Materna-Chef im Interview

"Alle fragen sich, warum es nicht schneller geht"

02.02.2023
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

"Die souveräne Cloud entwickelt sich gerade erst"

Nun haben die Hyperscaler aber einen enormen Entwicklungsvorsprung. Reichen die Angebote der regionalen Cloud-Anbieter funktional aus, um zukunftsfähige Lösungen für Behörden zu realisieren?

Wibbe: Es ist zu früh, darüber eine Aussage zu treffen, das Thema souveräne Cloud entwickelt sich gerade erst. Es gibt Bestrebungen und Konsortien, die daran arbeiten, mehr Traktion herzustellen. Wir sehen da auch Chancen für die von uns entwickelten Lösungen, den Government Site Builder etwa, den wir aus der Cloud heraus betreiben können. Das wird eines der großen Themen: neue Technologien sicher in der Cloud bereitstellen.

Kommen wir zu Materna selbst. Sie gelten als der Prototyp des mittelständischen Softwarehauses. Welche Ambitionen haben Sie? Was ist die kritische Größe die Ihnen für Materna vorschwebt?

Wibbe: Wir haben 2021 unsere Mission 2025 veröffentlicht. Dann wollen wir 700 Millionen Euro Umsatz erreichen bei ungefähr 5.000 Mitarbeitenden. Das ist unsere Hochrechnung: So viele Beschäftigte werden wir brauchen, um dieses Umsatzziel zu erreichen. Anfang 2023 kann ich mit einem bisschen Stolz behaupten: Wir sind hier auf einem sehr guten Weg! Wir haben trotz der gegenwärtigen Krisensituation mutig geplant und werden wohl auch in diesem Jahr um rund 20 Prozent wachsen.

Wollen Sie organisch wachsen oder zukaufen?

Wibbe: Bis 2021 sind wir weitgehend organisch gewachsen. Im letzten Jahr haben wir dann aber vier Unternehmen zugekauft: Trebing & Himstedt als Spezialanbieter für das Thema Manufacturing, die haben wir bei unserer auf SAP-Themen spezialisierten Tochter cbs angesiedelt. Dann TraffGo Road als Experten für Verkehr und Mobilität, die Virtual Solution AG mit der Lösung SecurePIM für den Schutz der ultramobilen Kommunikation und Radar Cyber Security mit Sitz in Wien für unser Angebotsportfolio im Bereich Cybersicherheit.

Da haben wir um die 40 Millionen Euro an zusätzlichem Umsatz eingekauft und rund 300 neue Mitarbeiter dazu bekommen. An der Strategie, auch durch gezielte Zukäufe zu wachsen, wollen wir festhalten.

Zweistelliges Wachstum für Materna - in Krisenzeiten

Materna bietet ja einen ziemlichen Kessel Buntes an. Wo ist denn die rote Linie in Ihrem Portfolio?

Wibbe: Kessel Buntes hat noch keiner gesagt, aber es stimmt schon, wir sind breit aufgestellt. Das ist ein bisschen Fluch und Segen zugleich. Segen, weil wir durch die Diversifikation besonders widerstandsfähig sind und unseren Kunden ein breites Lösungsportfolio anbieten können. Trotz aller Krisen um uns herum haben wir es geschafft, zweistellig zu wachsen, unseren Mitarbeiterstamm auszubauen und erfolgreich am Markt zu agieren.

Auf der anderen Seite stellt sich aber natürlich die Frage: Wofür steht Materna als Gruppe eigentlich? Unsere Tochter cbs zum Beispiel ist mit ihren SAP-Services fokussiert auf Unternehmen im Bereich diskrete Fertigung und Prozessindustrie, und das weltweit. Dann haben wir unser rein deutsches Geschäft mit der öffentlichen Verwaltung, da wollen wir bei allen Themen von der Registermodernisierung über Fachverfahrensentwicklung und föderale Datenhäuser bis zu OZG mit eigenen Lösungen helfen. Und schließlich planen wir mit unseren Digital Industry Solutions den Industriesektor ein gutes Stück weiter zu bearbeiten. Wir wollen hier zusammen mit den Hyperscalern Themen wie Digital Twin, Internet of Things, Automatisierung und künstliche Intelligenz vorantreiben.

Es gibt aber auch noch andere, übergreifende Themen wie Enterprise Service Management oder Cyber Security, in denen wir gut aufgestellt sind. Auch das sind für uns weiter Wachstumsthemen. Im Bereich IT-Sicherheit bieten wir End-to-End-Lösungen und auch Managed Services an. Sicher haben wir aber auch ein paar Themen im Angebot, etwa Materna Intelligent Passenger Solutions, wo wir wenige Synergien zum Rest des Portfolios erleben.

Will bis 2025 das Umsatzvolumen auf 700 Millionen Euro jährlich hochschrauben: Materna-Chef Martin Wibbe.
Will bis 2025 das Umsatzvolumen auf 700 Millionen Euro jährlich hochschrauben: Materna-Chef Martin Wibbe.
Foto: Materna

Steht Materna mitunter die eigene Historie im Weg? Ist ja nicht so einfach, sich von Geschäftsfeldern zu trennen, in denen Sie als Mittelständler langjährige Kunden haben, die Sie aber nicht wirklich weiterbringen.

Wibbe: Um das Beispiel der Intelligent Passenger Solutions noch mal aufzugreifen - manche Wettbewerber wären über ein mehr als 20 Jahre andauerndes, gut laufendes Geschäft zum Beispiel mit der Lufthansa sicher ganz froh, auch wenn es auf den ersten Blick nicht sonderlich modern wirkt! Von daher sehe ich das zunächst mal entspannt. Aber ich gebe Ihnen Recht, es ist natürlich wichtig zu schauen, wie man das Portfolio weiterentwickeln kann. Das stetige Innovieren und Differenzieren des Portfolios ist eine meiner Kernaufgaben, da arbeiten wir intensiv dran. Grundsätzlich muss man sich in der heutigen Zeit immer fragen: Wofür steht man und wie wollen wir uns künftig weiterentwickeln? Aktuell liegt der Fokus auf der Mission 2025. Ein wichtiger Baustein in der langfristigen Entwicklung zum Erhalt unsere Unabhängigkeit als Familienunternehmen.