Daß Deutschland in Zukunftstechnologien schwachbrüstig ist, kommt nicht von ungefähr:

Allerhand Sand im Innovationsgetriebe

18.01.1985

In Deutschland wurde, vor mehr als 40 Jahren von Konrad Zuse, zwar der erste funktionsfähige Computer der Welt gebaut (die klassische "Z3"). doch heute importiert dieses Land Großrechner aus den USA und aus Japan und Kleinrechner aus Japan und den USA.

Das mag vielleicht ein wenig überzeichnet sein, aber dennoch findet wenig Widerspruch, wer in Fachkreisen sagt: Mit Deutschlands Innovationsstärke ist es, wenigstens auf dem Felde der sogenannten High-Tech-Zukunfts-Industrien (wie Informatik, Mikroelektronik und dergleichen mehr), nicht allzuweit her. "

Woher dieser beklagenswerte Zustand wohl unter anderem kommen mag, machte kürzlich ein erfahrener Praktiker aus dem Hochschulbereich deutlich.

Dr. D. Seitzer, der Inhaber , des Lehrstuhls' für Technische Elektronik. in Erlangen, sprach auf einem Festkolloquium, das die Firma IBM in ihrem neuen Bildungszentrum in Herrenberg nahe Stuttgart zu Ehren des langjährigen Spitzenwissenschaftlers Professor Dr. Otto G. Folberth veranstaltete. Folberth, der als einer der Väter der modernen Halbleiterei geehrt wurde, feierte im November seinen 60. Geburtstag und selbst der große Saal reichte in Herrenberg bei weitem nicht aus, all jene zu fassen, die ihm an jenem Tage die Ehre geben wollten.

Deutlicher Rückstand gegenüber Japan und USA

Doch zurück zu Seitzer, dessen Referat den Rahmen der ansonsten eher auf die engeren Fachprobleme der Chipkundigen abgestellten, übrigen Vorträge sprengte, denn er sprach zwar zum Thema "Braucht Großintegration eine neue Hochschule", schlug dabei aber einen weiten Bogen, der vielerlei Einzelaspekte der - dringend nötigen - Kooperation Forschung-Lehre-Staat-Industrie umschloß. Am Anfang dieses Bogens stand eine Anklage.

Wir haben, mahnte Seitzer, in der Bundesrepublik beim "Verbrauch von Mikroelektronik" einen deutlichen Rückstand gegenüber Japan und den USA und auch die Deckung des Mikroelektronik-Eigenbedarfs gelingt zur, Zeit nur zu 30 Prozent aus eigener Produktion. Ferner werden in den USA und Japan zehnmal soviel Ingenieure ausgebildet als bei uns, während wir uns hier, woran allerdings auch die derzeitige Überlastung des Bildungssystems durch geburtenstarke Jahrgänge Schuld ist, den Luxus leisten, pro Student in realem Geldwert nur noch 60 Prozent dessen aufzuwenden, was noch 1975 ausgegeben wurde.

Wie knapp diese Gesellschaft ihre Hochschulen, die ja die Innovateure von morgen ausbilden sollen und die auch Forschung für heute treiben wollen, wirklich hält, rechnete Seitzer unter anderem so vor: Allein wenn man mit bloß (unrealistischen) zehn Prozent jährlich Abschreibung für Großinvestitionen wie etwa Computerzentren kalkuliert, müßten die Investitionsetats für derartige Anschaffungen bis zu vierfach höher als heute angesetzt werden. Doch diese zehn Prozent Abschreibung seien ohnedies sehr bescheiden angesetzt, bedenkt man, daß in der Wirtschaft mit allenfalls drei Jahren Abschreibungsfrist für die modernen, ja sehr rasch veralteten Rechner kalkuliert werde.

Da es aber nun einmal dem Staat an Geld mangele, führt Seitzer fort, werde es wohl unvermeidlich sein, die unumgänglichen Investitionen in aufwendige Maschinerie auf wenig Universitäten zu konzentrieren. Das allerdings sei nur auf den ersten Blick eine gute Lösung, denn die Folge einer derartigen Schwerpunktbildung sei es natürlich, daß künftig wohl kaum mehr alle Diplome "gleichwertig" sein könnten.

Danaergeschenk Auftragsforschung

An dieser Stelle könnte nun der Gedanke aufkeimen, es täte den Hochschulen doch sicher gut, würde die Industrie ihnen "Drittmittel" etwa in Form von Forschungsaufträgen und so weiter zuführen. Doch so gern diese Mittel auch oft akzeptiert würden - sie haben auch eine Kehrseite. Denn, so Seitzer, solche Forschungen belasten ihrerseits ja nun wieder die ohnedies schon angespannte Infrastruktur der Hochschulen - vom Sekretariat bis zur Institutswerkstatt. Ob da für die Uni netto immer ein Plus

übrigbleibt " ?

