Algorithmen herkömmlicher Informationsverarbeitung stoßen an ihre Grenzen:KI soll Roboter künftig flexibler machen

20.02.1987

Noch ganz am Anfang steht die Künstliche Intelligenz im Bereich der Robotik. Langfristig sind hier jedoch entscheidende neue Impulse und Verbesserungen zu erwarten. Am Beispiel des lernfähigen Speichers "Assistent" gibt Wolfgang Ülzmann* einen Ausblick auf künftige Einsatzmöglichkeiten von KI-Komponenten.

Zur Bewältigung komplexer Inputs benötigen moderne informationverarbeitende Geräte neben einer schnellen Datenaufbereitung vor allem schnelle Klassifikationsalgorithmen. Es ist aber problematisch, diese a priori festzulegen, da sich bei vielen Anwendungen, zum Beispiel Steuerung flexibler Fertigungsabläufe, Mensch-Maschine-Kommunikation oder bei Robotikanwendungen, die informelle Umwelt der Maschine ständig verändert.

Die Maschine muß daher - mit einem "Grundwissen" ausgestattet - weitere Erfahrung über ihre Umwelt (zum Beispiel in Form von Bildmustern) selbst erwerben und anwenden können. Diese Philosophie wurde zur Grundlage des Systems "Assistent". Dabei handelt es sich um ein Gerät, in dem das Konzept eines lernfähigen Speichers realisiert ist; deshalb kann es als universell nutzbares Peripheriegerät herkömmliche Rechner bei der Bewältigung der erwähnten Probleme erheblich entlasten.

Drei Grundoperationen sind entscheidend

Ein automatischer Wissenserwerb, wie er zur Bewältigung von Aufgaben in der modernen Fertigungssteuerung und Mensch-Maschine-Kommunikation gefordert wird, ist mit Algorithmen herkömmlicher Informationsverarbeitung nicht möglich; bei konventionellen Systemen steckt das Wissen um die Umwelt der Maschine scholl im Algorithmus selbst. Dabei steht meist nur so viel Wissen zur Verfügung, wie zur Bewältigung einer speziellen Aufgabe unbedingt notwendig ist.

Beispielsweise kann ein konventionelles Informationsverarbeitungssystem aus einer meist sehr beschrinkten Anzahl von gespeicherten Objekten (Bilder, Worte, Meßdaten ein bestimmtes Objekt "x" nur dann herausfinden, wenn eine vorher definierte Übereinstimmung vorliegt. Infolgedessen lassen sich zwischen zwei gespeicherten Objekten Analogien aufgrund gleichartiger Komponenten nur schwer finden. Da nicht von vornherein bekannt ist, welche gemeinsamen Komponenten bei Objekten auftreten werden, muß ein "intelligentes" System für eine automatische Extraktion gleichartiger Informationen drei eng kooperierende Grundoperationen ausführen (siehe Abbildung 1): Assoziation, Evaluation und Adaptation.

In der Assoziationsphase erfolgt der Vergleich eines neuen Objekts mit bereits gespeicherten Objekten. Die "best matches" dieses Vergleichs werden ausgewählt, das heißt assoziiert. Diese Auswahl unterstützt der Prädikationsalgorithmus.

In der Evaluationsphase wird festgestellt, welches der assoziierten Objekte mit dem neuen Objekt semantisch, das heißt dem Sinne nach am engsten verknüpft ist (Konvergenz), oder aber wie viele Objekte überhaupt irgendeine Gemeinsamkeit mit dem neuen Objekt haben (Divergenz). Die "Effizienz" des assoziierten Objekts wird bewertet.

In der Adaptationsphase erfolgt die Verknüpfung gemeinsamer Komponenten des neuen Objekts mit solchen Konvergenzen beziehungsweise Divergenzen, die sich in der Evaluationsphase als hinreichend effizient herausstellten. Nicht gemeinsame, das heißt unbekannte Komponenten werden neu gespeichert. Die drei Grundoperationen Assoziation Evaluation, Adaptation verlaufen während der anfänglichen Lernphase im Dialog mit dem Systembenutzer, lassen sich. aber später auch völlig automatisieren.

Diese Grundoperationen machen zum Beispiel ein Bildverarbeitungssystem "intelligent" genug, um ein unbekanntes Objekt sinnvoll in bekannte und unbekannte Bestandteile zu zerlegen und daraus automatisch eine speicherinterne und hierarchisch strukturierte Beschreibung (Repräsentation) des Objekts zu generieren (siehe Abbildung 2). Das System kann infolgedessen mit Hilfe gespeicherter Bildkomponenten ein unbekanntes Objekt zumindest grob klassifizieren. Es ist möglich, die Repräsentation unbekannter Objekte im Speicher zu generieren. Die speicherinterne Objektrepräsentation wird vollkommen automatisiert, das heißt, eine A-priori-Definition des Objekts ist nicht mehr notwendig.

