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Alles über Bluetooth

11.08.2000
Funktechnik schafft Mobilität und macht Schluss mit Kabelsalat

Von CW-Redakteur Martin Seiler

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Neuer Handlungsspielraum im LAN - diese Verheißung will die Kurzstreckenfunktechnik Bluetooth erfüllen. Nachdem Kinderkrankheiten wie Probleme mit Frequenzen, hohe Chippreise oder Störungen mit anderen Verfahren nahezu überwunden sind, scheint dem Siegeszug der kabellosen Technologie nichts mehr im Weg zu stehen.

Wer Computer sagt, muss heute meist auch Kabel sagen. Diese Maxime galt bislang – abgesehen von einigen Ausnahmen - zumindest dann, wenn es um die Verbindung von Rechnern und Peripheriegeräten ging. Doch damit könnte bald Schluss sein: Bluetooth, benannt nach dem dänischen König Harald Blatand, der vor etwa 1000 Jahren mehrere Gebiete zu einem Königreich einte, soll nun Geräte wie Drucker, Scanner, PCs, Handhelds oder Handys via Funk miteinander kommunizieren lassen.

Ganz neu ist die Idee nicht: Ähnliche Ziele verfolgen das von der Infrared Data Association (Irda) propagierte Verfahren Irda-Data, Home RF oder Dect Multimedia Access Profile (DMAP), das wie die schnurlosen Telefone im Heimbereich auf der Digital Enhanced Cordless Telephony aufsetzt (siehe Glossar).

Bluetooth ist sehr leistungsfähig: Unter anderem benötigt es keine Sichtverbindungen zwischen den an einer Kommunikation beteiligten Geräten, Übertragungen - sowohl im Punkt-zu-Multipunkt- als auch im Punkt-zu-Punkt-Modus - funktionieren auch durch festes, nichtmetallisches Material (etwa Wände) hindurch. Außerdem dürfen sich Sender und Empfänger in einer Entfernung von bis zu zehn Metern frei bewegen, während sie kommunizieren. Bis zu hundert Meter sollen möglich sein, wenn man die Ausgangsleistung des Senders entsprechend erhöht.

Die Technik

Bluetooth benutzt dabei das lizenzfreie Industrial-Science-Medical-Band (ISM) um 2,4 Gigahertz. Mit dem Verfahren ausgerüstete Geräte sind in der Lage, sofort miteinander Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich nahe genug beieinander befinden. Bis zu acht solcher Maschinen organisieren sich dabei automatisch zu so genannten Piconetzen, die eine der Einheiten als "Master" kontrolliert. Auch Piconetze können eine Gemeinschaft bilden, die laut Spezifikation Scatternet heißt. Bluetooth bietet akzeptable Werte für Übertragungen: So ist wahlweise asynchroner Datenverkehr mit 721 Kbit/s und 57,6 Kbit/s oder synchroner Betrieb mit jeweils 432,6 Kbit/s möglich. Außerdem stehen pro Einheit bis zu drei Sprachkanäle à 64 Kbit/s zur Verfügung.

Fester Bestandteil von Bluetooth sind Verschlüsselungs- und Authentifizierungsmechanismen. Zusammen mit dem zugrunde liegenden Frequenzsprungverfahren (pro Sekunde wird nach einem Schema, das Sender und Empfänger jeweils untereinander aushandeln, bis zu 1600-mal die Frequenz gewechselt) soll dies für ausreichend Sicherheit und Abhörschutz sorgen. Dabei ist die Bluetooth-Spezifikation so ausgelegt, dass der Stromverbrauch der für die Kommunikation notwendigen Chips gering ist. Lediglich ein Milliwatt benötigen die Funkeinheiten.

