Netzwerke für die Digitalisierung

Alles zu Private-5G-Campusnetzen

07.03.2022
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Dr. Christof Gellweiler ist unabhängiger IT-Management Berater mit mehr als 25 Jahren Führungserfahrung in der ITK-Industrie. Er publizierte von 2017 bis 2022 neun wissenschaftliche Artikel im Bereich der strategischen IT Planung (Peer-Review, u.a. Information Systems Management) und ist Autor des IT Alignment Guide.
Private 5G-Netzwerke beschleunigen die digitale Transformation von Unternehmen und bilden die Grundlage für anspruchsvolle Industrie-4.0-Anwendungen. Das müssen Sie zum Thema wissen.
Vor allem im Industrieumfeld bieten 5G-Campusnetze zahlreiche Möglichkeiten.
Vor allem im Industrieumfeld bieten 5G-Campusnetze zahlreiche Möglichkeiten.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

Was sind private 5G-Netze (Private 5G)?

Die Mobilfunknetze der fünften Generation bieten sehr hohe Datenraten von bis zu 20 Gbit/s, extrem niedrige Latenzen (< 10 ms) und eine sehr hohe Verfügbarkeit (99,999%) für drahtlose Kommunikationsdienste. Weiterhin besteht die Möglichkeit, eine bisher unerreichte Anzahl von Endpunkten (Sensoren, Maschinen, autonome Fahrzeuge, etc.) gleichzeitig und zuverlässig über ein Netzwerk zu steuern (massive Internet of Things). Mit ihren Roaming-Fähigkeiten vereinfachen 5G-Netzwerke die Mobilität von verbundenen Menschen und Maschinen. Innerhalb und außerhalb von Gebäuden bleiben Kommunikationsverbindungen unter mobilen Endpunkten ununterbrochen erhalten, ohne dass es weiteren Authentifizierungen bedarf.

Mit diesen Fähigkeiten ist die 5G-Technologie prädestiniert für zukünftige digitale Anwendungen in Unternehmen, wie zum Beispiel fahrerlose Transportfahrzeuge, mobile Roboter, Verfolgung von Warenflüssen, Videoüberwachungen, virtuelle Realität. Zur Nutzung dieser Möglichkeiten können Unternehmen ihr eigenes 5G-Netz einrichten und betreiben. Die Chance, ein eigenes und somit privates Mobilfunknetz zu installieren, ist neuartig. Nationale Regulierungsbehörden haben dazu auf Basis von internationalen Konventionen dedizierte Frequenzbereiche für die 5G-Nutzung durch Unternehmen freigegeben. Im Jahr 2019 stellte die Bundesnetzagentur den Frequenzbereich von 3,7 bis 3,8 GHz für private 5G-Netze zur Verfügung. Aus diesem Spektrum können Unternehmen exklusive Frequenzzuweisungen für ihre 5G-Netzwerke beantragen.

Private 5G-Netze werden Unternehmen in verschiedenen Branchen, wie zum Beispiel Gesundheitswesen, Transport/Logistik, Energieversorgung, industrielle Fertigung, entscheidende Wettbewerbsvorteile bieten. Die Anwendungsfälle sind vielfältig und betreffen digitale Innovationen. Die Hersteller, Netzbetreiber und IT-Dienstleister arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung von 5G-Unternehmenlösungen. Die ersten Private-5G-Lösungen wurden in Deutschland bereits erfolgreich pilotiert und in den Wirkbetrieb überführt. Private 5G-Netze werden auch 5G-Campus-Netze, nicht-öffentliche 5G-Netze oder isolierte 5G-Netze genannt. Gegenüber öffentlichen 5G-Netzen zeichnen sie sich im Wesentlichen durch folgende Punkte aus:

  • Zuweisung von Frequenzen zur exklusiven Nutzung;

  • Einschränkung auf ein Areal des Unternehmens (Campus);

  • Eigenbetrieb der Netzwerkkomponenten; sowie

  • Design für spezifische Geschäftsanforderungen

Private 5G: Eigenschaften und Anwendungen

Die Organisationen, die 5G spezifiziert haben (3GPP und ITU), identifizierten drei Hauptmerkmale von 5G, die für verschiedene industrielle Anwendungsfälle genutzt werden können:

  • Enhanced Mobile Broadband (eMBB) ermöglicht höhere Datenraten zum Beispiel für hochauflösende Video-Objektüberwachung in Echtzeit, Veranstaltungen oder Orte mit hoher Anwenderdichte (z.B. Stadien, Konzerte, Bahnhöfe), Software-Downloads für Fahrzeuge, Übertragung von Diagnose-/Patientendaten zwischen Rettungswagen und Notaufnahme.