Dabei erweist es sich als hilfreich, von vornherein die Grundsätze der Symbolverarbeitung zu beachten obwohl deren Realisierung anfangs recht aufwendig erscheint (zum Beispiel durch größeren Speicherplatzbedarf):

Im Assistent-Modell ist ein "Symbol" softwaretechnologisch als Informationseinheit dargestellt, die mit weiteren solcher Einheiten beliebig verknüpfbar ist. Dies gilt sowohl für die physikalische wie für die logische Ebene wobei die physikalische Speicherung von Symbolen noch durch einen "Cluster-Algorithmus" optimiert wird.

Sowohl das adaptive und assoziative Verhalten wie auch die hierarchische Repräsentation von Symbolen wurden in das Modell einbezogen. Dabei ist das Konzept von einem weiteren Kerngedanken, nämlich der Selbstorganisation von Programmen und Daten", getragen:

Automatisch werden speicherinterne "Makro-Symbole" generiert, deren Komponenten Programme und Daten sind, die selbst auch wieder als "Symbole" repräsentiert werden. Ein Symbol kann speicherintern generiert werden, aber auch wieder degenerieren. Dieses selbstorganisierende Speicherverhalten entspricht in groben Zügen den Eigenschaften des Gehirns, Wichtiges lernen (generieren) und Unwichtiges auch wieder vergessen (degenerieren) zu können.

Softwaretechnologisch ist das System im wesentlichen aus fünf sogenannten "Basisalgorithmen" aufgebaut, die die erläuterten Grundoperationen (Assoziation, Evaluation und Adaptation) ausführen (siehe Abbildung 1).

Um mit dem System eine optimale Leistung zu erreichen, ist es notwendig, die Hardware an den formalen Ablauf und das modulare Konzept der Basisalgorithmen anzupassen.

Dabei ist der architektonisch ähnliche Aufbau von Hard- und Software eine wesentliche Voraussetzung: Die Prozessormodule des "Assistent" sind, wie die zu verarbeitenden Datenstrukturen, hierarchisch untergliedert aufgebaut. Diese Maßnahme bewirkt, daß sich eine vom System zu bewältigende Aufgabe in einzelne Teilaufgaben zerlegen und auf mehrere parallel arbeitende Prozessoren sinnvoll verteilen läßt.

Die Hardware-Grundkonfiguration des ,.Assistent ist repräsentiert durch das Multiprozessorsystem "M80". Die Leistungsfähigkeit dieses Systems wird entscheidend vom zentralen Kommunikations- und Speicherelement, dem "Cache", geprägt.

Der Cache ist von jedem Prozessor innerhalb des M80 adressierbar und übernimmt unter anderem die zentrale Kommmunikationsaufgabe zwischen Slaves und Master oder zwischen Slaves unter sich. Dazu wurde ein Teil des Cache als Mailbox eingerichtet. Die Mailbox ist einfach an Nachrichtenstrukturen anzupassen. Sie stellt ein Element zur asynchronen Entkopplung dar, das den unabhängigen Betrieb aller Prozessoreinheiten ermöglicht. Jeder Prozessor kann über die Mailbox im Cache einem anderen Prozessor eine Aufgabe, zum Beispiel die Ausführung eines Basisalgorithmus, zuteilen.

Da ein effizientes Kommunikationsverfahren von großer Bedeutung für eine hohe Systemleistung ist, insbesondere bei kommunikationsintensiven Programmen, gilt es, eine schnelle Kommunikationsbasis bereitzustellen. Diesem Sachverhalt tragen drei ortsfeste Mailbox-Statuswörter Rechnung. Ein oder höchstens zwei Statuswörter enthalten für einen M80 die vollständige Information zur Kommunikationsabwicklung mit einem oder mehreren anderen Busteilnehmern. Es sind also maximal zwei Speicherzugriffe zur Statusermittlung notwendig.

Prozessoreinheiten arbeiten parallel

Typisch für das M80-Konzept ist die absolut parallele Arbeitsweise der Prozessoreinheiten. Gängige Co-Prozessorkonzepte haben den Nachteil, daß nur jeweils ein Co-Prozessor über den Systembus verfügen kann, während andere Busteilnehmer gesperrt werden. Gesperrte Prozessoren müßten bei einer Busanforderung warten und drosseln so die Systemleistung.

Beim M80 ist außerdem jeder Slave in der Lage, Master für ein weiteres M80-System zu sein. Dadurch ergibt sich eine baumartig erweiterbare Systemstruktur (siehe Abbildung 3). Das M80-System ähnelt im Aufbau und in der Leistungscharakteristik dem Konzept der "Transputer".

