L

All Stars are forever

13.02.2003
Von Theo Lieven
Aus Deutschland kommen keine Macher. Zumindest dann nicht, wenn es sich um die IT-Branche handelt. Sagt man. Wahr ist es nicht. Aus good old Germany kommen Gründer von weltweit erfolgreichen IT-Unternehmen, kommen Denker und Lenker.

Dieses Interview blieb in Erinnerung: Da saß er, Andreas von Bechtolsheim. Der Adelige aus dem Schwäbischen, der im Februar 1982 gemeinsam mit Scott McNealy und Vinod Khosla das Unternehmen Sun (Stanford University Network) Microsystems gegründet hatte, hockte hochkonzentriert im korrekten Business-Anzug vor dem Journalisten. Ihm gefiel, dass der Reporter seine Fragen fein säuberlich nach Themen auf einem DIN-A4-Blatt geordnet hatte. Das mutete den schon zu Ruhm, Ehren und Reichtum gekommenen Jungstar an wie geplantes Vorgehen, das roch nach klarer Zielvorgabe. Wie Recht er damit bei seinem Gegenüber haben mochte, sei einmal dahingestellt. Zielstrebigkeit jedenfalls kommt Andy, wie er gemeinhin genannt wird, sehr entgegen.

Techie-Wonderchild

Das ist aber nur das eine Gesicht des Überfliegers, der sich in ganz jungen Jahren beim Wettbewerb „Jugend forscht“ bewarb und dabei durchfiel. Der sich ein zweites Mal bewarb und wieder keine Meriten sammelte. Der beim dritten Mal ein Projekt zur Strömungsmessung mit Hilfe von Ultraschall vorstellte - und gewann. Ehrgeiz und Beharrlichkeit sind weitere Eigenschaften des Techie-Wonderchild aus good old Germany.

Noch etwas zeichnet ihn aus: Er kann nichts mit Marketing und Selbstdarstellung anfangen. Genau das machte seinen jugendlichen Charme aus. Kaum war also das Interview beendet, sprach von Bechtolsheim darüber, was wirklich wichtig ist: „Kommen Sie mal mit rüber an unsere neue Workstation. Da ist ein Flugsimulator drauf. Das müssen Sie gesehen haben, wie das abgeht.“

So spricht der Mann, der selbst im Land der unbegrenzten Technologiemöglichkeiten im Silicon Valley noch auffiel. Eigentlich wollte er, als er an der Eliteuniversität Stanford studierte, ja nur ein CAD-Programm schreiben, damit er darauf sein zu bauendes Haus entwerfen könnte. Von Bechtolsheim fand dann allerdings keinen Rechner, auf dem die Software gelaufen wäre. Also baute er den auch noch. Es wurde der erste Rechner von Sun Microsystems. Natürlich nur mit Komponenten von der Stange ausgestattet.

Sechs Jahre nach der Gründung und zwei Jahre nach dem Gang an die Börse setzte das Unternehmen bereits eine Milliarde Dollar um und avancierte - vorbei an dem heute längst vergessenen, 1989 von Hewlett-Packard geschluckten Workstation-Anbieter Apollo Computer - zum bedeutendsten Lieferanten von Tischrechnern für den technisch-wissenschaftlichen Bereich. Als ihm Sun zu etabliert wurde und die Entscheidungswege zu bürokratisch, zog sich von Bechtolsheim aus der ersten Linie der Manager zurück und fungierte als Vordenker im Hintergrund. Später gründete er seine eigene Netzwerkfirma, um dann aber zum dominierenden Weltmarktanbieter Cisco zu wechseln. Dort ist er heute als Vice President verantwortlich für die Gigabit Switching Group.

Machtbewusst? Nein danke!

Machtbewusst ist von Bechtolsheim nicht. Dafür, sagt er, sei er nicht extrovertiert genug. Geld spielt für ihn, so banal das klingen mag, als Motivationsschub ebenfalls keine Rolle (mehr): „Ob ich etwas mehr oder weniger Geld verdiene, ist doch mittlerweile egal. Ab einer bestimmten Menge kann man es eh nicht mehr ausgeben“, sagt Andy. Und komischerweise glaubt man ihm das.