Doch Seitzer sprach nicht allein über Hochschulen, er faßte sein Thema erheblich weiter. Will man, fuhr er fort, heute die kapitalintensive Mikroelektronik voranbringen, so bedarf es dazu der Investitionskraft von Großunternehmen" - nur eben leider seien jene "zu wenig beweglich und zu wenig innovativ". Andererseits gebe es zwar bewegliche, flexible Klein- und Mittelbetriebe (KUM), aber jenen fehle es leider oft nicht allein an Kapital, jene litten auch noch unter deutlichen Know-how-Lücken.

Der ganze Komplex Innovation wird von vielen Seiten her beeinflußt. So einmal von den Unternehmern, zu denen der Referent anmerkte, angestellte Manager scheuten leider allzuoft die Risiken innovativen Handelns, so von Gewerkschaftlern - "die sind zu sehr auf die negativen Folgen der Rationalisierung fixiert und sehen zu wenig die gleichzeitig sich bietenden Chancen' - und so auch von der Finanzwirtschaft: Diesem Kreise, repräsentiert in erster Linie von Banken und Versicherungen, attestierte Seitzer eine typische "Immobilienmentalität"; von jenen Leuten würden zum Beispiel für Innovationen so entscheidend wichtige Komponenten wie Ideen und Know-how kaum jemals sachgerecht bewertet. Wen soll da der allgemein kritisierte innovative Immobilismus noch lange wundern?

Geld fließt nun, Gehirne aber fehlen

Hatte Seitzer anfangs von drückender Knappheit an Mitteln gesprochen, so verschob er später den Akzent ein wenig. Denn, so räumte er ein, Kapital zum Ankurbeln zukunftsträchtiger Projekte scheine ja nun langsam zu fließen - aber dafür stelle sich nun die Frage, wo nehmen wir die nötigen Gehirne für die anzupackenden Aufgaben her? - Eine Frage, die unter anderem, wohl auch zu einem Überdenken der heutigen Ausbildungssituation Anlaß gibt.

Hierzu äußerte der Erlanger Wissenschaftler sich ziemlich eindeutig: wollen wir tüchtige junge Ingenieure und Wissenschaftler heranbilden, so müssen wir bei der Ausbildung davon abgehen, mehr oder weniger das pure Nachahmen und Auswendiglernen zu belohnen, und dafür die aktive Selbstbildung der Studenten fördern, sie sollen ohne Gängelung ihre Kreativität von entwickeln können und an den Schulen schon an selbständiges, quasi unternehmerisches Handeln gewöhnt werden. Oder auch, etwas konkreter und praxisbezogener formuliert: Junge Ingenieure und Informatiker sollten geistig nicht allein auf die spätere Übernahme von Angestelltenpositionen hin geformt werden, sondern die Schulen täten besser daran, in ihnen spätere Unternehme zu sehen und die Ausbildung in dieser Richtung unter anderem auch dadurch zu modifizieren, daß man ihnen auch elementare Kenntnisse, die ein Unternehmer heute unbedingt benötigt, vermittelt. Eine Forderung, in deren Sinne schon heute beispielsweise an der berühmten ETH Zürich allerhand geleistet werde.

Mit dem Ziel einer größeren Praxisnähe der Hochschulausbildung forderte Seitzer auch, es sollte fortan mehr das Arbeiten in Teams eingeübt werden und die Hochschulen sollten den Studenten ruhig auch Gelegenheit geben, Konzept sogar bis hin zum Bau von Prototypen voranzutreiben: So dürfte wohl das Gespür für das, was wirklich machbar sein wird und umgekehrt für jenes, was bloß eine schöne akademische Seifenblase ist, verfeinert werden.

Wer will, daß unser Land wieder mit etwas lauteren Instrumenten im internationalen Technologieorchester mitspielen kann, wird sicher auch die Mahnung des Praktikers unterstreichen, nicht nur die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der schon im Berufsleben stehenden Wissenschaftler und Ingenieure sei dringend zu fördern - hier sieht Seitzer eine große Aufnahme für die einschlägigen Verbände und Fachgesellschaften - sondern man müsse der Jugend auch mehr Gelegenheit zu Aufenthalten und Studien im Ausland geben. Schließlich ist Technik heute ja etwas internationales.. Allerdings: Wer A sagt, muß auch B sagen - und in diesem Fall heißt das, daß wir dann aber auch dafür sorgen müssen, daß wertvolle Auslandserfahrungen, die ja nicht umsonst sind und die ja noch ohne ein gewisses Karriere-Risiko des einzelnen erwerbbar sind, auch anerkannt und honoriert werden.

Im ersten Moment wie ein vertrauter Gemeinplatz, klang Seitzers Aufforderung, der Technologie- und auch Personaltransfer von den Unis zu den oben erwähnten KMUs müßte besser organisiert und allgemein intensiviert werden. Doch dann folgte ein leider nur selten vernehmbares Eingeständnis. "Nach meinen Erfahrungen", so der Referent, ist es oft so, daß manche Hochschullehrer selber durchaus Schwierigkeiten haben, diesen - Unruhe ins Haus bringenden - Technologietransfer wirklich, von und ganz zu akzeptieren."

Was aber natürlich nicht ganz von ungefähr kommt. Denn, so wandte Seitzer sich der anderen Seite solcher Partnerschaften zu, wir erleben immer wieder, daß gerade kleine und mittlere Unternehmen @