Es zeigt sich jedoch, daß der M80 die Eigenschaften mehrerer Rechnerstrukturen in sich vereint. Er ist ein Parallelrechner, dessen Slaves sowohl als Pipeline- (MISD Multiple Instruction, Seriell Data) als auch als Feldrechner (SIMD Single Instruction, Multiple Data) formatiert werden können.

Ähnlich der Concurrent-Sprache "Occam", operiert der M80 mit einem "Concurrent" Betriebssystem, das den parallelen Betrieb der Slaves ausnutzt. Dadurch ist es möglich, eine Systemaufgabe in "parallele Prozesse" zu zerlegen, die dann beim Programmablauf simultan abgearbeitet werden.

Über den Einsatz des M80 innerhalb des "Assistent" hinaus ist das System für vielfältige Spezialaufgaben, bei denen ein hohes Maß an Parallelität und Vernetzbarkeit der Prozessoreinheiten gefordert wird, einsetzbar. Das gilt beispielsweise für:

- Inhouse-Kommunikationssysteme mit hierarchischer Datenbus-Struktur,

- Rechnersysteme, die durch redundante Prozesse und hohe Verfügbarkeit der angeschlossenen Prozessoreinheiten eine erhöhte Sicherheit ihrer Operationen gewährleisten.

In der Robotik erfolgt heute der Übergang von der Generation der "nur" programmgesteuerten Handhabungsgeräte, die eine Bewegung im Raum als Punktfolge oder als lineare beziehungsweise zirkulare Bahn ausführen können zu einer neuen Klasse von Industrierobotern, die über "intelligente" Sensoren verfügen, und die komplexe Bewegungen aufgrund der Analyse dieser Sensorikdaten ohne festes Programm realisieren. Man bezeichnet diese Fähigkeit, bezogen auf die optischen Sensoren, ist "Hand-Auge-Koordination".

Für eine Auswertungen von Umweltinformationen nach dem Assistent-Prinzip lassen sich aber auch Vergleichskriterien verwenden, die keine exakte Übereinstimmung einzelner Muster nachweisen, sondern die Ähnlichkeit eines durch eine Reihe von Einzelmerkmalen den beschriebenen Musterzusammenhangs mit einem Abfragekriterium feststellen. Dazu sind Eirichtungen erforderlich die die jeweilige Musterräpresentation erforderlich, die die jeweilige Musterrepräsentation für die Eingangsebene des Systems anpassen. Solche "textuellen" Musterbeschreibungen gibt es bereits für bestimmte Klassen von Mustern. Spezielle Einsatzbereiche können sein:

-Automatische Erkennung von Objekten ohne Ausnutzung fester Vorzugslagen. Anwendungen beim automatischen Sortieren, Palettieren und Handhaben.

- Analyse "technischer Szenen". Automatische Beschreibung und Wiedererkennung charakteristischer Umweltmuster in der Robotik. Diese Fähigkeit ist eine der Grundvoraussetzungen für einen flexiblen, also zeitweilig programmunabhängigen Robotereinsatz.

-Ausführen von Fertigungsschritten aufgrund der ständig aktualisierten

Bildinformation aus der Umwelt. Der Roboter erlernt, was er "vorgemacht" bekommt, so das eine Fertigungsaufgabe nicht mehr langwierig programmiert werden muß.

- Automatische Analyse von gesprochener Sprache beliebiger Sprecher. Sprachmuster können assoziativ verarbeitet werden, so daß die charakteristischen Merkmale bestimmter Wörter unabhängig vom jeweiligen Sprecher erkennbar bleiben. Eine Nutzung ergibt sich vor allem beim unmittelbaren Dialog zwischen Computer und Anwender oder bei der Kommandoeingabe für Industrieroboter.

- Fehlertolerante und kontextbezogene Verarbeitung auch unpräziser Instruktionen durch Maschinen nach vorheriger Verifikation im Dialog mit dem Benutzer.

Die Flexibilität von Robotern und anderen "intelligenten" Maschinen der neuen Generation, die solche Befehle verarbeiten sollen, hängt davon ab, daß es möglich ist, Objekte zu erkennen, ohne daß ein exakter Vergleich mit starr programmierten Referenzmustern durchgeführt werden muß.

*Dr. Wolfgang Ülzmann ist Professor an der Fachhochschule Wedel.

An dem Betrag beteiligten sich neben Wolfgang Ülzmann auch Carsten Fölster, Informationssysteme, Gerardus Stokman-Ahrens, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Harburg, sowie Michael Meyenburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Wedel.

Die Entwicklung des Systems "Assistent" erfolgte im Rahmen eines Vorhabens "Technologieorientierte Unternehmensgründung" (TOU), das von der Firma C. Fölster Informationssysteme mit Unterstützung der Hamburger Informationsstelle für Technologietransfer (HIT) unter Nutzung von BMFT-Mitteln abgewickelt wird.