Besonders schön hatte es für Eckhard Pfeiffer nicht begonnen: Die Schwanthaler Straße in Münchens Stadtmitte war zwar Compaqs erste Adresse in Deutschland. Die feinste war es nicht. Die Bilderbuchkarriere des smarten Deutschen endete an einer ebenfalls nicht gerade vielsagenden Adresse: 20555 SH 249 in Houston.

Der 1941 im schlesischen Lauban geborene und in Nürnberg aufgewachsene Pfeiffer startete seine Karriere nach einem Handelsschulabschluss 1963 bei Telefunken. Bereits ein Jahr später wechselte er zu Texas Instruments (TI), wo er es in zwei Jahrzehnten bis zum Vice President Corporate Marketing im TI-Hauptquartier in Dallas, Texas, brachte. Dort dürfte ihm Rod Canion bereits über den Weg gelaufen sein, der Mitbegründer von Compaq. Mindestens einmal noch kreuzten sich beider Pfade: 1991 setzte Rosen, Mann der ersten Stunde bei Compaq und dessen Finanzier wie auch machtvolle graue Eminenz hinter den Kulissen, Canion in einem nicht ganz überraschenden Coup vor die Tür und Pfeiffer auf den Compaq-Thron.

Außerirdischer, Sonderling

Pfeiffer war alles. Chef des „Unternehmens des Jahres“ (Forbes), „CEO of the Year“ (CNBC), Titelmann beim „Business Week“. Für das „Manager Magazin“ war Pfeiffer der „Außerirdische“, „Sonderling“ zwar der Computerbranche, aber immerhin „erfolgreicher als alle anderen“. 1999 war „Ecki“ dann arbeitslos, gefeuert von Ben Rosen.

Vorher gefeiert, jetzt gefeuert. Es war ein typischer Fall von Tontaubenschießen: zuerst wegen seiner Heldengriffe beim Managen in den Himmel gelobt, dann wegen genau dieser Volten abgeschossen von Analysten, Journalisten und Lobbyisten im texanischen Hauptquartier.

Heute investiert er in junge Unternehmen, hält die Unerfahrenen, so gut es geht, an der Leine klassischer Firmenführung, sitzt in Aufsichtsräten. Dass er nach Compaq keinen Manager-Job mehr annehmen wollte als Mittfünfziger, kann jeder verstehen, der Pfeiffer kennt. Beweisen muss er sich nichts mehr, und unfreiwillige Karaoke-Einlagen in Lederhosen als Mick-Jagger-Verschnitt und dem Eingeständnis „I can’t get no satisfaction“ muss er auch nicht mehr abliefern. Ein begnadeter Entertainer war er ohnehin nicht. Ein deutscher Manager, der es aus dem schlesischen Kleinbürgertum zum König der PC-Welthauptstadt Houston brachte - das war er allerdings. Das war sonst niemand aus Deutschland.

Journalisten nannten Theo Lieven in seiner „aktiven Zeit“ als Vorstandsvorsitzender bei Vobis immer nur Theo. Das war kein anbiederndes Fraternisieren mit einem Manager, sondern die einvernehmliche Übereinkunft in der Journaille, dass dieser Unternehmensführer „straight“, also okay, ist. In der schreibenden Zunft gilt das als höchste Anerkennung.

Aber Theo war eben auch anders als andere Manager. Nicht clean-cut, wie die Amerikaner net-te, glatte, kantenlose Menschen gern nennen. Theo kam schon mal unrasiert, im wehenden Mantel mit hochgeschlagenem Kragen auf die CeBIT gerauscht. Das hatte was von einem Künstler. Und das ist Theo ja auch in seinem anderen Leben. Der heute 50-Jährige, der 1975 die Vero GmbH gründete, die später zunächst zur Vobis GmbH (1981) und dann zur Vobis Microcomputer AG (1991) umfirmierte und sich zur größten Computer-Handelskette Europas auswuchs, Lieven also hatte ursprünglich andere Pläne. Organist oder Musiklehrer wollte er werden. Dazu kam es dann nicht. Aber noch heute gibt der Rolls-Royce-Fahrer Klavierkonzerte in ganz Europa.

