Kolumne

"Alles Kaffeesatzleserei?"

12.09.2003
Christoph Witte Chefredakteur CW

Der Anfang und das Ende jeder Prognose ist die Marktrealität. Von ihr ausgehend, versuchen Auguren die Zukunft hochzurechnen. Die verschiedensten Parameter und Einflussfaktoren werden herangezogen, um das nächste Quartal, Jahr oder Jahrzehnt vorherzusagen. Ob die Orakel richtig sind, scheint niemanden zu interessieren. Zumindest gibt es wenig Unternehmen und Medien, die konsequent nachprüfen, ob eine Vorhersage eingetreten ist oder nicht.

Darauf kommt es auch gar nicht mehr an. So paradox es klingt, positive wie negative Prognosen beeinflussen den Markt unabhängig von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens bereits zum Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe sehr stark. Sie beflügeln den Börsenkurs bestimmter Anbieter oder lassen ihn absacken. Vom Börsenkurs - also dem Vertrauen der Aktionäre in eine bestimmte Firma - hängt bis zu einem gewissen Grad die Produkt- und Vermarktungsstrategie eines Unternehmens ab, und die wirkt sich wiederum direkt auf das Verhalten der Käufer aus. Das setzt sich fort bis hin zur Nachfrage nach einer bestimmten Produktgruppe. Meldet beispielsweise IDC, dass der Markt für Wireless LANs im nächsten halben Jahr anzieht, gehen die Kurse von Cisco und Co. nach oben. Große Anwender könnten daraufhin beschließen, ihre Mobil-Computing-Strategien schneller umzusetzen als geplant - aus Angst, die Konkurrenz könnte ihnen zuvorkommen und so den Wettbewerbsvorteil zunichte machen, den sich das Unternehmen vom Einsatz der neuen Technologie versprochen hat. So etwas nennt man eine sich selbst erfüllende Prophezeihung.

Nach einer langen Reihe von negativen Voraussagen mehren sich zur Zeit die positiven Prognosen für den IuK-Markt (siehe Seite 26, "Im IT-Markt schalten die Ampeln auf grün") Insgesamt hat sich das wirtschaftliche Klima in Deutschland und Europa eindeutig verbessert. Die Unternehmen schätzen den Befragungen zufolge nicht nur die künftige Marktentwicklung stabiler ein, sondern auch ihre heutige Lage erscheint ihnen besser als in den vergangenen Monaten. Diese noch sehr zarten Sprösslinge eines erneuten Wirtschaftswachstums wirken allerdings noch nicht auf die IT-Industrie. Dafür sind sie noch zu frisch.

Was jetzt noch fehlt, um den Stein ins Rollen zu bringen, ist allerdings keine neue Prognose, sondern eine reale Stabilisierung der Aufwärtstendenzen.Erst wenn der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung wirklich spürbar ist, die jetzigen Prognosen quasi real geworden sind, investieren die Unternehmen wieder in IT. Grund zum Geld ausgeben gibt es genug. Ersatzbeschaffungen in Hardware und Releasewechsel bei Software stehen genauso dringend an wie Konsolidierungsprojekte und Investitionen in Netze und Infrastruktur. Nur das Vertrauen muss sich noch einstellen.