Kolumne/

Alles unter Kontrolle

03.05.1996

Heinrich Vaske

Der Treue seiner Consumer-Kunden verdankt Microsoft es, dass Windows 95 inzwischen passable Verkaufszahlen aufweisen kann. Waeren die Unterschleissheimer in diesem Geschaeft auf ihre professionelle Klientel angewiesen, saehe die Zwischenbilanz betrueblich aus. Nach wie vor ist die Nachfrage aus Unternehmen eher lau, und erkundigt man sich nach namhaften Referenzkunden, huellen sich die Marketiers in beredtes Schweigen.

Was haelt die Kunden davon ab, auf Windows 95 umzusteigen? Die Frage ist falsch gestellt. Sie muesste lauten: Welchen Vorteil ziehen die Kunden eigentlich aus einem Upgrade? Zunaechst einmal fuehrt ein Wechsel unweigerlich zu Kosten, die unternehmensintern gerechtfertigt werden muessen. So hat das IT-Management fuer genuegend zusaetzlichen Speicherplatz zu sorgen, eventuell sogar neue Rechner anzuschaffen. Damit sich der Wechsel lohnt, ist ferner auf 32-Bit-Applikationen aufzuruesten; Utility-Programme muessen natuerlich auch her. Hinzu kommen Faktoren wie Training und Arbeitsausfall - neue Software braucht bekanntlich Eingewoehnungszeit.

All das waere zu verschmerzen, wenn der IT-Manager einen vernuenftigen Gegenwert fuer den Systemwechsel bekaeme. Als solchen koennte man beispielsweise Quantenspruenge in puncto Performance oder Produktivitaet am Arbeitsplatz nennen. De facto besteht jedoch kein grosser Unterschied zwischen Windows-3x- und 32-Bit-faehigen Win-95-Programmen. Ein rascher Umstieg ist durch nichts gerechtfertigt.

Bleibt Microsoft auf Windows 95 sitzen? Wohl kaum. Paradoxer- und aergerlicherweise hat es der Softwarekroesus selbst in der Hand, die Nachfrage anzukurbeln. Microsoft hat bekanntlich nicht nur den Betriebssystem-, sondern auch einen Grossteil des Applikationsmarktes fest im Griff. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis IT-Verantwortlichen keine andere Wahl bleibt, als den Umstieg einzuleiten. Intern werden sie dann argumentieren: "Dieses Programm gibt es ausschliesslich fuer Win 95", oder: "Das neue Release ist unter Win 95 viel frueher verfuegbar."

Hinzu kommt, dass die komplette Software-Industrie - der Begriff "unabhaengig" scheint hier nicht angebracht - die Herausbildung eines weiteren De-facto-Standards vorantreiben wird, indem sie neue Client-Loesungen ausschliesslich unter Windows 95 anbietet. Das juengste Beispiel ist die KHK in Frankfurt, die ihre neue Office- Line ausschliesslich fuer die Windows-95-Welt schreibt (siehe Seite 15).

Der einzige Kontrahent, den Microsoft fuerchten muss, ist Microsoft selbst: Die Ankuendigung, Windows 95 werde ueber kurz oder lang mit NT zusammenwachsen, hat nicht nur viele Anwender, sondern auch Teile der Software-Industrie verunsichert. Neueste Meldungen, nach denen der Anbieter ein einfaches Upgrade von Windows 95 auf Windows NT 4.0 Workstation ausschliesst, duerften die Irritation noch verstaerken. Dennoch muss Gates niemanden fuerchten - auch nicht IBM, Oracle und Sun, die Microsoft mit ihrem "dummen Network- Computer" wohl nicht mehr als ein Marketing-Gefecht liefern.