Alles gesagt und geschrieben?

08.04.1994

Eigentlich ist es muessig, darueber zu reflektieren, ob ein Mann wie Bill Gates noch weiss, was er will. Er kann sich als vielfacher Milliardaer Traeume schlichtweg leisten und sie seien ihm auch gegoennt. Gestern die Mahnung, die Telekommunikation und in ihrem Schlepptau die gesamte Multimedia-Branche nicht nur als Vehikel fuer Unterhaltungselektronik zu missbrauchen, heute die Eroberung des Weltalls, um 500 TV-Programme ausstrahlen zu koennen - mangelnde Flexibilitaet kann dem Microsoft-Chef wahrlich nicht nachgesagt werden. Entscheidendes Motiv duerfte fuer Gates, wenn ihm sein Gespuer fuer lukrative Geschaefte nicht voellig abhanden gekommen ist, aber letztlich sein, dass er, wo auch immer und wie auch immer, am Multimedia-Boom mitverdienen will.

Was indes von der ungebrochenen Euphorie in diesem Zusammenhang und den meist nur ansatzweise zu Ende gedachten digitalen Zukunftszenarien zu halten ist, ist laengst gesagt und geschrieben worden - nicht nur an dieser Stelle. Die sogenannten Business- Customer haben, zumindest in Europa, mit ueberteuerten Mietleitungen, ISDN-Schittstellen-Chaos und Monopoldiskussion in jedem Fall andere Sorgen - ganz zu schweigen vom Tagesgeschaeft in Sachen Internetworking und Client-Server-Computing.

Andererseits hilft es wenig, den Consumer-Markt zu verteufeln, der - ob man es will oder nicht - zum Motor einer sich gravierend veraendernden Informationsgesellschaft werden wird. Das kuenftige multimediale Endgeraet duerfte jedenfalls, egal ob im Buero oder im Wohnzimmer, das gleiche sein; und Dienste wie Video on demand oder Teleshopping sind halt mal am schnellsten zu realisieren. Bleibt noch die Frage zu klaeren, wer das Ganze in Form von Breitband-ISDN beziehungsweise Fibre to the home bezahlen soll, was im Moment allerdings alles andere als beliebt ist.

Ungeklaert ist aber auch noch ein anderer Aspekt, naemlich der der gesellschaftspolitischen Relevanz neuer Technologien. "Vor 140 Jahren sagte der amerikanische Schriftsteller und Sozialkritiker Henry David Thoreau, als ihm zu Gehoer kam, dass Texas und Maine nun bald durch eine Telegrafenleitung verbunden wuerden: Und was ist, wenn sich Texas und Maine gar nichts zu sagen haben?", heisst es in einem Leserbrief an das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Dass derlei Bedenken bei der immer groesser werdenden Gemeinde der Internet- und Compuserve-Euphoriker, die den weltweiten Austausch von E-Mail-Nachrichten bereits als Einstieg in das neue Informationszeitalter feiern, auf bares Unverstaendnis stossen, mag man als harmlosen Streit zwischen Romantikern und Techno-Freaks abqualifizieren. Dennoch sollten Fragen dieser Art erlaubt sein - und zwar jetzt, und nicht erst, wenn es zu spaet ist. Denn, dass man nicht alles benoetigt, was technisch realisierbar ist, weiss man inzwischen wenigstens.