  • Massive Internet of Things (mIOT) bietet die Möglichkeit, bis zu eine Million Endpunkte pro Quadratkilometer anzusteuern. Diese Endpunkte (zum Beispiel Sensoren) haben einen sehr geringen Energiebedarf, da 5G-Netze auch schwache Signale verarbeiten können. Mögliche Anwendungsfälle sind Lieferverfolgung im Logistik-/Transportwesen oder die Gesundheitsüberwachung von Patienten in Kliniken.

  • Ultra-Reliable Low Latency Communication (URLLC), auch als kritische Kommunikation bezeichnet, betrifft Anforderungen an sehr niedrige Latenzen und hohe Zuverlässigkeit für die drahtlose Automatisierung von Produktionsprozessen ("Industrie 4.0"). Die Steuerung von mobilen Präzisionsrobotern oder die drahtlose Fernchirurgie sind weitere Beispiele für URLLC-Anwendungsfälle.

Darüber hinaus ermöglicht die MIMO-Technologie (Multiple Input, Multiple Output) die gleichzeitige Datenübertragung zwischen zahlreichen Sendern und Empfängern. In P5G-Netzen kann ein Gesamtverkehr von bis zu 1Tbps bei maximal 100.000 Verbindungen pro Quadratkilometer übertragen werden.

Private 5G bietet die Möglichkeit zum breiten Einsatz von Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) in der industriellen Produktion. Weiterhin kann die Anwendererfahrung bei Sport-/Kulturveranstaltungen, in Museen oder an Sehenswürdigkeiten mit AR/VR erweitert werden.

Flexible und offene Private-5G-Infrastrukturen

Private 5G-Netze erlauben sehr flexible Netzwerk-Infrastrukturen mittels Virtualisierung von Netzwerkfunktionen (Network Function Virtualization. NFV), software-definierten Netzwerken (SDN) und offenen Schnittstellen.

NFV bezieht sich auf software-basierte virtuelle Netzwerke, die von der darunter liegenden Hardware entkoppelt sind. 5G-Anwendungen werden auf virtuellen Maschinen und Kubernetes-Containern auf Basis von seriengefertigten Standard-Servern bereitgestellt. Die Netzwerk-Funktionen können zentralisiert in der Cloud installiert werden, wodurch kurze Implementierungszeiten als auch niedrige Investitions- und Betriebskosten erzielt werden.

Architekturen von traditionellen lokalen Netzwerken sind unflexibel und schwerfällig hinsichtlich Administration und Erweiterung. Steuerungsdaten werden in jedem Router und Switch verarbeitet und verteilen sich somit über das gesamte Netzwerk. Bei software-definierten Netzwerken werden Steuerungsfunktionen (Control Plane) von Transportfunktionen für Nutzerdaten (User Plane) getrennt. Mit SDN können diese Steuerungsfunktionen zentralisiert werden. Somit wird die Netzwerkadministration erheblich vereinfacht.

NFV und SDN sind komplementäre Technologien, die in 5G-Netzen eingesetzt werden. NFV trennt Software von Hardware, SDN trennt Steuerungsdaten von Nutzerdaten. Durch die Kombination beider Technologien lassen sich flexible Infrastrukturen realisieren, die funktionale und quantitative Änderungen im Netzwerk schnell und unkompliziert ermöglichen.

Basierend auf NFV- und SDN-Technologien bezeichnen Network Slices virtuelle Teilnetzwerke, die auf einer gemeinsam genutzten physischen Hardware betrieben werden und die mühelos bereitgestellt werden können. Network Slices können voneinander isoliert werden, sodass unerwünschte Auswirkungen (Verzögerung, Überlastung, Sicherheitsvorfälle) im Netzwerk begrenzt werden. Darüber hinaus können Network Slices an separate Benutzergruppen angepasst werden und unterschiedliche Datengeschwindigkeiten, Kapazitäten, Sicherheitsfunktionen und Service Levels bereitstellen.

Die großen 5G-Provider können gemanagte, unternehmensspezifische 5G-Services über die öffentlichen Netze anbieten (5GaaS), die Kombinationen mit bestehenden P5G-Strukturen erlauben. Verschiedene Hybrid-Modi können daraus entstehen, die sich im Wesentlichen durch die Eigentümerschaft der Infrastruktur, des "Frequenz-Besitzes" und des Betreibermodells definieren. Hybride Modelle erlauben Netzabdeckungen über den eigenen Campus hinaus und können verschiedene Unternehmensstandorte nahtlos miteinander verbinden.

