Beim Versicherungsriesen steht CBT hoch im Kurs

Allianz: Auf die richtige Mischung kommt es an

28.06.1996

In großer Zahl, verrät Armin Würker nicht ohne Stolz, reisen Unternehmensvertreter an, um sich das CBT-Projekt des Versicherungsgiganten vor Ort anzuschauen. Daß gerade die etwas behäbige Versicherungsbranche hier ein Zeichen setzt, konnte man nicht unbedingt erwarten. Doch wo jedes Jahr weit über 1000 Interessenten zu Versicherungsfachleuten ausgebildet werden, besteht Handlungsbedarf.

Bereits seit zwanzig Jahren tüftelten dieAllianz am optimalen Medieneinsatz in der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Um sie in der Kunst der Verkaufstechnik zu unterweisen, sind innovative Lernmethoden besonders gefragt. Ein ganzes Bündel aus didaktischen und zunehmend auch technischen Faktoren soll den gewünschten Lernerfolg beim Schulungsteilnehmer fördern.

Es reicht nicht mehr aus, bei einem Verkaufsgespräch vom Leitfaden abzulesen. Im übrigen läßt sich ein potentieller Kunde kaum noch von einem standardisierten Auftritt des Agenten beeinflussen. Überzeugen heißt heute vielmehr persönlich überzeugen, und dabei tritt die individuelle Gesprächssituation in den Vordergrund. Breiten Raum nimmt deshalb die Schulung der affektiven Fähigkeiten ein. Rhetorik und vor allem Ausstrahlung lauten die Schlüsselkompetenzen für den Versicherungsfachmann.

Unter solchen Vorzeichen kommen die interaktiven Systeme wie gerufen: Bei der Allianz erfolgt der Löwenanteil der reinen Wissensvermittlung im digitalen Modus. Im Wechsel zwischen Seminar und selbstgesteuertem Lernen am PC rüstet sich der Nachwuchs für den Ernst des Lebens.

Insgesamt 65 CBT-Lernstunden mit entsprechendem Foto- und Audiomaterial stehen den Teilnehmern für ihren einjährigen Lehrgang in mehr als zwanzig Ausbildungsstätten zur Verfügung. Daß die Umsetzung des anspruchsvollen Konzepts in kaum zwei Jahren über die Bühne ging, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß Würker und seine Mitstreiter von Anfang an gemeinsame Sache mit fünf anderen Unternehmen machten.

Einen hohen Qualitätsstandard zu setzen, lautete die verbindliche Richtschnur. Lernen mit CBT sollte spannend und abwechslungsreich sein. Ein weiteres Ziel war, die Lerneffizienz zu erhöhen und den Praxistransfer zu gewährleisten.

Ob Lückentext, Aufgaben unter Zeitdruck oder per Zufallsgenerator gesteuerte Selbsttests - CBT soll den Teilnehmer motivieren und ihn den Wissenserwerb eigeninitiativ steuern lassen. Spezielle Stilelemente wie lernunterstützende Musik oder Sprachsequenzen festigen die Erinnerung an den behandelten Stoff. "Lernen", unterstreicht Allianz-Referent Würker, "ist eine Holschuld."

Bei einem Kostenvolumen von bis zu 75000 Mark pro Entwicklungsstunde beliefen sich die Gesamtausgaben für das Projekt auf insgesamt rund zehn Millionen Mark. Während die Firma IWL, München, für die übergeordnete Konzeption und die Evaluierung verantwortlich zeichnete, war die Insys GmbH, München, unter anderem für die Entwicklung spezieller Lernspiel-CBTs zuständig. Pro Lernen aus Oberschleißheim übernahm technische Aufgaben.

Mit der Technik steht und fällt ein Projekt dieser Größenordnung. Für den effizienten CBT-Einsatz sind leistungsfähige Systeme erforderlich, die als "multifunktionaler Lernplatz" Multimedia- Eigenschaften aufweisen müssen und in die sich die Schnittstellen zur kommerziellen DV der Allianz integrieren lassen. Inzwischen greift jeder Schulungsteilnehmer auf einen PC zu. Der Lehrstoff wird in Tagesportionen über eine Installationsroutine aktualisiert.

Langfristig spekulieren die Experten darauf, daß sich das Prinzip "Lernen als Holschuld" bei den Mitarbeitern auch unterwegs und zu Hause etablieren wird. Denn daß der CBT-Einsatz auf einem Stand- alone-PC "verschenkt" sei, wie Jochen Kelm von IWL erklärt, ist den beteiligten Unternehmen klar. Ein Netzwerk aus zahlreichen Lernorten wie Schulungsraum, Lernstudio, Betrieb, Arbeitsplatz, privater PC miteinander verkoppelt über Online- oder Offline- Kommunikation, muß erst einmal aufgebaut werden. Insys-Chef Berthold Helmes: "Auf jeden Fall erkennen die Anwenderunternehmen in CBT einen wichtigen Kostenvorteil."

So sehr sich die Allianz und ihre Mitstreiter in das Projekt hineinknien - Probleme bleiben nicht aus. Vor allem der jüngst beschlossene Umstieg auf das IBM-Betriebssystem OS/2 macht Würkers Truppe zu schaffen. Pro- Lernen-Mitarbeiter Joachim Jacob nennt vor allem Probleme in der MPEG-Videocodierung, die nun erschwert sei.

Das konzernweite Plattform-Dekret brennt aber nicht allen Beteiligten unter den Nägeln. Helmes: "Betriebssysteme sind in unserem Projekt das geringste Problem". Daß man trotz aller technischer Hürden mit dem bisher Erreichten zufrieden sein kann, glaubt IWL-Mann Kelm. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Vertreter der Allianz spürbar an Profil zugelegt haben. Verkaufsergebnisse und - was noch entscheidender ist - die Vertrauensbasis der Kunden wurden positiv beeinflußt."

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.