Probleme durch Interferenzen möglich

Störend können sich bei Übertragungen allerdings Babyüberwachungsgeräte, Garagentoröffner, schnurlose Telefone oder Mikrowellenherde auswirken, da diese zum Teil die gleichen Frequenzen benutzen. Experten des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) wiesen schon früh auf mögliche Interferenzen zwischen Bluetooth und anderen, im 2,4-Gigahertz-Bereich arbeitenden Funktechniken hin. So wird in einem Bericht vom September 1998 kritisiert, ein stark ausgelastetes Bluetooth-Piconet, das sich in der Nähe einer 802.11-Funk-LAN-Zelle befindet, habe "signifikante negative Auswirkungen" auf die Leistung dieser Station. Ein zweiter Bericht von November 1998 konkretisierte diesen Vorwurf: Demnach kann ein zur Hälfte ausgelastetes Bluetooth-Piconet die Übertragungsrate eines 11-Mbit/s-Funk-LANs auf 6,6 Mbit/s bremsen. Inzwischen wird jedoch intensiv an der Lösung dieses Problems gearbeitet: Eine spezielle Arbeitsgruppe des IEEE will bis März 2001 ein Ergebnis vorlegen.

Möglicherweise läuft es darauf hinaus, dass 802.11-Techniken für Übertragungen künftig das 5,8-Gigahertz-Band benutzen, wie es das Funk-LAN-Verfahren des Anbieters Radiolan bereits heute tut. Christina Björknader, Marketing- und Communications-Manager bei Ericsson, glaubt indes nicht an ernsthafte Frequenzprobleme: "Bluetooth wird sich gegenüber anderen Verfahren behaupten, weil es die Frequenz so schnell wechseln kann."

Drahtlose Privatnetze werden machbar

Trotz der bereits erwähnten Option, die Reichweite von Bluetooth-Sendern auf bis zu 100 Meter auszudehnen, gelten als vornehmliches Einsatzziel des Verfahrens die Wireless Personal Area Networks (WPANs). Die IEEE-Arbeitsgruppe 802.15 konzentriert sich auf die Standardisierung der hierfür in Frage kommenden Technologien. Ihr Vorsitzender, Bob Heile, erklärt: "Es geht uns um die globale Einsatzmöglichkeit von WPAN-Technologien. Reisende sollen Geräte auf Basis von 802.11 und Bluetooth grenzüberschreitend nutzen können, auch in Autos, Flugzeugen oder Schiffen."

Deswegen will die 802.15-Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Bluetooth SIG einen Standard entwickeln, der WPANs und Bluetooth vereint - Basis der Arbeit soll die Spezifikation 1.0 von Bluetooth sein. Noch in diesem Sommer dürfte ein erster Entwurf vorgelegt werden, mit der endgültigen Verabschiedung der Norm ist frühestens im Frühjahr 2001 zu rechnen.

Technik der Zukunft?

Die Analysten von West LB Panmure sind überzeugt, dass Bluetooth aus dem Rennen um die drahtlose Vernetzung als Sieger hervorgehen und Verfahren wie Dect, Home RF oder IEEE 802.11 auf die Plätze verweisen wird. Die unkomplizierte Netzfähigkeit, die Möglichkeit, sowohl Sprache als auch Daten zu übertragen, vor allem aber die breite Unterstützung durch die Industrie sprechen aus Sicht der Auguren dafür. Frost & Sullivan glaubt, dass der Markt für Bluetooth-Technologien bis zum Jahr 2006 eine jährliche Zuwachsrate von 63,4 Prozent verspricht. Während die Mehrzahl der Auguren Bluetooth vor allem Zukunftsaussichten im Bereich der Endkonsumenten gibt, glaubt Nigel Deighton von Gartner, dass sich das Verfahren zunächst in Unternehmen durchsetzen wird: "Firmenkunden werden Bluetooth-PC- Karten und –Handys einsetzen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und den Kabelsalat loszuwerden."

Denkbar wäre etwa, dass einem reisenden Manager eine via Handy eingehende E-Mail direkt auf seinen Laptop-PC übertragen wird. Dabei kann dank Bluetooth das Handy in der Jackentasche stecken oder in der Aktentasche liegen, während der Rechner auf dem Tisch steht. Weitere mögliche Einsatzgebiete sind die automatische Bildübertragung von einer Digitalkamera zu einem Drucker oder kabellose Kopfhörer, die nicht nur Signale vom Handy, sondern auch von der Stereoanlage empfangen können.