Lieven wollte sich zudem, was für einen guten Klavierspieler gar nicht untypisch ist, der Mathe-matik hingeben. Bis zum Vordiplom hielt er es aus. Dann lernte er Rainer Falling kennen. Mit ihm kam er auf die Idee, seinen Kommilitonen Taschenrechner zu verkaufen. Dass aus diesem Einfall später die größte PC-Handelskette Europas wurde, beweist, dass Lieven seine Intelligenz optimal in geschäftliches Geschick umzumünzen verstand.

Überflieger, Fußballpräsident

Lieven war dabei immer der Sichtbare der beiden Vorstände. Der Frontmann von Vobis war so klug, dass er auch genau wusste, was Journalisten hören wollten. Seine offenherzigen Seitenhiebe auf den Monopolisten Microsoft zu Zeiten, als über Betriebssysteme noch Glaubenskriege geführt wurden, waren mutig und ergötzlich zugleich. 1996 war dann Schluss mit Vobis. Lieven verkaufte seine Anteile. Heute ist Theo geschäftsführender Vorstand beim Verband „Neues Unternehmertum“ und Aufsichtsrat in mehreren Unternehmen.

Seine Überflieger-Qualitäten beweist Lieven auch als Pilot und Fluglehrer. Weil das an Neben-tätigkeiten offensichtlich nicht reicht, hat er sich an seine lokalen Verpflichtungen erinnert gefühlt, als der Fußball-Zweitligist Alemania Aachen wegen der „Geldkoffer“-Affäre Anfang des Jahres ins Zwielicht geriet und die Führungscrew in Misskredit. Bereitwillig sprang Theo als Fußballpräsident in die Bresche.

Zuerst fällt auf, wie Klaus Christian Plönzke dasitzt: Im Streifenanzug mit Weste. Dabei wirkt er kein bisschen altbacken. Die Streifen trägt der heute 66-jährige nämlich so, wie sie heute getragen werden - mit einem kleinen Tick ins Schicke. So viel Mode leistet er sich schon. Die Sitzhaltung signalisiert Bestimmtheit, Souveränität, nichts Lautes. „Reden wir gleich über Wichtiges“, heißt das. Diese Haltung kommt an, wirkt glaubwürdig.

Stil - kein Fremdwort 

Klaus Christian Plönzke wurde am 21. August 1936 in Schwedt an der Oder geboren. Nach Abschluss der Berufsfachschule trat Plönzke 1955 bei der IBM ein. Dort wirkte er als Systemprogrammierer fast 15 Jahre. Dann, 1969, der Sprung ins kalte Wasser. Plönzke gründete seine eigene Firma. EDV Studio Ploenzke. Erstmals die komische Sache mit dem Umlaut oe. Und wie ein paar andere Herren bei der IBM, die es nach Walldorf zog, um dort ein Weltunternehmen zu etablieren, hatte auch Plönzke bei Big Blue den Generalstab in den Tornister gesteckt. Unter Klaus C. gerät das EDV Studio Ploenzke zum größten unabhängigen IT-Beratungsunternehmen im deutschsprachigen Raum. 1992 die Reifeprüfung: Das Studio wuchs sich zur Ploenzke AG aus.

Plönzke gehört zu den Managern, die nicht einfach verwalten und anordnen. Das merkt man seinen Meinungen und Vorstellungen an. Für ihn ist es nicht egal, wie ein langjähriger Firmenangehöriger seinen letzten Arbeitstag erlebt. Da ist Plönzke, der Chef, selbst da und findet die richtigen Worten. Immerhin haben ihm solche Mitstreiter in den Jahren des Aufbruchs zur Seite gestanden. Plönzke vergisst so etwas nicht. Solcher Stil ist heute nicht mehr selbstverständlich. Plönzke bedauert das, nimmt es mit Unverständnis zur Kenntnis.

Doch das Unternehmen kommt in die Jahre. Es gibt Reibungsverluste im Management und mit anderen Führungskräften. Dann kommen wirtschaftliche Probleme. Plönzke bleibt, was er ist: ein soignierter Chef mit Prinzipien. Empathie für seine Mitarbeiter ist für Plönzke kein Fremdwort. Andere schreiben Führungsleitlinien, Plönzke führt danach.

