Sachthemen statt, die Teilnehmer selbst sind die Akteure." Sollte jemand die Idee gehabt haben, sich hier auszuruhen, wäre er unangenehm aufgefallen. Weiter im Text: "Alle Mitglieder der Gruppe (einschließlich Trainer) stehen in wechselseitiger, gleichwertiger Beziehung, das heißt, sie steuern durch ihr Verhalten das Verhalten, die Position und die emotionalen Aktionen der anderen. Die Trainer haben hier nicht die Funktion als Experten "Patentrezepte" aus ihrem "reichen Erfahrungsschatz" zu zitieren, sondern die Funktion eine Gruppenatmosphäre zu gestalten, die emotionales und rationales Lernen über individuelles Verhalten und Gruppenverhalten ermöglicht. Andererseits unterscheidet sich diese Veranstaltung von gruppendynamischen Trainings durch ihre Themenzentrierung: Alle Aktionen und Emotionen werden auf ihre Relevanz für das Projektmanagement untersucht. Die menschlichen Aspekte des Problemlösens werden von der klassischen Literatur zum Projektmanagement ziemlich ignoriert."

Das Problem, um das es hier ging, war ja im Seminartitel deutlich angesprochen. Es ging um "menschliche Barrieren". Sie müssen auch in dieser Runde gleich am ersten Abend beim sogenannten Warming-up überwunden werden: Die Moderatoren ermuntern dazu, die persönlichen Erwartungen, eventuell Befürchtungen zu formulieren. Die Teilnehmer wollen "konkrete Antworten auf praktische Probleme, Kochrezepte für

bessere Mitarbeiterführung, Aufhebung des Gegensatzes zwischen Projektzwang und Kreativität, Gruppendynamik, Motivierung von Untergebenen" etc. Sofort auch kommen die Befürchtungen zur Sprache als da sind: Varianz der. Einflüsse verhindert Kochrezepte - also einfache "Problemlöser" wird es wohl nicht geben; die Vertraulichkeit der Gesprächsrunde könnte unangenehm werden; Soziotechniken bedeuten Manipulation, soll man vielleicht dafür sein oder dagegen? Die Herren kommen sehr schnell in medias res, und das sind jeder-EDV-manns Sorgen. Ein sequentielles Lamento hebt an: Ungünstige zeitliche Projektentwicklung; zu große Gruppen; zu komplexe nicht überschaubare Probleme; Widerspruch zwischen Anwendung modernster Technik und spezifizierter Funktionalität; mangelndes Engagement der jüngeren Generation; Strukturierung beschneidet den persönlichen Freiheitsraum; Mythos der Maschine läßt nach; weniger Spielatmosphäre; Formalisierung steigt; Ende der Pionierzeit etc.

"Auffällig" wird die allmählich lockere Umgangsform, an langer Leine von den Moderatoren hervorgeholt. Kein Grübelzwinger, kein Schwätzer, einer dem das Herz aufgeht und der fast im Monolog versendet, aber er merkt es. Resümee des ersten Abends, des Warming-up: Früher war alles anders, subjektiv besser, die, Hierarchieverschiebung hat den Teilnehmern eine gewisse "Altherren-Attitüde" gegeben - keiner ist über 45. Es läuft darauf hinaus, daß die Mitarbeiter anders, besser motiviert werden müssen! Was kann motivieren? Wieder die sequentielle Abfrage: Wodurch werden die Gruppenteilnehmer selbst motiviert?

Also - man möge sich an der eigenen Nase packen. Dieses sind ihre Wünsche: Selbständigkeit; Erfolgserlebnisse; hoher Status; Chance zur sozialen Gestaltung; was Neues machen; freier Umgang mit Menschen und Informationen; höheres Einkommen im Vergleich zu anderen; neue Einsichten, mehr Macht.

"Mehr Macht", das ist das Stichwort. Hier endet die erste Trainingsrunde, die Moderatoren loben, die Gruppe sei schnell (nach zwei Stunden) zum Thema gekommen. Abendessen.

Gespannte Erwartung für den zweiten Tag, die Sonne scheint in den Seminarraum, einige waren schon in der Sauna, andere blinzeln noch etwas verschlafen ins alpenländische Panorama. Das Thema des Tages ist das gemeinsam Gefundene des vergangenen Abends: Macht und Autorität. Die Psychologen erklären: "Die Machtproblematik ist neben der Intimitätsproblematik eine typische Phase bei der Entwicklung neuer Gruppen." Wer wird die Kontrolle haben über das, was in der Gruppe geschieht? Wieviel Macht und Einfluß habe ich selbst in dieser Gruppe? Die Autoritätsfrage wird auf das hier und jetzt (respektive den Vorabend) bezogen.

Ein Teilnehmer bringt ein Beispiel hierzu: Er ist als Gruppenleiter verantwortlich für ein EDV-Projektteam, in dem sich neben dem formalen Führer (Projektleiter) ein informeller Führer bildete, der bei einem Teil der Projektteams sehr beliebt ist. Diese Situation besteht seit über einem Jahr und führt zu einer Menge von Konflikten und Reibereien. Was kann er tun?

