Wettbewerbsverzerrung oder nicht?

Alles zum Google-Verfahren

17.04.2015
Von  und


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Die Europäische Union hat dem Internetkonzern Google deftige Strafen wegen diverser Fälle von Wettbewerbsverzerrung angedroht. In unseren (laufend aktualisierten) FAQ beantworten wir die wichtigsten Fragen zu den Vorwürfen, möglichen Strafen und Googles Reaktionen.

Warum hat die EU eine formelle Beschwerde gegen Google eingereicht?

Die EU-Kommission wirft Google vor, Suchergebnisse zu verfälschen. Eigene Google-Services würden klar bevorteilt, indem sie beispielsweise an den Top-Plätzen in den Ergebnislisten ganz oben stünden. Bei kaufbezogenen Suchen würde Googles eigener Preisvergleichsdienst "Google Shopping" immer am prominentesten platziert. Die Bevorzugung erfolge grundsätzlich unabhängig von der Qualität der jeweiligen Suchergebnisse. Dieses Vorgehen führe zu einer Benachteiligung von Google-Wettbewerbern und zur Falschinformation von Nutzern. Das verstoße gegen geltendes EU-Recht.

Ein zweiter Streitpunkt ist Googles mobiles Betriebssystem Android. Obwohl Android für Nutzer und Entwickler kostenlos ist, müssen Hersteller eine Pauschalgebühr an Google zahlen, wenn sie dessen Dienste wie Gmail oder Google Maps auf Android-Geräten anbieten wollen. Die EU-Kommission hält es nicht für legitim, dass Google dabei den immergleichen Pauschalbetrag kassiert, auch wenn nur einzelne Google-Services bezogen werden sollen. Zudem wirft sie dem Konzern vor, er habe Hersteller daran gehindert, eigene Android-Varianten zu vermarkten.

Ist an den Vorwürfen etwas dran?

Durchaus, zumindest was die Bevorzugung eigener Dienste im Rahmen der Suchergebnislisten für kaufbezogene Recherchen angeht. Der Preisvergleichs-Service "Google Shopping" präsentiert seine Suchergebnisse beispielsweise als "Sponsored"-Box bei passenden Suchen auch auf der Haupt-Ergebnisseite im Bereich der "Google Ads", also unter den verkauften Suchergebnissen. Durch die prominente Platzierung im oberen Bereich samt Thumbnail-Bildern wird der Nutzer schnell auf diese Ergebnisse aufmerksam. Sollten Sie diese Darstellung nicht nachvollziehen können, noch ein Hinweis: Gängige Werbeblocker (deren Einsatz auf werbefinanzierten Websites wie auch unseren Portalen aber nicht zu befürworten ist) erkennen die "Shopping"-Box genauso wie die normalen "Ads" als Werbeanzeige und blenden sie aus.

Sucht man bei Google beispielsweise nach der "Canon 12000D", erscheinen im rechten Bereich die Ergebnisse der "Google Shopping"-Suche sehr prominent - und sogar mit Foto.
Sucht man bei Google beispielsweise nach der "Canon 12000D", erscheinen im rechten Bereich die Ergebnisse der "Google Shopping"-Suche sehr prominent - und sogar mit Foto.

Wie geht es weiter?

Google hat zehn Wochen Zeit, auf die Vorwürfe aus Brüssel zu reagieren. Anschließend trifft die EU-Kommission die endgültige Entscheidung, ob Google bestraft wird oder nicht. Das kann allerdings dauern: Von mindestens einem Jahr ist in Expertenkreisen bereits die Rede. Google wird also wohl vor Mitte 2016 keine Strafe zu befürchten haben.

Was droht Google im Falle einer Verurteilung?

Sollte Google die Vorwürfe nicht entkräften können, droht ein EU-Bußgeld von bis zu einem Zehntel des letztjährigen Jahresumsatzes. Demnach müsste Google bis bis zu 6,6 Milliarden Euro zahlen. Wichtiger aber ist wohl, dass Googles Geschäftsmodell in verschiedener Hinsicht angepasst werden müsste. Google dürfte strenge Auflagen, die eine strikte Trennung von Suche und Commerce oder eine Neuordnung des Android-Business verlangen, mehr fürchten.

Wie reagiert Google auf die Vorwürfe?

Der Internetriese hat die Vorwürfe in einer ersten Stellungnahme wenig überraschend zurückgewiesen. Ähnlich wie seinerzeit Microsoft in seinem Kartellprozess argumentiert Google damit, dass die Wettbewerbsstrukturen intakt seien. Google Shopping habe dem Wettbewerb in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nicht geschadet, schrieb Google in einem Memo an seine Mitarbeiter. Als Beleg wurden ComScore-Auswertungen beigefügt, die Amazon.com und eBay als mit Abstand führende E-Commerce-Seiten ausweisen.

Es gebe eine Reihe konkurrierender klassischer Suchmaschinen, zu denen die Verbraucher wechseln könnten. Außerdem verändere sich das Nutzerverhalten rasant, Suchmaschinen wie Google verlören an Bedeutung. Viele Anwender klickten auf ihren mobilen Gadgets direkt Apps an und umgingen damit die Suchmaschinen. Darüber hinaus seien Seiten wie Facebook, Amazon, eBay oder Yelp auf ihre Weise inzwischen selbst spezialisierte Search Engines. In den kommenden Wochen will der Konzern nun offensiv den Beweis antreten, dass er den Wettbewerb nicht verhindert, sondern sogar fördert - ganz im Sinne der Nutzer.

Was sagen Beobachter?

In verschiedenen Berichten wird die Meinung vertreten, dass Google sich verhandlungsbereit zeigen und der EU-Kommission entgegenkommen werde. Das sei auch richtig so: Europäische Kartellbehörden seien grundsätzlich weniger gesprächsbereit, wenn es um monopolistisches Gehabe und Wettbewerbsbehinderung geht, als amerikanische. Sich zu widersetzen, das habe der Kartellprozess gegen Microsoft gezeigt, verhärte die Fronten und komme am Ende teuer. Microsoft musste seit 2012 mehr als 1,5 Milliarden Dollar Strafe zahlen.

Obwohl die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager als kompromisslos gilt, muss auch sie Vorsicht walten lassen – denn der Fall ist politisch. In den USA steht die EU im Verdacht amerikanische Hightech-Unternehmen zu behindern, um die eigenen Unternehmen besser im internationalen Wettbewerb zu positionieren. Barack Obama hatte dies im Februar 2015 in einem Interview mit Re/code unmissverständlich formuliert: „In defense of Google and Facebook, sometimes the European response here is more commercially driven than anything else.”