Alle, alle machen mit

An dem Umsatz-Boom, den Bluetooth verspricht, wollen Hersteller aus verschiedenen DV-Bereichen teilhaben. Handheld-Spezialist Palm beispielsweise, dessen Geräte derzeit noch fast alle mit Infrarot-Schnittstellen ausgestattet sind, hat bereits Pläne zur Integration der Technologie in der Schublade. Für Carl Yankowski, Chief Executive Officer (CEO) des Anbieters, stellt das Funkverfahren eine "wichtige Zukunftstechnik" dar, vor allem wegen der Interoperabilität mit anderen Geräten. Er glaubt etwa, dass Handys als eine Art Kommunikations-Server für Bluetooth-Palms dienen und somit aus diesen intelligente Terminals machen könnten. Microsoft hat sich nach anfänglichem Zögern dazu entschlossen, Bluetooth-Erweiterungen in seine Betriebssysteme zu integrieren, und Chipriese Intel verspricht, im nächsten Jahr PC-Hauptplatinen mit Bluetooth-Modulen zu liefern. Auch Computerhersteller Dell definiert Bluetooth als einen "wichtigen Teil unserer Strategie im Bereich kabellose Netze, besonders im Bereich von Mobil- und Arbeitsplatzrechnern".

Bluetooth SIG

Hinter Bluetooth steht eine Special Interest Group (SIG), die Anfang 1998 von Intel Corp., Ericsson Telephone Co., Nokia Corp., IBM Corp. und Toshiba Corp. ins Leben gerufen wurde. Schnell wuchs die Interessengemeinschaft, der inzwischen weltweit mehr als 1800 Unternehmen angehören. Sie hat letztes Jahr Version 1.0 der Bluetooth-Spezifikation vorgelegt. Die SIG hofft, möglichst noch in diesem Jahr Bluetooth 2.0 abzuschließen.

Es scheint demnach, als habe Bluetooth seine Kinderkrankheiten endlich überwunden. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als könnten die anfänglich noch sehr hohen Preise für Bluetooth-Chips die Technologie bremsen. Zwar war es von Beginn an erklärtes Ziel der Bluetooth-SIG, die Produktionskosten der notwendigen Kommunikationsprozessoren auf ein Niveau von etwa fünf Dollar pro Stück zu bringen. Die Realität belehrte aber eines Besseren. Erst vor wenigen Monaten warnten Analysten, etwa Richard Duffy von der englischen ARC Group, dass die Chips noch längere Zeit 100 Dollar kosten und deshalb am Markt scheitern würden. Erst 2003 würden die Komponenten zu massenmarktkompatiblen Preisen verfügbar sein. Gemäßigter äußerte sich Joyce Putscher, Director Consumer und Converging Markets bei der Cahners In-Stat Group. Die Analystin ging immerhin von Preisen "um die 20 Dollar" aus. Doch die englische Firma Cambridge Silicon Radio hat jetzt für September die Single-Chip-Bluetooth-Lösung "Bluecore 01" angekündigt, deren Preis bei 8,20 Dollar liegen soll.

Auch für ein anderes Problem hat sich inzwischen eine Lösung gefunden. In Frankreich, benutzt das Militär Frequenzen im Bereich zwischen 2400 und 2483,5 Gigahertz für Kommunikationszwecke – Bluetooth hätte dort nicht ohne weiteres eingesetzt werden können. Die für die Vergabe von Frequenzen zuständige Agence Nationale des Fréquences (ANFR) teilte im Juli mit, dass die Streitkräfte auf andere Frequenzbereiche ausweichen werden, so dass die genannten Frequenzen ab dem 1. Januar 2001 für Bluetooth zur Verfügung stehen.

Nachdem die drahtlose Technik schon mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde (unter anderem erhielt das Verfahren auf der Comdex 1999 den Best of Show Award), wird es nun höchste Zeit für marktreife Produkte. Prototypen hat es schon genug gegeben - jetzt muss der Standard seine Alltagstauglichkeit in der Praxis beweisen.