Die Flexibilität der Private-5G-Architekturen ergibt sich auch mit dem "Anti-Proprietär"- Ansatz. Die Funktionen eines 5G-Netzes lassen sich grob in den Funk-Teil (Radio Access Network = RAN) und den Kern (5G Core) mit dem Netzwerk-Übergang einordnen. Im Funk-Teil gewinnt die sogenannte Open RAN-Architektur an Bedeutung. Diese basiert auf Virtualisierung, offenen Schnittstellen und Open Source Software. Die Server-Hardware für die RAN-Funktionen ist unabhängig vom Hersteller. Für die Virtualisierung werden vorzugsweise mit Container-Plattformen wie Kubernetes eingesetzt.

Wird Wireless LAN durch Private 5G ersetzt oder ergänzt?

Unternehmensarchitekturen umfassen typischerweise WLAN-Netzwerke. Die Frage ist, welche Rolle Private-5G-Lösungen neben existierenden WLAN-Unternehmensnetzen einnehmen. Wird Private 5G diese partiell oder sogar vollständig ersetzen? Oder wird Private 5G nicht benötigt, wenn man die neuen WLAN-Entwicklungen betrachtet?

Der IEEE-Standard für Wireless LAN 802.11ax, auch als Wi-Fi 6 bezeichnet, kann als konkurrierende Technologie zu Private 5G betrachtet werden, da sie vergleichbare Leistungsmerkmale bietet. Die Technik von Wi-Fi 6 bietet einen höheren Durchsatz und 75 % weniger Latenz im Vergleich zu Wi-Fi 5. Sie erhöht auch die Sicherheit (WPA-3) und verringert den Stromverbrauch von Benutzergeräten. Die maximale Datengeschwindigkeit von Wi-Fi 6 (9,6 Gbit/s) ist jedoch geringer als Private 5G (20 Gbit/s). Auch bezüglich Latenz und Zuverlässigkeit ist Private 5G gegenüber Wi-Fi 6 in Führung.

Neben den Performance-Aspekten bietet Private 5G funktionale Merkmale, die WLAN nicht oder nur unzureichend bieten kann. Zum Beispiel die stabile und nahtlose Konnektivität mit mobilen Anwendern (z.B. autonome Fahrzeuge oder mobile Roboter) über größere Flächen oder Strecken im Außenbereich. Die Datenrate zu den Endpunkten kann gesichert werden, auch bei zunehmender Anzahl von Endpunkten.

Entscheidend für die Wahl der drahtlosen Netzwerktechnologie sind die künftigen Geschäftsanforderungen und Anwendungsfälle des jeweiligen Unternehmens. Weitere relevante Faktoren sind Sicherheitsanforderungen, die bestehende Infrastruktur und das Applikationsportfolio. Die erforderlichen Investitions- und Betriebskosten bedürfen gründlicher Kalkulation und werden ein Hauptkriterium für oder gegen Private-5G-Projekte sein. Intensive technische und betriebswirtschaftliche Analysen sind in jedem Fall erforderlich.

Es ist davon auszugehen, dass private 5G-Netze mittelfristig neben Wi-Fi-Netzwerken in Unternehmen existieren werden. Diese Koexistenz bedarf weiterer technischer Entscheidungen. Wi-Fi und Private-5G-Netzwerke können sowohl separat (non-interacting) oder als auch zusammen (interworking) betrieben werden. Hybrid-Lösungen sind dabei ebenso möglich. (mb)

  • Die 5G-Technologie bietet Funktionen und Performance-Eigenschaften für Industrie 4.0-Anwendungen und weitere anspruchsvolle digitale Applikationen.

  • Unternehmen können auf ihrem Campus ein privates 5G-Netz selbst betreiben und nach eigenen Anforderungen konfigurieren.

  • Die Virtualisierung von Netzwerkfunktionen (NFV) und software-definierte Netzwerke (SDN) ermöglichen Network Slices, die von öffentlichen 5G-Providern angeboten werden.

  • Network Slices können mit Private-5G-Netzen kombiniert werden. Vielfältige Hybrid-Modelle sind möglich.

  • Private 5G steht im Wettbewerb mit Wi-Fi 6. Für Anwendungen mit sehr strengen Anforderungen an Datenrate, Latenz und Robustheit ist Private 5G unabdingbar.

  • Nutzen und Kosten der verschiedenen Lösungsoptionen sind unternehmensspezifisch zu bewerten. Den Investitionsentscheidungen sollten sorgfältige Analysen und Planungen vorausgehen.