Alles anders: Entwicklung, Lizenzierung, Distribution, Konfiguration Java soll den Umgang mit den Anwendungen revolutionieren

01.12.1995

MUENCHEN (ws) - Noch gibt es fuer die Programmiersprache "Java" des Workstation-Herstellers Sun Microsystems Computer Corp. nicht einmal Entwicklungswerkzeuge, die das Betastadium verlassen haben. Trotzdem reissen sich schon zahlreiche Interessenten um Lizenzen fuer das Produkt. Auch Anwender scheuen sich nicht, Applikationen mit Alphaversionen der vielversprechenden Programmiersprache zu entwickeln.

Was als Entwicklungswerkzeug fuer Internet-Anwendungen seinen Anfang nahm, droht nun die vielbeschworene Rueckkehr der Terminals zu unterstuetzen: Angesichts der Plaene von Oracle und IBM fuer preisguenstige Interpersonal Computer (IPC) bietet sich Suns Entwicklungswerkzeug ploetzlich als Technologie an, mit der die dazu passenden, verteilten Applikationen erstellt werden koennen.

Tatsaechlich beschreibt Andreas Hofmann von der deutschen Sun- Niederlassung die Strategie des Workstation-Herstellers als Suche nach "Bandbreite statt Rechenleistung" - leistungsfaehige Netzwerke und nicht rechenstarke Client-PCs sollen das Computing der Zukunft bestimmen.

Allerdings hat Java mehr zu bieten, als den Desktop-Anwender um seine Selbstaendigkeit zu bringen. Vorerst scheitern Konzepte, die auf hohe Datenuebertragung statt auf Rechenleistung der Clients setzen, daran, dass die benoetigte Bandbreite in den wenigsten LANs, geschweige denn im Internet vorhanden ist.

Trotzdem muss Sun wohl auch in den naechsten zwei bis drei Jahren nicht wegen mangelnder Nachfrage nach Java besorgt sein. Dessen Faszination ruehrt vor allem daher, dass es als interpretierte Sprache unabhaengig von Betriebssystemen ist. Zudem verwischt Java wegen der Abstraktion von Netzwerkprotokollen und Dateisystemen aus der Sicht des Programmierers wie des Anwenders die Grenzen zwischen Desktop, LAN und Internet. Wenn sich Softwarekomponenten statt auf der lokalen Festplatte auf der anderen Seite des Atlantiks befinden, entsteht dem Entwickler kein zusaetzlicher Aufwand, und fuer den Anwender macht sich die Entfernung derzeit nur durch geringere Performance und hoehere Telefonkosten bemerkbar.

Aufgrund dieser Flexibilitaet hat Suns Technologie das Zeug dazu, sich zuerst bei Desktop- und LAN-basierten Anwendungen durchzusetzen. Seine Eignung dafuer will Sun mit der Entwicklungsumgebung "Java Development Environment" beweisen, die vollstaendig in Java programmiert ist; Borland International beschreitet mit dem Java-Entwicklungs-Tool "Latte" den gleichen Weg.

Freilich stellt sich Sun mit Java nicht direkt gegen Microsofts Herrschaft ueber den Desktop. Obwohl sich das Internet als Medium fuer verteilte Applikationen derzeit noch wenig eignet, liegt Sun vor allem daran, Java dort fruehzeitig als Standard zu etablieren. Sobald sich im Internet die noetigen Uebertragungsgeschwindigkeiten erzielen lassen und Suns Programmiersprache sich bis dahin als Standard fuer verteilte Anwendungen etabliert hat, verlieren Desktop-Betriebssysteme und davon abhaengige Applikationen von selbst an Bedeutung.

Mit Netscape hat der Workstation-Anbieter bereits die fuehrende Internet-Company fuer Java gewonnen. Anwender der Betaversion 2.0 von Netscapes Web-Browser koennen auf der Home-Page von Sun http://java.sun.com durch einfaches Klicken mit der Maus Java- Applets aktivieren. Diese werden vom Web-Server abgearbeitet, um die Bildschirmdarstellung muss sich der lokale Rechner kuemmern. Diese Art der Arbeitsteilung ist in Unix-Umgebungen nichts Neues: X-Server fuer PC-Systeme funktionieren nach dem gleichen Muster. In welche Richtung die Zusammenarbeit zwischen lokalem Rechner und Internet-Server gehen soll, zeigt die Ausschreibung eines Java- Projekts in den USA: Dort soll eine Internet-Textverarbeitung entwickelt werden, die den PC von schwergewichtigen Windows- Programmen entlasten soll. Fuer die Erstellung von Texten braucht der Anwender dann nur mehr einen Java-faehigen Web-Browser.

Auch wenn Java in der Internet-Gemeinde allgemein positiv aufgenommen wird und Veranstaltungen zu diesem Thema auf grosses Interesse stossen, so befindet es sich doch erst am Anfang seiner Entwicklung. Es fehlt derzeit noch an ausgereiften Entwicklungswerkzeugen, an Programmierern mit Java-Erfahrung und Modulen fuer Datenbank-Zugriffe. Die Zeit, die Java noch benoetigt, um diese anfaenglichen Defizite zu ueberwinden, wird die Konkurrenz, allen voran Microsoft, nicht ungenuetzt verstreichen lassen.

Der Softwareprimus aus Redmond hat in Sachen Internet einigen Nachholbedarf. Produkte, die Microsofts Internet-Strategie bestimmen sollen, befinden sich durchweg in einer fruehen Entwicklungsphase oder sind erst angekuendigt. Fuer verteilte Applikationen setzt Microsoft auf OLE, das Internet sieht die Gates-Company als Plattform fuer verteilte OLE-Komponenten.

Freilich stossen diese Ambitionen im Internet, wo Offenheit einen hohen Stellenwert hat, auf Widerstand: OLE ist eng an Windows gebunden und nur auf den Plattformen verfuegbar, die Microsoft fuer wichtig haelt. Derzeit sind dies alle Spielarten von Windows und der Macintosh, wo ausser Microsoft mit seinen Office-Anwendungen aber keiner der etablierten Software-Anbieter Gebrauch von OLE macht. Da Microsoft mit OLE ins Internet will, ueberrascht es wenig, dass es neben dem geplanten Publishing-Tool mit dem Codenamen "Blackbird" wieder alte Bekannte wie Visual Basic ins Spiel bringen will.