Mit diesem Beispiel kann sich jeder in der Runde auseinandersetzen, oder mit der Situation identifizieren. Nebenbuhler hat jeder. Auch wen das Beispiel aus der Luft gegriffen war, wie der Teilnehmer später bekennt, läßt sich hieran Gruppenverhalten demonstrieren. Schließlich werden zwei Gruppen auch aus den Trainings-Teilnehmern gebildet, die sich selbst als Gruppe einmal durchspielen können. Sie sollen - ohne Moderatoren - "stark unstrukturiert", wie es im Protokoll dann später heißt, das Lenin-Zitat "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" in 40 Minuten bearbeiten.

Es ginge zu weit, nun den ganzen Verlauf des Trainings zu verraten. Eine gewisse Spannung, wer nun wer in den Gruppen werden würde, wer die Führungsposition anstreben, bekommen, halten oder auch verlieren - das gab es, auch - würde, breitete sich aus.

Es gibt andere Methoden - außer den festgefahrenen

Nach zirka einer Woche Seminar-Inkubationszeit, fragte dann die CW bei den Teilnehmern an, was ihnen denn nun die Tage am Eibsee für die Behebung ihrer Probleme im Projektmanagement konkret gebracht hätten.

Hier die Antworten, zunächst eine recht "grantige", bayrische: "Konnte konkrete Probleme nicht mit dem Seminarstoff lösen, aber Ziel war ja, den Blick zu öffnen dafür, daß es andere Methoden außer den festgefahrenen gibt." Sein Problem scheint zu sein: "Die Entscheidung fällt nicht, ob wir neue Methoden einführen oder nicht", da sei "keine große Chance etwas zu ändern." Außerdem kommt er mit dem Änderungsaufwand für 2000 Programme nicht klar: "Keiner macht gerne ausschließlich Änderungen." Modellfälle nützen nicht." Er sieht sich aber als Vorreiter in seinem Unternehmen, weil er sich mit den neuen Methoden auseinandersetzt..

Etwas moderater gibt sich eine Stimme aus Norddeutschland: "Ich finde, daß das gut lief. Es war ja nicht vorbereitet, es war ja ein Experiment. Und man sollte solche Experimente machen. Ich würde sie als Seminarform begrüßen. Und zwar, weil ich mir davon verspreche, daß mehr Wirkliches herauskommt als bei irgendeiner geleiteten Form, bei der alle um den Tisch sitzen und mit den Köpfen nicken." Befragt, ob er denn nun zufrieden wieder nach Hause gefahren sei, kommt eine etwas zwiespältige Antwort: "Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite hat mir das Training meine Sorgen, mit denen ich gekommen bin, nicht nehmen können." "In wie fern?" "Das Problem, das wir alle haben, nämlich die sogenannten menschlichen Beziehungen in größeren Projekten, das ist keine Sache, die man in irgendeiner Weise als Manager in überschaubarer Zeit in den Griff kriegt."

Sein Projekt ist auf 220 Mannjahre ausgelegt, er hat 70 Mitarbeiter, "und dadurch verstärkt sich das Problem der "menschlichen Barrieren" (um noch einmal auf die Wortwahl der gfs-Leute zurückzukommen) bis zur Unkenntlichkeit, bis zur völligen Unbeherrschbarkeit, Insofern habe ich gesehen, daß mir hier weiterhin enorme Probleme bleiben werden . . . Das sind die Bauchschmerzen, mit denen ich hier weggegangen bin. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl gewonnen: Damit stehe ich nicht alleine da - das gibt's woanders auch." Und das tröstet bekanntlich. Im übrigen hat er gleich einige Mitarbeiter seines Mammutprojektes für das gfs-Training angemeldet, also freigestellt. In einer gemeinsamen Sprache redet es sich dann leichter.

Geradezu ein Überflieger-Zeugnis stellt ein Projektleiter aus der Bundesanstalt für Arbeit aus: "Das Seminarziel ist erreicht worden. Man wurde sich dessen bewußt, daß der menschliche Faktor eine größere Rolle spielt als man das im Tagesgeschäft bisher angenommen hatte." Er fand es bemerkenswert, daß die Referenten, zwischen dem von ihnen vertretenen Anspruch und eigenem Verhalten keine Diskrepanz aufkommen ließen. "Sie haben als Repräsentanten der gruppendynamischen Techniken das Seminar günstig beeinflußt." Und: "Man hat etwas mehr in sich selbst hineinschauen können. Was ich jedenfalls in der Vergangenheit nicht getan habe." Befragt, ob er sich mit der schließlich gefundenen Problemlösung in Sachen "informeller Führer" habe identifizieren können, meint er zufrieden. "Das Beste, was man aus der Situation machen konnte", und gibt der CW-Redakteurin zu bedenken: "Weniger die Problemlösung ist interessant gewesen, als der Weg. Die Gruppenarbeit selbst war das Wichtigste."

Informationen: gfs, Gesellschaft für Systemplanung, Fürstenackerstr. 44, 8000 München 71, Tel.: 089/79 90.