Entsteht ein neuer TK-Ausrüstungsgigant?

Alcatel und Lucent liebäugeln mit Fusion

25.05.2001
MÜNCHEN (CW/IDG) - Der angeschlagene US-amerikanische TK-Ausrüster Lucent Technologies wird unter Umständen vom Wettbewerber Alcatel übernommen. Der Lucent-Vorstand prüft angeblich bereits eine konkrete Kaufofferte der Franzosen.

Die Spekulationen über einen bevorstehenden Merger flammten Ende vergangener Woche durch einen Bericht der "New York Times" wieder auf, nachdem es schon in den Wochen und Monaten zuvor vereinzelte Gerüchte gegeben hatte. Sowohl Alcatel als auch Lucent wollten dies offiziell nicht kommentieren - auch weitere Meldungen des "Wall Street Journal" und der "Financial Times" nicht, wonach der Lucent-Vorstand bereits diese Woche über die Aufnahme von Fusionsverhandlungen entscheiden will. Beide Blätter berufen sich allerdings auf firmennahe Quellen.

Flucht unter das Dach eines InvestorsIn einen konkreten Zusammenhang mit Lucent wurde Alcatel zuletzt immer wieder mit dem angeblich geplanten Verkauf der Glasfaser-Division der Amerikaner gebracht. Jetzt aber könnte, so die Lesart einiger Branchenkenner und Analysten, das Lucent-Management die Notbremse ziehen und ganz unter das rettende Dach eines finanziell potenten Investors schlüpfen. Denn das frühere AT&T-Spinoff musste im zurückliegenden Jahr einen Niedergang sondersgleichen hinnehmen: Wie kaum ein anderer Telco-Ausrüster litt Lucent unter Umsatzeinbußen, Milliardenverluste liefen auf, 10000 Mitarbeiter mussten entlassen sowie Abteilungen überstürzt ausgegliedert und verkauft werden. Nur ein Überbrückungskredit der Banken in Höhe von 6,5 Milliarden Dollar sicherte bis auf weiteres das Überleben. Auch der Börsengang der Opto- und Mikroelektronik-Division Agere Ende März brachte mit rund drei Milliarden Dollar nicht einmal die Hälfte des ursprünglich erwarteten Geldsegens. Nun sollte, auch wenn offiziell bis dato nicht bestätigt, mit dem Glasfasergeschäft quasi das letzte Tafelsilber veräußert werden. Doch potenzielle Interessenten wie Alcatel, JDS Uniphase, Pirelli und Corning winkten bisher nach Darstellung von Insidern angesichts zu hoher Forderungen der Amerikaner ab.

Mit dem Angebot der Franzosen zu einer "Fusion unter Gleichen" könnte Lucent-Chairman und -CEO Henry Schacht elegant den Kopf aus der Schlinge ziehen, heißt es weiter. Zumindest wäre das Überleben aller Lucent-Assets zunächst gesichert, wenn auch unter französischer Vorherrschaft. Denn Alcatel will, um die Lucent-Aktionäre zu überzeugen, bei einem Aktientausch einen Aufschlag bis zu 20 Prozent auf den Preis der Lucent-Aktie von derzeit knapp unter zehn Dollar bezahlen, was einem Kaufpreis von rund 40 Milliarden Dollar entsprechen würde. Ob allerdings im Markt der Telco-Ausrüster tatsächlich ein neuer Gigant mit einer Marktkapitalisierung von derzeit 77 Milliarden Dollar, einem etwa gleich großen Umsatzvolumen sowie rund 250 000 Mitarbeitern entsteht, ist noch mehr als ungewiss. Alcatel könnte zwar seine Position im US-Markt mit einem Schlag massiv ausbauen und würde in einigen Produktbereichen (optische Netze, Mobilfunk) enorm profitieren. Allerdings dürften die Aktionäre des Unternehmens wenig erbaut darüber sein, dass man sich mit dem Sanierungsfall Lucent die Probleme, die man in der Vergangenheit selbst hatte, erneut ins Haus holt. Auch auf amerikanischer Seite könnte es noch zu Problemen kommen. Jede Fusionsvereinbarung zwischen Alcatel und Lucent würde das Pentagon und andere US-Regierungsbehörden auf den Plan rufen. Denn die Lucent Bell Labs arbeiten seit Jahren an diversen Verschlüsselungstechniken für den US-Geheimdienst National Security Agency (NSA).