Förderer der Youngster  

Das reicht dann wohl nicht. 1995 verleibt sich der US-Konzern Computer Sciences Corp. (CSC) sein Unternehmen ein. Vier Jahre später will Plönzke nicht mehr und zieht sich aus dem CSC-Ploenzke-Vorstand - dessen Vorsitzender er seit 1992 war - zurück. Als Mitglied und Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats wahrt er dem Unternehmen allerdings noch die Treue.

Zur selben Zeit, also 1999, gründet Plönzke die Plönzke Holding AG. Jetzt bleibt der Umlaut ö. Als Vorstandsvorsitzender der AG tut er, was er mit seinen 45 Jahren Berufserfahrung am besten kann: Er gibt sein Wissen an junge Unternehmer weiter, knüpft neue Verbindungen zwischen den Youngstern und dem Business, berät die frühen Entrepreneure in den Finessen der strategischen und betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung. Ja, seit seine Frau vor zwei Jahren gestorben sei, stürze er sich noch mehr in die Arbeit. In sinnvolle Arbeit. Wie ein Herr, der bereits einen langen erfolgreichen Weg zurückgelegt hat.

Als dem Reporter der COMPUTERWOCHE der damalige Chef von Microsoft Deutschland zum ersten Mal für ein Interview gegenübersaß, hielt sich die Begeisterung für Christian Wedell während des Gesprächs zunächst in sehr engen Grenzen. Spröde, mundfaul, dabei immer auf der Lauer, von wo der nächste Schlag des Journalisten kommen könnte. „Na, das kann ja heiter werden“, schoss es dem durch den Kopf. „Eine Primadonna, etwas empfindlich bei kritischen Fragen. Typisch! Chef von Microsoft eben!“

Schwieriger Gesprächspartner

Der Eindruck hielt nicht lange vor. Was dröge daherkam, war lediglich das Bemühen, überlegt zu diskutieren, die Botschaft des damals noch nicht so lang auf dem deutschen Markt etablierten Unternehmens in der richtigen Nuancierung an den Mann zu bringen. Wedell, der gelernte Naturwissenschaftler, war dafür als Mann der ersten Stunden wie geschaffen. Der deutsche Statthalter der schon Anfang der 90er Jahre sehr selbstbewusst auftretenden Gates-Company machte es seinen Gesprächspartnern nicht leicht. Genau das honorierte man aber als Grundlage für eine ernsthafte Arbeitsbeziehung: Tolerierst du mich, akzeptiere ich, dass du deinen Job machen musst. So konnte es gehen.

Der Saxophonist, der sich mit Fahrradfahren und Inline-Skating fit hält, ansonsten mit Emphase seinen Garten verhübscht, hatte wesentlichen Anteil daran, Microsoft Deutschland zu einer der erfolgreichsten Länderorganisationen im Verbund des Softwareimperiums aus Seattle zu machen.

Als er Microsoft verließ, war er nicht nur ein „Gschbiggder“, wie man in Bayern betuchte Zeit-genossen gern tituliert. Er hatte sich auch die Grundlage geschaffen für sein Leben nach Micro-soft: Heute ist der verheiratete und kinderlose Helikopterpilot - „Leider nur Remote Control“, wie Wedell zu Protokoll gibt - mit Faible für zeitgenössische Kunst und „was sonst noch so alles Spaß macht“ Kapitalgeber für IT-Unternehmen. Seine Firma Copan operiert in den USA (Seattle und Pa-lo Alto) sowie Europa (London und München).

Sein berufliches Ziel hat er denn auch neu bestimmt: „Heute ist es mir am wichtigsten, aus jun-gen Gründern global erfolgreiche Unternehmer zu machen.“ Angesichts der Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit der New Economy ist das nicht gerade ein leichtes Unterfangen.

Keine normalen Chefs

Eins fällt bei den hier vorgestellten fünf Managern auf: Keiner war ein „normaler“ Unternehmenslenker. Andreas von Bechtolsheim ist ein Visionär, der seinen spielerischen Wissensdrang nie verleugnete. Eckhard Pfeiffer blieb auch in der Niederlage ein „Außer-irdischer“. Theo Lieven war nie „nur“ Manager, sondern auch ein veritabler Künstler. Klaus Christian Plönzke ist ein Herr im besten Sinn. Christian Wedell ist, was er ist - er selbst. So kann’s gehen.